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Abschiebung von Kindern

Australiens Regierung will minderjährige Flüchtlinge in malaysische Lager schicken

Von Thomas Berger *

Geht es nach den Plänen von Premierministerin Julia Gillard und dem für Immigration zuständigen Minister Chris Bowen von der regierenden Labor Party, werden künftig nicht nur erwachsene Bootsflüchtlinge und Familien, sondern auch Kinder und Jugendliche, die ohne Begleitpersonen in Australien stranden, nach Malaysia überstellt. In dem südostasiatischen Staat soll das erste sogenannte regionale Bearbeitungszentrum für Bootsflüchtlinge entstehen. Die Regierung in Canberra erklärte sich im Gegenzug bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, die schon seit längerer Zeit in Malaysia anwesend sind.

Bowen pries bei der Präsentation der Regierungsvereinbarung Ende vergangener Woche die Verschärfung der Abschottungspolitik als effektiven Abschreckungsmechanismus. Der Minister versuchte zudem, die Maßnahme als humanistisch motiviert zu präsentieren. Er wolle nicht, daß noch einmal Kinder oder sogar Babys bei der Überfahrt gefährdet würden oder ums Leben kämen, erklärte er in der Parlamentsdebatte mit Verweis auf ein 2010 an der Küste von Christmas Island zerschelltes Flüchtlingsboot.

Während sich die konservative Opposition wohlwollend die Hände reibt, hat die Entscheidung der sozialdemokratischen Minderheitsregierung Australiens auf der linken Seite des politischen Spektrums, bei Menschenrechtsorganisationen sowie in höchsten Kreisen der UNO Unverständnis und Kritik ausgelöst.

Die Grünen, welche die Minderheitsregierung stützen, zeigten sich schockiert. »Der Minister vergißt, daß er gemäß Rechtslage der Beschützer unbegleiteter Minderjähriger ist«, hielt ihm Senatorin Sarah Hanson-Young vor. Auch Norman Gillespie, der Regionaldirektor des UN-Kinderhilfswerkes UNICEF, machte aus seinem Entsetzen in ersten Verlautbarungen keinen Hehl. Dabei will Canberra angeblich das Vorgehen mit den zuständigen Stellen bei den Vereinten Nationen abgestimmt haben, beeilte sich Außenminister Kevin Rudd, Vorgänger Gillards im Premiersamt, zu versichern. Der Sprecher des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), Adrian Edwards, dementierte aber ausdrücklich, im Vorfeld von der australischen Entscheidung Kenntnis erhalten zu haben: »Nach dem gegenwärtigen Stand ist dies nichts, wozu wir unsere Unterstützung erklären können.«

Ob Australiens nationaler Menschenrechtsrat oder Amnesty International – von allen Seiten hagelt es heftige Kritik an dem Plan. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, kritisierte vor allem rassistische Untertöne in der Debatte und die Instrumentalisierung des Flüchtlingsthemas für innenpolitische Ziele.

Nach den starken Reaktionen gab Bowen am Montag bekannt, daß bei der Abschiebung von Kindern nun »von Fall zu Fall« entschieden würde. Eine grundlegende Änderung der Pläne kündigte der Minister allerdings nicht an.

Das UNHCR hatte am Konzept der »regionalen Bearbeitungszentren« grundsätzlich Kritik geübt, weil völlig unklar sei, wie international fixierte Schutzstandards im Asylprozeß dort gewährleistet werden sollen. Australiens Regierung indes sieht sich unter Zugzwang: Mit 6535 Ankömmlingen hatte die Zahl der Bootsflüchtlinge im Vorjahr einen neuen Rekordwert erreicht. Dieses Jahr wurden bis April 16 Boote mit 921 Insassen gezählt. Der Großteil der Flüchtlinge kommt aus Ländern Südasiens sowie dem Irak und Iran.

* Aus: junge Welt, 8. Juni 2011


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