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Schatzkammer Arktis?

von Jürgen Nieth *

Im August 1989 öffnete Moskau zum ersten Mal für westeuropäische Journalisten die Tore von Barentsburg, mit 1.500 Einwohnern die zweitgrößte Siedlung auf dem zu Norwegen gehörenden Spitzbergen. Damals baute die Sowjetunion Untertage Steinkohle ab, genau wie Norwegen nahe der Inselhauptstadt Longyearbyen. Angesichts des Permafrostes, extremer Witterungs- und komplizierter Transportbedingungen sind damit hohe Risiken verbunden und die Produktion ist völlig unrentabel. Unter Gorbatschow demonstrierte die Sowjetunion auch auf Spitzbergen »Glasnost«, trotzdem war allen Beteiligten klar: Auch wenn es in Barentsburg keine sichtbaren militärischen Anlagen gab, der Steinkohleabbau war nur Vorwand, um während des Kalten Krieges aus strategischen Gründen auf der Insel Dauerpräsenz zu zeigen. Die Route über den Pol ist die kürzeste Verbindung zwischen den USA und der Sowjetunion und möglich wurde die sowjetische Siedlung auf Grund des internationalen »Spitzbergen-Abkommens « von 1920.

20 Jahre später hat sich die Situation völlig gewandelt: Jetzt ist die Ressourcenausbeutung in der Arktis- Region nicht Vorwand, sondern Ziel. Für den Zugriff auf Öl und Gas werfen die Anrainerstaaten ihre politische Macht in die Waagschale, mobilisieren sie fast alles, was wissenschaftlich-technisch möglich ist. In der Folge wird statt von Glasnost und Tauwetter wieder von „Kalter Krieg am Nordpol“ (Titel einer ARTE-Sendung vom 27.01.09) oder „Vom Kalten Krieg zur heißen Arktis“ (NZZ, 22.01.09) gesprochen.


Das Nordpolarmeer ist der kleinste der fünf Ozeane. Es ist von der eurasischen Landmasse (Europa und Asien) sowie von Nordamerika und Grönland eingeschlossen. Dieser Ozean besteht aus einem Tiefseebecken und den Randmeeren Barents-, Kara-, Laptew-, Tschuktschen-, Beaufort- Lincoln- und Grönland-See. Das Besondere an diesem Ozean ist, dass der Festlandsockel weit in das Meer hineinreicht und genau in diesem Festlandsockel werden große Rohstoffreserven vermutet.

Run auf Gas und Öl

Bereits heute wird ein Zehntel allen Erdöls und ein Viertel allen Erdgases in der Arktis gefördert. Den größten Anteil hat Russland. Die USA fördern Öl in Alaska und die Norweger drängen immer weiter in den Norden. Auf halben Weg zwischen Nordkap und Spitzbergen unterhalten sie in der Barentssee die nördlichste Bohrplattform. Das Gasfeld Ververis gilt „als Testgebiet für die weitere Erschließung der arktischen Energieressourcen“ (Spiegel, 15.09.08). Es geht vor allem um Öl und Gas, aber auch bei der Ausbeutung anderer Rohstoffe dringen die Anrainerstaaten immer weiter nach Norden vor.

Das kanadische Arktisterritorium Nunavut erlebt zur Zeit einen Run auf Basismetalle, Eisenerz, Edelsteine und Uran; im Nordwestterritorium geht es um Nickel, Kupfer und Platin und im Yukon um Gold, Diamanten und Öl (Handelsblatt, 14.04.08). Auf der Kola- Halbinsel fördert Russland Nickel, Kupfer und Eisenerz, in Norilksk Nickel und Kupfer, in Ostsibirien Zinn und Gold. Skandinavien baut Eisen, Kupfer und Gold ab und Alaska Zink und Blei. Hier lagern auch bedeutende Mengen nichtmetallischer Rohstoffe wie Diamanten und Gesteine.

Die Ergebnisse einer Expertenuntersuchung aus den USA dürften jetzt den Drang nach Norden weiter verstärken. Nach Schätzungen der US Behörde für geologische Forschung (USGS) vom Juli 2008 lagern geschätzte 90 Milliarden Barrel Erdöl, 47,3 Billionen Kubikmeter Erdgas und 44 Milliarden Barrel Flüssiggas nördlich des Polarkreises (USGS 2008); das ist mehr als ein Fünftel aller bisher unentdeckten Öl- und Erdgas- Ressourcen. Ein Drittel der geschätzten 90 Milliarden Barrel Öl befindet sich nach Angaben der USGS auf dem Gebiet Alaskas. Drei der fünf größten Lagerstätten von Öl und Gas liegen vor der russischen Küste (siehe Kasten).

