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Türöffner für neue Märkte

Hintergrund. Der Ostasiatische Verein ist im Dienst deutscher Unternehmen aktiv. Das ­einflußreiche Netzwerk treibt mit Hilfe der Politik die imperiale Expansion voran – wie ­aktuell auf dem "Wirtschaftstag"

Von Jörg Kronauer *

Schon seit Monaten bewirbt der Ost­asiatische Verein (OAV) den heutigen »Wirtschaftstag« im Auswärtigen Amt. Wie jedes Jahr um diese Zeit halten sich gegenwärtig die Leiterinnen und Leiter der rund 230 deutschen Auslandsvertretungen zur »Botschafterkonferenz« in Berlin auf; wie üblich stehen sie einen Tag lang für Gespräche mit expansionswilligen deutschen Unternehmern bereit. »Der Auswärtige Dienst«, heißt es in einem Einladungsschreiben für den »Wirtschaftstag«, wolle »die Sichtweisen und außenwirtschaftlichen Interessen deutscher Unternehmen aufnehmen, damit diese künftig noch besser bei ihrem internationalen Geschäft begleitet und unterstützt werden können«. In den vergangenen Jahren nahmen bis zu 1500 Firmenvertreter dieses Angebot an. Eröffnen wird die Veranstaltung Außenminister Guido Westerwelle (FDP) persönlich; danach gibt es mehrere Themenforen und vor allem Kaffeepausen mit der Möglichkeit, Botschaftspersonal aus aller Welt zu kontaktieren. Und wer partout in Ländern wie Afghanistan oder Guinea-Bissau sein Geld machen will, kann sich heute Nachmittag in Workshops dafür wappnen: Sie behandeln Themen wie den »Umgang mit Wirtschaftssanktionen« oder »Geschäfte in Krisenregionen« – was man für die heikleren Fälle der Expansion halt so braucht.

Der OAV ist eine der großen Regionalorganisationen der nationalen Ökonomie, mit denen das Auswärtige Amt beim heutigen »Wirtschaftstag« kooperiert. Seine Aktivitäten erstrecken sich laut Paragraph zwei seiner Satzung »auf Ost-, Südost- und Südasien sowie Australien, Neuseeland und die Länder des Südpazifiks einschließlich Papua-Neuguinea«. Überall dort kümmert er sich um die Belange der deutschen Wirtschaft, liefert nützliche Informationen, vermittelt hilfreiche Kontakte, erleichtert den Firmen den Einstieg oder den Geschäftsausbau. Und »als starkes Unternehmensnetzwerk mit guten institutionellen Verbindungen«, so schreibt der Verein über sich selbst, arbeitet er selbstverständlich »eng zusammen mit Ministerien, Behörden und Botschaften in Deutschland und den asiatisch-pazifischen Ländern«. Er ist also exzellent vernetzt.

Hochrangige Kontakte

Nicht nur das. Das Präsidium des Verbandes, das laut eigener Auskunft »die strategischen Leitlinien der OAV-Arbeit« entwirft, entstammt teilweise den obersten Etagen der deutschen Wirtschaft. Sein Vorsitzender ist mit Jürgen Fitschen einer der beiden Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank; einer seiner Stellvertreter ist mit Eckhard Rohkamm ein langjähriger ThyssenKrupp-Vorstand. Dem OAV-Präsidium gehören außerdem Martin Brudermüller an, stellvertretender Vorstandsvorsitzender von BASF, und Axel C. Heitmann, Vorstandsvorsitzender der Lanxess AG. Neben dem Präsidium hat der OAV einen regulären Vorstand, dem unter anderem Vorstandsmitglieder der Allianz, der Bayer AG und des Siemens-Konzerns angehören; auch Bosch, Commerzbank, Daimler und Ferrostaal sind hochrangig vertreten. Die prominente Besetzung hat ihren Grund: Der OAV ist nicht nur der älteste und traditionsreichste unter den deutschen Außenwirtschaftsverbänden, er befaßt sich auch mit einer Weltregion, an der schon lange kein Unternehmer mehr vorbeikommt, der im internationalen Geschäft mitmischen will. Chinas Wirtschaft boomt ungebrochen, weitere Länder in Ost- und Südostasien werden von diesem Aufschwung erfaßt; Ostasien insgesamt gilt vielen schon lange als künftiges Zentrum der Weltwirtschaft.

