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Stunde der Revolutionäre

In der Ölrepublik Aserbeidschan setzt die Opposition auf das Gesetz der Serie in Mittelasien, während sich die USA vorsichtig von Präsident Ilham Alijew absetzen

Von Markus Bernath*

Der Parteichef ist an den Stadtrand verbannt worden. Wie ein König im Exil sitzt Isa Gambar in einem abgedunkelten Raum im ersten Stock, der ihm nun als Bürozimmer dient, und grollt. Eine holzgetäfelte Tür - die einzige in diesem abgewrackten Gebäude im 7. Bezirk von Baku - weist den Weg zum Vorzimmer des Oppositionsführers. Unten, auf dem Kiesweg vor dem Eingang, steht sein Mercedes. Isa Gambar mag die Symbole der Macht. Leider macht es ihm Aserbeidschans Regierung nicht eben leicht. Die Zentrale der Musavat-Partei am Aserbeidschan-Prospekt im Zentrum von Baku hat sie im Gefolge der Präsidentschaftswahlen vom Herbst 2003 und den Zusammenstößen zwischen Polizei und Opposition kurzerhand geschlossen. Isa Gambar, der zur Zeiten der Volksfront-Regierung Anfang der neunziger Jahre Parlamentspräsident war, muss seither auf einem aufgelassenen Fabrikgelände residieren, eine Dreiviertelstunde Fahrt von der Innenstadt entfernt. Dort plant er die Revolution, so ruhig und von sich selbst überzeugt wie im Oktober 2003, als er seinen Wahlsieg über Ilham Alijew, den Sohn des damals im Sterben liegenden Staatschefs Gaidar Alijew, ankündigte.

"Unsere Priorität sind freie und demokratische Wahlen", sagt er heute mit Blick auf die Parlamentswahlen im November. "Doch wenn die Behörden die Ergebnisse wieder fälschen, wird ein öffentlicher Aufruhr unvermeidlich sein, und wir nehmen die Verantwortung für einen friedlichen Machtwechsel auf unsere Schultern."

Botschaft der Amerikaner

Die Ölrepublik Aserbeidschan wird für die nächste Folge der Revolutionsserie in den früheren Sowjetrepubliken sorgen. Alle wissen das in Baku. Dass die Opposition, die viel geeinter als in der Vergangenheit auftritt und sich zu Wahlblöcken zusammengeschlossen hat, im Grunde den Wahlgang nicht ernst nimmt, weil sie sich gar nichts anderes als eine grobe Fälschung vorstellen kann, macht die Sache nur noch unausweichlicher. Das Regime von Ilham Alijew sei gar nicht fähig zu einem demokratischen Wandel, meint Isa Gambar, das aserbeidschanische Volk und internationaler Druck müssten es dazu zwingen.

Spätestens am Tag nach der Parlamentswahl im Herbst wird die Opposition also das Ergebnis zurückweisen und zum Aufstand rufen. Doch darf bezweifelt werden, ob Isa Gambar, Ali Kerimli oder Lela Schowket derzeit tatsächlich den großen Rückhalt in der Bevölkerung haben, den sie für sich reklamieren. Denn die Aserbeidschaner warten jetzt erst einmal auf den Wirtschaftsaufschwung und das Ende der Armut, das mit den Öldollars besiegelt werden soll. Zur wirklichen Revolte mag es so erst in zwei oder drei Jahren kommen, sollte die Regierung nicht belegen können, dass sie die Einnahmen aus der gerade eingeweihten Ölpipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan (BTC/s. Karte) für das Allgemeinwohl verwandt hat.

Bei den Präsidentschaftswahlen im Herbst 2003 hatte die Wahlkommission Isa Gambar nicht einmal 14 Prozent der Stimmen zugebilligt. Bei einem von der OSZE als weithin irregulär beurteilten Votum war Ilham Alijew seinem Vater im Präsidentenamt nachgefolgt und hatte so eine Art Monarchie im Ölstaat am Kaspischen Meer fortgeschrieben. Die Mehrheit der Stimmen dürfte er seinerzeit gewiss erhalten haben, wenn auch nicht die offiziellen 77 Prozent. Vater Alijew stand für Stabilität im Land und die Ölverträge mit dem Westen - der Opposition wurden der verlorene Krieg gegen Armenien und der wirtschaftliche Ruin angelastet. Inzwischen kann Ilham Alijew mit diesem Raster nicht mehr viel bewirken. Die internationale Lage habe sich geändert, sagt sein Außenminister Elmar Mammadyarow. "Demokratie, der Rechtsstaat, die Menschenrechte sind für die Menschen ganz einfach wichtiger geworden." In seinem Büro hängt immer noch das Porträt des verstorbenen Gaidar Alijew.

Der politische Druck des Westens macht sich bemerkbar. Im April begab sich Rino Harnish, der US-Botschafter in Baku, auf eine eher ungewöhnliche Rundreise durch die Provinz und besuchte reihenweise Oppositionspolitiker. Das schien mehr als ein Indiz dafür zu sein, dass die US-Regierung nunmehr bereit ist, den bisher geduldeten Ilham Alijew fallen zu lassen, sollte ihr Mann an der Ölpipeline tatsächlich mit Wahlfälschungen und Polizeigewalt die Mehrheit seiner Neuen Aserbeidschan-Partei (YAP) im Parlament sichern wollen. Washington und der BP-Konzern - Mehrheitsaktionär der neuen Pipeline, die Russlands Energiemonopol in der Region brechen soll - sind dabei kaum an einer weiteren Revolution in einer früheren Sowjetrepublik interessiert, sehr wohl aber an einer Zügelung der Korruption, von der das Ölgeschäft nicht länger über Gebühr beeinträchtigt werden soll. Transparency International zählt Aserbeidschan weiter zu den zehn korruptesten Staaten der Welt (Platz 140 von 146 untersuchten Ländern).

