Nicht nur Theaterdonner aus Baku
Wieder kein Durchbruch bei Verhandlungen um Berg-Karabach
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Die Verhandlungen zum Konflikt um Berg-Karabach, einer von Armeniern bewohnten, aber zu
Aserbaidshan gehörenden Region, die sich 1988 für unabhängig erklärte, seien ein »Schritt nach
vorn«. So Bernard Fassier, der Vertreter Frankreichs, nach dem Treffen beider Präsidenten am
Sonntag (22. Nov.) in München.
Frankreich, Russland und die USA haben den Vorsitz in der Minsker OSZE-Gruppe. Sie vermittelte
1994 zwar einen Waffenstillstand zwischen den Parteien im Konflikt um Berg-Karabach, konnte
diese bisher aber nicht auf eine einvernehmliche Lösung festlegen. Armenien besteht auf
Friedensschluss ohne Vorbedingungen, Aserbaidshan auf vorheriger Rückgabe jener Gebiete, die
Armenien 1993 besetzte, um einen Korridor nach Berg-Karabach zu öffnen, und auf einem
Volksentscheid über den künftigen Status von Karabach mit Beteiligung der 1988 vertriebenen Aseri.
Der Durchbruch misslang auch in München. Dennoch, so Vermittler Fassier, habe es eine
Annäherung der Positionen gegeben. Noch offene Fragen sollen die Außenminister beider Staaten
Anfang Dezember am Rande der OSZE-Konferenz in Athen klären. Zu Details wollte der Diplomat
sich nicht äußern. Auch die Staatschefs Armeniens und Aserbaidshans - Sersh Sarkisjan und Ilham
Alijew - vermieden jeden Kontakt mit der Presse. Alijew hatte dazu gute Gründe. Er hatte einen Tag
vor dem Gipfel bei einem Treffen mit Flüchtlingen aus Karabach - durch den Konflikt waren über
eine Million Menschen vertrieben worden und etwa 30 000 ums Leben gekommen - erklärt, in
München werde sich entscheiden, ob Aserbaidshan die besetzten Gebiete mit Waffengewalt
zurückhole. Baku habe eine militärische Lösung nie ausgeschlossen, ein Recht dazu und die
vorderste Linie der Front personell bereits aufgestockt.
Derartige Töne erklären Experten vor allem damit, dass Armenien mit Erbfeind Türkei im September
die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Öffnung der Grenze beschloss. Diese hatte
Ankara 1993 aus Solidarität mit Aserbaidshan - beide sind ethnische Verwandte sowie
Kooperationspartner in Wirtschaft und Politik - dichtgemacht, um Armenien zum Einlenken in der
Karabach-Frage zu zwingen. Nun, so fürchtet man in Baku, könnte der Druck nachlassen - und die
Türkei könnte Armenien, das bisher fest zu Moskau steht, einen Übertritt in das Lager prowestlicher
Republiken mit politischen und wirtschaftlichen Vergünstigungen vergolden.
Türkische Beteuerungen, die Abmachungen mit Armenien verstießen nicht gegen Bakus Interessen,
nahm man dort skeptisch auf. Russische Experten halten Alijews Kriegsdrohungen daher nicht nur
für Theaterdonner. Armenien, so Ruslan Puchow vom Zentrum für strategische Analysen, könne
sich, obwohl Mitglied des Verteidigungsbündnisses der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS, nicht
mehr zwingend auf militärischen Beistand Russlands verlassen. Denn nach der Normalisierung der
Beziehungen zur Türkei sei ein außenpolitischer Kurswechsel in Jerewan eine reine Zeitfrage,
Präsident Sarkisjan ein Pragmatiker und zudem von der prowestlichen Opposition hart bedrängt.
Moskau sieht das offenbar ähnlich. Zumal Aserbaidshan längerfristig der attraktivere Partner ist.
Gegen Berücksichtigung energiepolitischer Interessen Russlands in der Kaspi-Region deutete
Präsident Dmitri Medwedjew daher schon mehrfach Bereitschaft zu einem Frontenwechsel in der
Karabach-Frage an. Um Details dürfte es bei Alijews heutigem Besuch gehen.
* Aus: Neues Deutschland, 24. November 2009
Präsidenten Russlands und Aserbaidschans sprachen über Karabach-Regelung
Die Präsidenten Russlands und Aserbaidschans, Dmitri Medwedew und Ilcham Alijew, haben am Dienstag (24. Nov.) bei ihrem Treffen in der russischen Wolga-Stadt Uljanowsk unter anderem das Karabach-Problem zur Sprache gebracht.
Das teilte Medwedews Sprecherin Natalia Timakowa Journalisten mit. Alijew habe Medwedew über die Ergebnisse der turnusmäßigen Verhandlungen mit Armeniens Präsident Sersch Sargsjan informiert. Medwedew habe das Vorankommen der Gespräche begrüßt und den Partnern versichert, dass Moskau auch künftig alle nur möglichen Anstrengungen zur Beilegung dieses Konflikts unternehmen werde, sagte Frau Timakowa.
Der Konflikt in der hauptsächlich von Armeniern bewohnten völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörenden Region Berg-Karabach brach im Februar 1988 aus, nachdem das Autonome Gebiet Berg-Karabach Karabach mit Verwaltungszentrum in Stepanakert den Austritt aus dem Staatsverband der damaligen Aserbaidschanischen SSR verkündet hatte. Im September 1991 rief Stepanakert die Republik Berg-Karabach aus, zu der das frühere autonome Gebiet und einige benachbarte von Armeniern bewohnte Siedlungen gehörten. Baku erklärte diesen Schritt für gesetzwidrig und löste die Autonomie von Karabach auf.
Darauf kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Die Karabach-Armenier wurden von armenischen Diasporen in aller Welt unterstützt, während Aserbaidschan mit Gewalt versuchte, die Abspaltung der Region zu verhindern. Am 12. Mai 1994 trat ein Waffenstillstandsabkommen in Kraft. Aserbaidschan verlor seine Kontrolle über Berg-Karabach sowie vollständig bzw. teilweise über sieben benachbarte Kreise.
Verhandlungen über die friedliche Beilegung des Konflikts werden seit 1992 im Rahmen der Minsker OSZE-Gruppe geführt. Ihre Kovorsitzenden sind die USA, Russland und Frankreich. Bei dem Konflikt kamen geschätzt rund 30 000 Menschen ums Leben.
** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 24. November 2009; http://de.rian.ru
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