Der OAV hilft der deutschen Wirtschaft, sich darauf vorzubereiten und ihre Positionen in der Region zu stärken. Laut eigenen Angaben ist er der größte deutsche Außenwirtschaftsverband. Zu seinen mehr als 800 Mitgliedern gehören rund 500 Unternehmen aus allen Branchen, darunter Schwergewichte wie Volkswagen oder BMW, die Commerzbank, die Deutsche Bank und die UniCredit Bank, PricewaterhouseCoopers, Konzernriesen wie BASF, Bayer und Siemens und viele andere mehr. Die Einflußarbeit im künftigen Zentrum der Weltwirtschaft ist den beteiligten Unternehmen offenkundig einiges wert: Sie leisten sich derzeit 17 OAV-Angestellte in der Geschäftsstelle an der Bleichenbrücke in der vornehmen Hamburger Innenstadt. Direkt von dort aus werden unter anderem zwei Projekte betreut, die vor allem auf spezielle Geschäfte in der Volksrepublik China zielen. Zum einen bemüht sich eine »Arbeitsgruppe Agrarwirtschaft«, deutschen Firmen Anteile an der Modernisierung der chinesischen und der indischen Agrar- und Ernährungsindustrie zu sichern. Zum anderen stützt ein »Kompetenzzentrum Nachhaltiges China« kleine und mittlere Firmen aus Hamburg bei der Expansion auf den chinesischen Markt. Das »Kompetenzzentrum China« wird übrigens – das spart den OAV-Mitgliedern Geld – mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanziert.

China ist zweifellos der überwältigende Magnet für die Asienexpansion der deutschen Wirtschaft. Mehr als 5000 Unternehmen sind dort inzwischen aktiv; dem Auswärtigen Amt zufolge belief sich der Bestand kumulierter deutscher Investitionen Ende 2011 auf bereits 27 Milliarden Euro, Tendenz: stark steigend. Die Volksrepublik ist der zweitgrößte Exportmarkt und der größte Handelspartner der deutschen Wirtschaft außerhalb der EU. Bei ihren dortigen Aktivitäten können sich deutsche Unternehmen mittlerweile auf ein dichtes Netz unterschiedlichster Organisationen stützen. Abgesehen von den Wirtschaftsreferaten der deutschen Botschaft und der Generalkonsulate gibt es die »Deutsche Außenhandelskammer in China«, die zusätzlich »Delegiertenbüros der Deutschen Wirtschaft« in Peking, Hongkong, Shanghai und Guangzhou eingerichtet hat. Die Landesbank Baden-Württemberg betreibt ein »German Centre« in Peking, das deutschen Mittelständlern »beim Auf- und Ausbau ihrer Stützpunkte in China« hilft; die Bayern LB hat mit derselben Zielsetzung ein »German Centre« in Shanghai errichtet. Es gibt EU-Einrichtungen wie die »European Union Chamber of Commerce in China« oder das »Small and Medium Enterprises Centre« der EU. Wo es not tut, ist der OAV aber auch weiterhin selbst in China aktiv. Anfang Juni organisierte er etwa eine Unternehmerreise, die »Geschäftschancen in Südwestchina und Myanmar« vorführen sollte. In Chinas Südwesten sind deutsche Unternehmen und ihre Netzwerke bislang vergleichsweise schwach vertreten; die Unterstützung durch den OAV hilft hier, Lücken zu füllen.