Die Seerechtskonvention

Hoheitszonen
Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen ist im Wettstreit um die Arktis das maßgebliche Dokument. Es teilt die Meere in nationale und internationale Hoheitsgebiete. Mit 320 Artikeln ist sie sehr umfangreich. Sie trat 1994 in Kraft und wurde bisher von 155 Staaten ratifiziert. Als einzige große Industrienation haben die USA die Konvention bisher nicht ratifiziert.

Allgemeine Regel
Küstenstaaten haben ein Recht auf eine »ausschließliche Wirtschaftszone« von 200 Seemeilen. Dieses Hoheitsrecht erlaubt ihnen die alleinige Fischerei und die Ausbeutung der Bodenschätze.

Wichtige Ausnahme
Kann ein Staat nachweisen, dass sich der eigene Festlandsockel unter der Meeresoberfläche fortsetzt, können die Vereinten Nationen dem Land einen größeren Nutzungsbereich auf dem Meeresboden zugestehen. Die Konvention setzt als Grenze 350 Seemeilen. Diese kann aber weiter über dem Festlandsockel in das Meer hinaus verlagert werden bis zu einem Punkt, wo das Meer 2500 Meter tief ist und darüber hinaus noch 100 Seemeilen.

Zeitplan
Der Wettlauf um die Arktis ist aktuell auch deshalb so stark entbrannt, weil es Fristen für die Anmeldung von Ansprüchen gibt. Die Staaten müssen ihre Ansprüche zehn Jahre nach Ratifizierung angemeldet haben. Für die meisten Staaten ist das der Mai 2009 (die Staaten, die die Konvention vor 1999 ratifiziert haben, haben eine entsprechende Verlängerung erhalten). Kanada hat erst 2003 ratifiziert und entsprechend Zeit bis Ende 2013 und Dänemark sogar bis 2014.



Die Euphorie etwas dämpfend hielten die Wissenschaftler fest, dass es sich nur um Schätzungen handelt, die erst durch Probebohrungen bestätigt werden müssten; auch gebe es noch keine Berechnungen über die Erschließungskosten und damit keine Wirtschaftlichkeitsprognosen. Trotzdem herrscht ungebrochener Optimismus in Russland: „Wir erhoffen uns Vorkommen von Öl und Gas, die etwa 20 Prozent der russischen Reserven entsprechen“, so Sergej Donskoii, russischer Vizeminister für Umwelt und Naturressourcen auf der Konferenz »Arctic Frontiers « im Januar 2009 im norwegischen Tromsö (Spiegel, 26.01.09). Ungetrübt ist auch der Optimismus in Norwegen: „Zurzeit werden im Öl- und Energieministerium in Oslo Anträge von 46 Ölgesellschaften zu insgesamt 301 neuen Bohrprojekten untersucht. 129 davon befinden sich in der Barentssee zwischen dem norwegischen Festland und Spitzbergen.“ (NZZ, 22.01.08) (siehe Tabelle)

Die fünf größten Öl- und Erdgasvorkommen in der Arktis

Förderregionen Öl
Millionen
Barrel
Gas
Milliarden
Kubikmeter
Gesamt *
Millionen
Barrel
1 Westsibirisches Becken 3.660 18.448 132.572
2 Arktisches Alaska 29.961 6.269 72.766
3 Östliche Barentssee 7.406 8.992 61.755
4 Ostgrönländischer Graben 8.902 2.440 31.387
5 Jenisei-Chatanga-Becken 5.584 2.831 24.920

* Summe aus Öl- und Gasvorkommen.
Gas Volumina umgerechnet in energie-äquivalente Mengen Erdöl
Quelle: USGS 2008

Klimawandel und neue Technik

Dass bei der Rohstoffgewinnung die Arktis stärker ins Blickfeld rückt, hat zwei Voraussetzungen: den Klimawandel und neue wissenschaftlich-technische Entwicklungen.

