Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Säbelrasseln rund um Berg-Karabach

Drohungen werden wieder lauter

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Bisher sind es nur Drohungen, doch die nehmen an Aggressivität deutlich zu: Die Spannungen um Berg-Karabach, die zu Aserbaidshan gehörende, mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region, die sich 1988 für unabhängig erklärt hatte, werden wieder angeheizt.

Sollte Aserbaidshan Gewalt anwenden und sich in ein neues »militärisches Abenteuer« stürzen, werde Armenien die Sicherheit der Bevölkerung Berg-Karabachs »mit allen verfügbaren Mitteln gewährleisten« und die Unabhängigkeit der Region juristisch verbindlich anerkennen, drohte der armenische Präsident Sersch Sargsjan ausgerechnet auf dem Gipfel der Organisation des Vertrags für Kollektive Sicherheit, des Verteidigungsbündnisses der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS.

Fast zeitgleich berichtete die russische »Nesawissimaja Gaseta«, der armenischen Nationalversammlung lägen bereits mehrere Resolutionen zur Anerkennung Berg-Karabachs vor. Zwar scheiterte eine Abstimmung letzten Freitag am Boykott der regierenden Koalition aus drei Parteien. Die hielten einen solchen Beschluss noch für verfrüht – vermutlich weil die Oppositionspartei »Erbe« den Antrag eingebracht hatte. Ihr eigenes Papier halten Sargsjans Republikaner derzeit noch unter Verschluss. Dafür machen die Medien bereits für einen neuen Waffengang im Südkaukasus mobil. In Armenien wie in Aserbaidshan.

Aserbaidshan droht mit einer Anti-Terror-Operation in Berg-Karabach, Armenien und die Separatisten versprechen eine »adäquate Antwort«. Da Journalisten von beiden Regierungen an sehr kurzer Leine geführt werden, ist derartiges Säbelrasseln ohne Auflassung von ganz oben undenkbar. Ebenso die Kenntnis brisanter Details. Zeitungen in Jerewan wie in Baku berichten, die jeweilige Diaspora sammle bereits Geld für Waffenkäufe und wolle bei Bedarf 150 000 bis 200 000 Freiwillige und Söldner in den Krieg schicken. Ein paar hundert Legionäre sind nach Erkenntnissen der »Nesawissimaja« bereits in der Krisenregion.

Die Großwetterlage im Südkaukasus, urteilt auch Konstantin Satulin, der Vizevorsitzende des Duma- Ausschusses für GUS-Angelegenheiten, habe sich rapide verschlechtert. Experten sehen das genauso und machen dafür neben der Entlassung Kosovos in die Unabhängigkeit durch den Westen und der Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland auch die OSZE im Allgemeinen und Kasachstans schwache Vorstellung als Vorsitzender im laufenden Jahr verantwortlich. Angetreten mit dem Anspruch eines Konfliktmanagers auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR, habe Kasachstans Regierung nicht nur die Nachbarn in Kirgistan durch Passivität bei den Unruhen im Juni enttäuscht. Auch der Konflikt um Berg-Karabach habe sich 2010 zugespitzt.

In der Tat: Es gab wieder Positionsgefechte, Tote und Verletzte auf beiden Seiten. Und die Vermittlungsversuche der 1994 von der OSZE eingesetzten »Minsker Gruppe« – Russland, Frankreich, USA – treten seit Jahren auf der Stelle. Baku will erst nach der Rückgabe umliegender Gebiete verhandeln, die Armenien 1993 besetzte, um einen Korridor in die Exklave zu schlagen, Jerewan pocht auf Verhandlungen ohne Vorbedingungen und will die vertriebenen Aseri nicht an der Abstimmung über den künftigen Status Berg-Karabachs beteiligen. Dessen Bevölkerung – seit 1988 so gut wie ausschließlich Armenier – habe bereits bei zwei Volksentscheiden für Unabhängigkeit gestimmt Russland Präsident Dmitri Medwedjew brachte zwar Sargsjan und dessen aserbaidshanischen Amtsbruder Ilham Alijew zusammen auf die Couch, doch eine Lösung des Konflikts rückte nicht näher.

An Berg-Karabach scheiterte auch die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien, die vor allem für Jerewan von Vorteil gewesen wäre. Die Republik muss, weil die Türken ihre Grenzen aus Solidarität mit den ethnisch eng verwandten Aseri 1993 schloss, ihren gesamten Außenhandel über Iran abwickeln, was auch der aktiven Teilnahme am EU-Projekt östliche Partnerschaft enge Grenzen setzt.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Dezember 2010


Zurück zur Aserbeidschan-Seite

Zur Armenien-Seite

Zur Kaukasus-Seite

Zurück zur Homepage