Unternehmensreisen

Ein wichtiges Instrument, mit dem der OAV deutschen Firmen fremde Länder öffnet, sind Unternehmerreisen. Das Prinzip ist einfach: Man bereist gemeinsam ein Land, trifft sich mit den dort tätigen deutschen Stellen und Organisationen, besucht einheimische Behörden, Unternehmen und Wirtschaftsverbände – je nach Möglichkeit und Bedarf. Daraus ergeben sich leicht Geschäfte. Nicht selten stimmen dabei übrigens wirtschaftliche und politische Expansionsinteressen überein. Ein Beispiel: Am 1. März 2001 nahm die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen zur Demokratischen Volksrepublik Korea auf, Anfang 2002 traf die erste bundesdeutsche Botschafterin in Pjöngjang ein. Berlin wollte eine stärkere Rolle in Ostasien spielen – und pries dazu in Nord- und Südkorea seine Erfahrung bei der »Wiedervereinigung« zweier Staaten an. Besonders aktiv war diesbezüglich der CSU-Mann und ehemalige »Vertriebenen«-Funktionär Hartmut Koschyk. Flankierende Aktivitäten deutscher Unternehmen in der Demokratischen Volksrepublik waren plötzlich politisch sehr erwünscht: »Wandel durch Handel«. Zugleich witterte die Industrie, den Zusammenbruch des Realsozialismus in Osteuropa in bester Erinnerung, eine hochprofitable Schnäppchenjagd. »Nordkorea verfügt über beachtliche Rohstoffvorkommen, qualifizierte Arbeitskräfte und ausbaufähige Produktionskapazitäten in einigen Bereichen der Leichtindustrie«, berichtete im Mai 2002 der OAV und kündigte für den September eine Unternehmerreise nach Pjöngjang an. Aus »Wiedervereinigung« und Schnäppchenjagd ist bis heute nichts geworden; der OAV aber hat sich redlich bemüht.

Ein Fall, der erfolgreicher zu verlaufen scheint, sind die vom OAV unterstützten deutschen Aktivitäten in der Mongolei. Als die Bundesregierung um das Jahr 2005 begann, eine umfassende »Rohstoffstrategie« vorzubereiten, da geriet unter anderem die Mongolei in ihren Blick. Diese zählt zu den zehn ressourcenreichsten Ländern der Welt; sie besitzt unter anderem riesige Kohlevorräte, Gold und eine der größten Kupferminen überhaupt. Im August 2008 führte der OAV im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums eine Unternehmerreise in die Mongolei durch, die explizit auf die Rohstoffbranche des Landes ausgerichtet war. Es war klar: Sollte die Mongolei in größerem Maßstab Rohstofflieferantin für Deutschland werden, würden deutsche Firmen stärker Fuß fassen müssen, denn die bislang dominierenden Unternehmen aus Rußland und China lieferten natürlich eher in ihr eigenes Herkunftsland. Langsam, aber unbeirrt, machte die deutsche Wirtschaft mit Unterstützung des OAV Fortschritte. Im Oktober 2011 erzeugte die Bundesregierung mit dem Abschluß einer exklusiven »Rohstoffpartnerschaft« mit der Mongolei Druck. Nebenbei – ganz wie im Fall Nordkoreas wären mit einem stärkeren deutschen Wirtschaftseinfluß in der Mongolei erhebliche außenpolitische Folgen verbunden. Käme es zu einer Übernahme Nordkoreas durch Südkorea à la »Wiedervereinigung« von BRD und DDR, hätte China keinen »Puffer« mehr zwischen sich und den US-Truppen in Südkorea. Erhält der Westen besseren Zugriff auf die Mongolei, könnte er seine Positionen an der chinesischen Nordwestgrenze stärken. Tatsächlich kooperiert Deutschland schon längst auch militärpolitisch mit dem Land. »Seit der ersten Vereinbarung über Aus- und Fortbildung aus dem Jahre 1995 hat sich die verteidigungspolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Mongolei dynamisch entwickelt«, teilte die deutsche Botschaft in Ulan Bator letzten Sommer mit.

Der OAV jedenfalls bemüht sich weiter um die Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen zur Mongolei. Als er am 30. März 2012 mit rund 350 teils prominenten Gästen in der Hamburger Handelskammer seine jährliche Hauptveranstaltung abhielt, da war der Präsident der Mongolei, Tsachiagiin Elbegdordsch, als Festredner geladen. Kernthema des Abends sei »die Rohstoffpartnerschaft zwischen Deutschland und dem ostasiatischen Land zur Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung« gewesen, berichtete der OAV. Der Präses der Hamburger Handelskammer hatte in einer Ansprache darauf hingewiesen, daß in der Mongolei »über 16 Prozent der weltweiten Vorkommen an Seltenen Erden vermutet« würden, »also des Rohstoffs, der uns nach meiner Überzeugung in den nächsten Jahren mehr, als uns lieb ist, beschäftigen wird«. Präsident Elbegdordsch ermutigte die anwesenden deutschen Unternehmer, ihre Geschäfte mit seinem Land zu intensivieren: »Falls Sie bei der Einreise in die Mongolei Probleme bekommen sollten, sagen Sie, Sie kämen auf offizielle Einladung des Präsidenten!«