Klimawandel

Die Eisgrenze zieht sich im Sommer immer weiter Richtung Pol zurück. Dieminimale Eisausdehnung betrug 2008 nur noch etwa 4,3 Millionen Quadratkilometer. Das ist die zweitniedrigste Ausdehnung, die jemals beobachtet worden ist, nach 2007 mit etwa 3,9 Millionen. In den 1980er Jahren waren es noch sieben Millionen. In der Süddeutschen Zeitung (20.09.08) schreibt Georg Heygster, Akademischer Direktor am Institut für Umweltphysik der Universität Bremen: „Wir haben im Sommer 2008 keine Eisfläche vorgefunden, die nur annähernd im Mittel der jahrelangen Messungen läge.“ Bereits 2007 hatten Messungen der Meereseisdicke des deutschen Forschungsschiffes »Polarstern« „eine deutliche Reduktion von etwa einem Meter ergeben“ (Bild der Wissenschaft, Juli 2008). In der Folge waren 2008 erstmals die Nordwest- und die Nordost-Passage rund um den Pol gleichzeitig schiffbar.

Nach Temperaturaufzeichnungen im nördlichsten ganzjährig bewohnten Ort der Welt, dem norwegischen Ny Alesund auf Spitzbergen, sind zwischen 2003 und 2006 die Temperaturen im Jahresmittel um 3,2 Grad gestiegen (Bild der Wissenschaft, Juli 2008). Und zahlreiche WissenschaftlerInnen befürchten, dass sich das arktische System in einem »selbstverstärkenden Erwärmungsprozess« befindet, der in den nächsten Jahren nicht zu bremsen ist. Der zunehmende Abschmelzungsprozess im Sommer führe dazu, dass weniger Sonnenstrahlen durch das Eis reflektiert und mehr durch das Wasser aufgenommen würden. Die erhöhte Wassertemperatur führe wiederum zu einer späteren Vereisung im Herbst. Die »American Geophysical Union« spricht davon, dass im November 2008 die Fläche mit neu gefrorenem Wintereis 680.000 Quadratkilometer kleiner war als im Durchschnitt der Jahre 1979 bis 2000. Der kanadische Klimaforscher David Barber kommt zu der Schlussfolgerung, dass man unter Umständen bereits 2015, 100 Jahre früher als bisher erwartet, mit einer eisfreien Arktis rechnen kann (TAZ, 19.12.08).

Der Geophysiker Wilfried Jokat vom Alfred-Wegner-Institut in Bremen weist in der Frankfurter Rundschau (26.05.08) auf weitere Faktoren hin, die zu einer Beschleunigung der Erwärmung führen können, wie z. B. die Freisetzung von Millionen Tonnen Methan bei einem Auftauen der Permafrostböden. „Das Gas ist 21 mal so klimaschädlich wie Kohlendioxid. Werden diese Treibhausgase frei, wird sich der Klimawandel noch einmal beschleunigen.“ (WWF-PE vom 25.04.08)

Neue Techniken

Während in Kanada und den USA bisher noch weitere Erkundungsbohrungen vor der Arktisküste durch Gerichtsklagen verhindert werden, strebt Norwegen die führende Rolle bei der Erschließung arktischer Lagerstätten an. In Trondheim sitzt eine ganze Abteilung daran, „neue Techniken für die harsche Umgebung der Arktis zu entwerfen. Die Ingenieure erproben, wie man mit Schleppern Eisberge wegzerrt. Sie testen spezielle Lösungsmittel, die das Öl im eiskalten Wasser binden. Sie entwerfen Tankerrümpfe, die nicht vom Eis zermalmt werden. Im ersten produzierenden Gasfeld der Barentssee, Snöhvit genannt, hat (der norwegische Staatskonzern) StatoilHydro die gesamte Produktionsanlage auf den Meeresboden verlegt, ungestört können die Eisberge über eine solche Anlage hinwegdriften.“ (Spiegel, 15.09.08)

Auch Russland plant nach Angaben der norwegischen Umweltschutzorganisation Bellona Unterwasserbohrplattformen, die in 70 bis 400 m Tiefe auf dem Meeresboden verankert werden. Bellona sieht hier aber eine besondere Gefährdung der arktischen Umwelt, weil zur Energieversorgung dieser Stationen Reaktoren mit einer 100 MW Leistung zum Einsatz kommen sollen. Auch in anderen Bereichen setze Russland auf die Atomkraft: „Mithilfe schwimmender Atomkraftwerke, atomgetriebener Eisbrecher und Tanker sowie dem Einsatz nuklearer Unterwasser-Bohrschiffe“ sollen die besonderen klimatischen und geologischen Hindernisse der Arktis überwunden werden (TAZ, 21.11.08).

