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Revolte der Internierten

Katastrophale Bedingungen in australischem Flüchtlingscamp

Von Thomas Berger *

Australien versucht weiterhin, die Lage auf Christmas Island wieder unter Kontrolle zu bekommen. Vergangene Woche hatte es in dem dortigen Internierungslager für Flüchtlinge eine Revolte gegen die katastrophalen Lebensbedingungen gegeben, woraufhin die Regierung eine Polizeieinheit auf die Insel entsandte. Statt der Firma SERCO, die alle solchen Einrichtungen im Land betreibt, haben die Beamten vorerst die Zuständigkeit für das Vorgehen in dem Lager übernommen. Die Vorwürfe an Unternehmen wie Politik hinsichtlich Versäumnissen und Fehlern häufen sich.

Die jüngsten Ereignisse sind ein weiteres Indiz für die generell verfehlte Asylpolitik während der letzten Jahre. Zwar hatte die sozialdemokratische Labor Party nach ihrem Wahlsieg 2007 die schlimmsten Auswüchse des Systems unter der konservativen Vorgängeradministration von John Howard beseitigt. Trotzdem werden auf hoher See aufgegriffene Bootsflüchtlinge nicht direkt auf das Festland gebracht, sondern zunächst auf Christmas Island interniert. Die Insel liegt fernab des eigentlichen Staatsgebietes nahe Indonesien. Von dort machen sich häufig kaum seetüchtige Boote vornehmlich mit aus Sri Lanka, Afghanistan und anderen südasiatischen Ländern stammenden Insassen zu der nicht ungefährlichen Überfahrt auf. Am Montag wurde von der Küstenwache wieder ein Boot mit 57 Flüchtlingen aufgegriffen.

Das Lager auf Christmas Island platzt seit langem aus allen Nähten. Längere Bearbeitungsfristen der Asylanträge, die hohe Zahl der Neuankömmlinge und die weitgehende Weigerung, überhaupt jemanden von der Insel aufs Festland zu lassen, haben zu einer katastrophalen Überfüllung geführt. Zugleich hat SERCO selbst im Normalzustand schon zu wenig Mitarbeiter, um sich angemessen um so viele Menschen kümmern zu können. Mindestens 15 Mitarbeiter pro Tag hätten durchschnittlich gefehlt, »selbst bei Besetzung aller Stellen hätten wir schon zu kämpfen gehabt«, schrieb Exleiter Ray Wiley in einem Schreiben an Vorgesetzte, das der Presse vorliegt. Die Inselbevölkerung ist zu gering, um dort genügend Kräfte zu rekrutieren, und auf dem Festland hatten die Jobangebote kaum ein Echo ausgelöst. Für Auswärtige stellt sich aber auch schon die Frage, wo neues Personal untergebracht werden soll, da es zu wenig Unterkünfte in der Einrichtung gibt.

Angesichts der Überfüllung war es nur eine Frage der Zeit, daß die Probleme sich so weit zuspitzen, daß das Faß zum Überlaufen kommt. Dies war nun offenbar vorige Woche der Fall, als etliche Insassen gegen die unzumutbaren Bedingungen aufbegehrten. Teile des Lagers sind bei den Protesten niedergebrannt und unbewohnbar geworden, bis zu 20 Flüchtlinge sollen bei den Unruhen in den angrenzenden Dschungel entkommen sein. Zwei Männer hat die Polizei am Dienstag aufgegriffen, die genaue Zählung aller Lagerinsassen läuft noch. Die Beamten haben auch die Umzäunung aufgestockt, um weitere Fluchten zu erschweren.

Um die Situation zu entspannen, hat die Regierung damit begonnen, nun doch Flüchtlingsgruppen in auf dem Festland gelegene Lager auszufliegen. Gegenüber mehr als 3000 Insassen im Dezember ist die Gesamtzahl inzwischen auf knapp 2000 gesunken, was aber weiter deutlich über den Kapazitäten liegt. Nur drei oder vier voll beladene Boote mit Neuankömmlingen binnen kurzer Zeit könnten schnell wieder für eine extreme Zuspitzung sorgen.

* Aus: junge Welt, 24. März 2011


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