113jährige koloniale Tradition

Die jährliche OAV-Hauptveranstaltung trägt übrigens den merkwürdigen Titel »Ostasiatisches Liebesmahl«. Dabei handele es sich um eine Tradition aus dem 19. Jahrhundert, erläutert der Verband: »Damals trafen sich in Asien lebende Vertreter der deutschen Kaufmannschaft regelmäßig zu Herren­essen. In der Zeit des Ostasien-Geschwaders der kaiserlichen Marine luden dessen Kommandanten bei Besuchen in den fernöstlichen Häfen die dortigen deutschen Kaufleute zu einem festlichen Dinner an Bord ein, das nach preußischer Tradition Liebesmahl genannt wurde.« Den Begriff benutzte das preußische Offizierskorps seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Tat – unter Rückgriff auf die Bezeichnung religiös geprägter Gemeinschaftsessen von Zünften, Gilden oder pietistischen Zirkeln. Die Zeit der »Ostasien-Geschwader der deutschen Kriegsmarine« – das war übrigens die Gründungszeit des OAV.

Im Zuge der Versuche europäischer Mächte, China zu kolonialisieren, hatte auch das Deutsche Reich seine Kriegsmarine dorthin entsandt. Unter einem Vorwand besetzten deutsche Einheiten am 14. November 1897 die Ortschaft Qingdao (»Tsingtau«) in der Bucht von Jiaozhou (»Kiautschou«); am 6. März 1898 zwangen sie der chinesischen Regierung einen Vertrag auf, mit dem das Deutsche Reich weite Landstriche auf 99 Jahre »pachtete« und sich insbesondere das »Recht« zur ökonomischen Ausplünderung der Region mittels Eisenbahn- und Bergbau nahm. Qingdao bauten sie zur »Musterkolonie« aus. Ein Besucher aus dem Reich berichtete bewundernd: »Es ist ein Stück Deutschland, das aus der Heimat dahin verpflanzt ist und bei diesem Umzug noch gewonnen hat.«[1]

Die chinesische Bevölkerung war weniger begeistert, insbesondere wegen der strikten deutschen Apartheidpolitik in Qingdao und wegen des selbstherrlichen Auftretens der Deutschen. Bald erhob sich bewaffneter Widerstand, der langsam eskalierte, als sich am 13. März 1900 16 Kaufleute und ein Oberlandesgerichtsrat am Hamburger Jungfernstieg zur Gründungsversammlung des Ostasiatischen Vereins trafen. Der Zusammenschluß hatte zum Ziel, die Interessen der deutschen Ostasien-Wirtschaft zu vertreten – und er tat das sogleich im Zusammenhang mit dem westlichen Kolonialkrieg der Jahre 1900 und 1901, zu dem Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in seiner berüchtigten »Hunnenrede« aufgerufen hatte: »Pardon wird nicht gegeben; Gefangene werden nicht gemacht.«

Der Krieg war noch nicht beendet, da kümmerte sich der OAV bereits um seine Klientel in der Apartheidkolonie »Tsingtau«. Während deutsche Truppen unter der chinesischen Bevölkerung Massaker verübten, machten sich OAV-Mitglieder in Hamburg dafür stark, von der chinesischen Regierung nicht nur Ersatz für materielle Schäden deutscher Geschäftsleute, sondern auch für während der Kriegswirren »entgangene (n) Gewinn auf Import- und Exportwaren« zu verlangen. Die Forderung hatte allerdings nur beschränkten Erfolg. Den Krieg hat der OAV übrigens auch direkt unterstützt – mit einer Spende für die Versorgung verwundeter Soldaten. Man war sich natürlich klar darüber, wer letztlich von der Niederschlagung des Widerstands profitierte.