Ilham Alijew hat diese Botschaft wohl verstanden - ob er in der Lage sein wird, in den noch verbleibenden fünf Monaten bis zur Wahl eine glaubhafte Demokratisierung ins Werk zu setzen, ist weit weniger sicher. Auf alle Fälle verordnete der Absolvent der Moskauer Hochschule für Internationale Beziehungen und einstige Kasinobesitzer per Dekret "die Organisation freier Wahlen" und drohte seinen Beamten rechtliche Schritte an, sollten sie dabei gegen demokratische Regeln verstoßen. "Inkompetenz einiger Mitglieder der Wahlkommissionen und der häufige Mangel an Verantwortungssinn" wie auch die "post-sowjetische Mentalität" seien der Grund für Unregelmäßigkeiten bei Wahlgängen in der Vergangenheit gewesen, schrieb der Präsident in seinem Dekret, das Spekulationen bediente, er könnte vielleicht doch nicht so fest im Sattel sitzen, wie er gern glauben macht.

Cocktail für Verschwörungstheorien

"Seltsame Dinge geschehen", sagt Arsun Abdullajewa, eine Bürgerrechtlerin, die versucht, sich einen Reim auf das "great game" zu machen, das Pokern um Macht und Öl in Aserbeidschan. Ein offenbar politisch motivierter Mord an einem Journalisten, dessen Aufklärung nicht recht in Gang kommen will; eine Verbrecher-Clique, die jahrelang aus dem Innenministerium heraus operierte; die kommenden Wahlen natürlich und Moskaus langer Arm, der eine weitere Revolution in einer früheren Sowjetrepublik vereiteln will; die Begehrlichkeiten der Amerikaner schließlich, die drei kleine Militärbasen in Aserbeidschan und damit in nächster Nähe zum Iran einrichten wollen - all das ergibt einen Cocktail für Verschwörungstheorien.

Arsun Abdullajewa, die angibt, bis vor kurzem noch Todesdrohungen erhalten zu haben, erweitert dieses Puzzle noch. Zwei Dutzend Soldaten seien in den vergangenen zwei Monaten bei Gefechten an der Waffenstillstandslinie zwischen Aserbeidschan und Armenien getötet worden. Irgendjemand müsse den Befehl zu diesen überraschenden Feuergefechten gegeben haben, meint die Bürgerrechtlerin. Beide Regierungen - die aserbeidschanische wie die armenische - hätten die Absicht, den Konflikt um die Enklave Berg-Karabach neu zu entfachen. "Beide haben Angst vor einer Revolution im anderen Land."

Nicht minder verstörend wirkt der "Fall Haji Mamedow". Der Leiter der Abteilung für Verbrechensbekämpfung im aserbeidschanischen Innenministerium war im März verhaftet worden. Das amerikanische FBI hatte auf Bitten von Präsident Alijew bei Ermittlungen in einem Entführungsfall geholfen und eine Mobilfunknummer zurückverfolgt. Mamedow wurde überführt und gestand bisher neun Entführungen und drei Morde seiner aserbeidschanisch-tschetschenischen Bande in den vergangenen zehn Jahren. Dass er seinen finsteren Geschäften über einen so langen Zeitraum ohne Wissen und Beteiligung Höhergestellter im Staatsapparat nachgehen konnte, glaubt niemand. Wem aber nutzten die Verbrechen? Ilham Alijew jedenfalls ließ Innenminister Usebow, Mamedows Vorgesetzten, im Amt und belobigte ihn für die "umfassende Aufklärung".

Während OSZE-Diplomaten und EU-Emissäre nun auf die Regierung und die Oppositionsparteien einreden, einen "code of conduct" für die Parlamentswahlen zu akzeptieren und so das Risiko einer möglicherweise gewalttätigen Volksrevolte klein zu halten, gehen die Machtkämpfe innerhalb des Regimes weiter. Bakus Bürgermeister, ein ständiger Unruhefaktor in der Regierungspartei, war unklug genug, wenige Tage vor der offiziellen Feier zur Eröffnung der BTC-Pipeline eine Demonstration der Opposition - die erste seit den Präsidentschaftswahlen 2003 und der nachfolgenden Verhaftungswelle - zu verbieten. Musavat, Volksfront und Demokratische Partei Aserbeidschans ließen sich natürlich nicht von der Kundgebung am 21. Mai abbringen; Sondereinheiten der Polizei prügelten die Demonstranten vor dem Bahnhof der Hauptstadt auseinander - ganz wie im Oktober 2003, einen Monat vor der "Rosen-Revolution" in Georgien.

"Schwarze Schätze" am Kaspischen Meer

Nachgewiesene Vorkommen [1]Vermutete Vorkommen
Kaspisches Meer 0,37,0 - 7,5
Kasachstan9,0 - 17,592,0 - 95,0
Turkmenistan0,6 - 1,738,0
Aserbeidschan7,0 - 12,532,0
Usbekistan0,3 - 0,62,0 - 2,5
Iran0,115,0 - 17,0
Zum Vergleich
Russland60,0 - 70,077,0
USA22,0 - 29,075,0

[1] Angaben in Milliarden Barrel (Ein Barrel entspricht 159 Litern)

Quelle: US-Energy Information Agency

* Aus: Freitag 22, 3. Juni 2005


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