Der OAV hat seit seiner Gründung im Jahr 1900 alle Phasen der deutschen Expansion mitgetragen. Im Ersten Weltkrieg forderte er zumindest besseren Zugang zu den Südprovinzen Chinas, am liebsten aber gleich den »Besitz von ganz Indochina für Deutschland«. Auf den Verlust der »Musterkolonie« folgte die Reorganisation des Verbandes und eine neue Expansion in der Zwischenkriegszeit. 1933 stellte sich der OAV »der nationalen Regierung im Reich (…) zur Verfügung«, um »der Stärkung des Überseedeutschtums, der Förderung des deutschen Ansehens und der Stärkung unserer Wirtschaftsstellung im Ausland zu dienen«. Während des Krieges wurde er, heißt es in einer ausführlichen Analyse, »von den nationalsozialistischen Führungskreisen (…) mit in das Zentrum wirtschaftlicher Interessenausrichtung in Fernost gerückt«.[2] Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden, wie üblich, die Kontinuitäten gewahrt: Als der OAV 1950 erstmals wieder sein »Liebesmahl« veranstalten konnte, hatte Alfred Albers den Vorsitz inne. Er war bereits 1942 zum OAV-Vorsitzenden ernannt worden, hatte das Amt aber 1946 auf Druck der Alliierten zunächst abgeben müssen. »Liebesmahl«-Festredner war 1950 übrigens Wilhelm Haas, damals Staatsrat im Bundeskanzleramt, zuvor bis 1937 Botschaftsrat in Tokio und dann im von Japan besetzten China tätig. Beim OAV kehrte bundesdeutscher Alltag ein.

Myanmar im Fokus

Zu den jüngsten Schwerpunkten des OAV zählt es, deutsche Unternehmen im aktuellen westlichen Run auf Myanmar zu unterstützen. Die neuen politischen Umstände machen es möglich und verlangen geradezu danach. Myanmar galt in der Zeit der Systemkonfrontation als ein wichtiger Stützpunkt im Kampf gegen sozialistischen Einfluß, verlor in den 1990er Jahren aber aus Sicht des Westens seine Bedeutung – und das brutal herrschende myanmarische Militärregime, mit dem nicht zuletzt die Bundesrepublik jahrzehntelang kooperiert hatte, mutierte, strategisch nutzlos geworden, rasch zum Objekt demonstrativer Menschenrechtspredigten westlicher Staaten. In den letzten zehn Jahren hat sich die strategische Lage jedoch von Grund auf geändert. China, das bislang einen erheblichen Teil seiner Rohstoffimporte aus Afrika und Mittelost auf dem Seeweg durch die »Straße von Malakka« transportieren muß – eine vom Westen leicht zu kontrollierende Meerenge vor Singapur –, hat vor einigen Jahren begonnen, seine Handelsrouten zu diversifizieren. Ende Juli ist eine erste Pipeline in Betrieb genommen worden, die Erdgas von der Küste Myanmars am Indischen Ozean auf rund 800 Kilometern Länge über Land in die südwestchinesische Provinz Yunnan leiten soll. Eine parallel verlaufende Erdölpipeline ist ebenfalls beinahe fertiggestellt; nun soll ein Transportkorridor mit Straßen und Eisenbahngleisen die Infrastruktur komplettieren.

In Myanmar geht es also, strategisch gesehen, um die Kontrolle von Chinas Versorgungswegen. Dem Westen ist es im Lauf der letzten Jahre gelungen, das myanmarische Militärregime zur Öffnung zu bewegen – weniger, wie meist behauptet wird, in Sachen Menschenrechten, sondern vor allem hinsichtlich seiner außenpolitischen Orientierung. Wie stark sich Myanmar an den Westen binden lassen wird, ist noch nicht klar; aber man ist sich sicher, daß es sich für westliche Unternehmen öffnet. Der große Run hat begonnen – und nun ist der OAV gefragt. »Myanmar war schon in der Kolonialzeit für seinen außerordentlichen Reichtum bekannt«, berichtete der Verband, als er im Herbst 2011 für eine große Unternehmerreise in das Land warb. Vor allem im Infrastrukturbereich seien Profite zu machen, heißt es seither, wenn der OAV wieder einmal eine Informationsveranstaltung oder eine weitere Unternehmerreise ankündigt: Die Wasserver- und -entsorgung liege nach Jahren westlicher Sanktionen ebenso darnieder wie die Energieversorgung oder der Straßenbau. Um eigene Ansprüche zu legitimieren, knüpft der OAV gerne auch an die Geschichte an. Er habe »eine besondere Beziehung zu Myanmar«, erklärte er anläßlich seines diesjährigen »Liebesmahls« am 22. März, zu dem U Soe Thane, Minister im Büro des myanmarischen Präsidenten, als Ehrengast geladen war: »Bereits 1853 wurde im damaligen Birma ein Hamburgisches Konsulat errichtet. Der OAV ernannte kurz nach seiner Gründung (…) einen Vertrauensmann in Rangun.« Der Verband sei nun »bestrebt, seine traditionelle Beziehung zu Myanmar weiter zu intensivieren«. Die »traditionelle Beziehung« zum damaligen Burma war diejenige zu einer europäischen Kolonie.

Im Blick auf Länder wie Myanmar, die sogenannte Entwicklungshilfe aus Deutschland empfangen, arbeitet der OAV eng mit dem Entwicklungsministerium zusammen. Denn dieses entwickelt inzwischen vor allem die deutsche Industrie. Am 5. August hat es gemeinsam mit dem OAV in seinem Dienstsitz in Berlin ein »Unternehmerforum Myanmar« organisiert, bei dem der myanmarische Planungsminister und der Vizeminister für Industrie zugegen waren. Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) schrieb in seiner Einladung: Myanmar, einst »eines der (…) reichsten Länder Südostasiens«, zeichne sich »durch seinen Reichtum an natürlichen Ressourcen wie Erdöl und Erdgas aus« und könne »durch die geopolitisch sehr günstige Lage« als »Tor nach Süd- und Südostasien« gelten. Es stehe überdies »am Anfang einer vielversprechenden wirtschaftlichen Entwicklung«. Der OAV berichtete nach dem Treffen zufrieden, Myanmars Industrie-Vizeminister habe angekündigt, »über Sonderzonen solle das Engagement ausländischer Unternehmen gefördert werden«. Weitere Hilfen für die deutsche Wirtschaft bot eine Mitarbeiterin der Entwicklungsorganisation sequa an: Sie erläuterte, wie deutsche Firmen die »Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit, wie sie von der sequa gGmbH angeboten würden«, in Myanmar nutzen könnten.

Zur besseren Nutzung entwicklungspolitischer Mittel durch entwicklungsbedürftige deutsche Unternehmen trägt der OAV inzwischen auch strukturell bei. Das Niebel-Ministerium hat in die OAV-Geschäftsstelle in der Hamburger Bleichenstraße einen sogenannten EZ-Scout entsandt, der – wie in anderen Wirtschaftsverbänden auch – deutschen Unternehmen die Angebote der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) nahebringen soll. So stellt das Ministerium unter anderem für Investitionen und für die dazu erforderlichen Machbarkeitsstudien Fördergelder bereit, berät deutsche Firmen bei ihrer Expansion und unterstützt ihre Kooperationsprojekte im Zielland. Gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen unter seinen Mitgliedern profitierten vom Wirken des »EZ-Scouts«, berichtet der OAV: Ihnen böten die »Entwicklungs«programme »wichtige Hilfestellungen, um Eintritt und Erfolg in die nicht immer ganz einfachen Märkte der Entwicklungs- und Schwellenländer« etwa Südostasiens »nachhaltig abzusichern«.

Anmerkungen
  1. Bernd Eberstein: Der Ostasiatische Verein 1900–2000. Hamburg 2000
  2. Mechthild Leutner (Hg.): Deutschland und China 1937–1949. Politik – Militär – Wirtschaft – Kultur. Berlin 1998
* Jörg Kronauer ist Sozialwissenschaftler, freier Journalist und Redakteur bei german-foreign-policy.com.

Aus: junge Welt, Dienstag, 27. August 2013



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