Die rechtlichen Bedingungen

Die Seerechtskonvention enthält die Regeln für die Grenzziehung im Meer. Sie legt zum Beispiel fest, ob und wann ein Staat seine Wirtschaftszone über die übliche 200-Meilen-Grenze (370,4 km) ausdehnen darf. Entscheidend ist dabei, wie weit der Festlandsockel in den Ozean reicht. (siehe Kasten, S.30) Ob die Ansprüche eines Staates gerechtfertigt sind, entscheidet eine Kommission der Vereinten Nationen. Sollten sich die Gebietsforderungen mehrerer Staaten überlappen, so kennt die Seerechtskonvention kein Schiedsverfahren, die Regierungen müssen diese Konflikte untereinander lösen.

Konfliktfelder

Es gibt zwei grundsätzlich unterschiedliche Varianten zur Aufteilung der Arktis:
  • Die eine möchte das Gebiet wie einen Kuchen aufteilen, indem eine Linie von den Landesgrenzen zum Nordpol gezogen wird. „Dieses Verfahren ziehen die USA vor, weil es ihnen auf Kosten Dänemarks und Kanadas ein besonders großes Stück bescheren würde.“ (Tagesspiegel, 16.08.08)
  • Die andere Variante sieht eine Grenzziehung entlang der Mittellinie zwischen den jeweiligen Territorialgewässern vor.
Russland steht bei beiden Varianten etwa die Hälfte des Gebietes zu. Während Russen, Kanadier, Dänen (mit den Grönländern) und Norweger ihre geologisch untermauerten Gebietsansprüche einer UN-Kommission vorlegen wollen, haben sich die Vereinigten Staaten in der Vergangenheit geweigert, die Seerechtskonvention zu ratifizieren. Mit der Deklaration von Ilulissat/Grönland 2008 sichern sie jedoch ihren arktischen Nachbarn diese Ratifizierung zu.

Doch es bleiben einige große Konfliktfelder:

Der Nordpol

Am 2. August 2007 setzten die Russen von der Tauchkapsel Mir-1 direkt unter dem geographischen Nordpol die russische Fahne aus. In den anderen Anrainerstaaten des Pols wurde das als aggressiver Akt gedeutet, es wurde als Bestätigung dafür gesehen, dass Russland Gebietsansprüche auf zwei Drittel der Arktis – inklusive des Nordpols – erhebt. Verstärkt wurden die Befürchtungen durch die Tatsache, dass das russische UBoot auf seiner Fahrt auch Gesteinsproben aufnahm, die dazu dienen könnten, die Verbindung des Lomonossowrückens zum sibirischen Festland zu belegen. Da das Meer über diesem Unterwassergebirge sehr flach ist, könnte Russland dann tatsächlich nach der Seerechtskonvention Ansprüche auf den Nordpol erheben. Dagegen gibt es allerdings Stimmen, die davon ausgehen, dass der Lomonossowrücken in der Höhe der Ellesmere- Inseln auch mit Kanada verbunden ist; dann müsste die Seegrenze genau auf der Mitte des 1.800 km langem Unterseerückens gezogen werden. Dänemark wiederum hält dagegen, dass Unterwassergebirge grenze auch an Grönland.

Im Rahmen der Konferenz von Ilulissat/ Grönland hat der russische Außenminister Lawrow versichert, dass Russland alle völkerrechtlichen Verträge über das arktische Meer weiterhin voll respektieren werde. „Die Positionierung der Flagge am Nordpol sei eher eine werbeträchtige Aktion gewesen, vergleichbar mit dem Aufstellen der amerikanischen Fahne auf dem Mond 1969.“ (FAZ, 29.05.08)

Die Hans-Insel

Kanada und Dänemark haben sich 1973 vertraglich auf den Grenzverlauf zwischen Grönland und der kanadischen Ellesmere-Insel geeinigt, nur die kleine unbewohnte Hans-Insel wurde ausgespart. Beiden Ländern geht es nicht so sehr um das trostlose Fleckchen Erde als vielmehr um die territorialen Ansprüche in der Naresstraße (vgl. Lambach, S. 215).

Die Barentssee

Die Barentssee ist geologischen Studien entsprechend reich an Erdöl und Gasvorkommen. Sie liegt zwischen dem Nordkap und Spitzbergen (beide norwegisch) und den Inseln von Nowaja Semlja und Franz-Joseph-Land (beide russisch). Hier schwelt nicht nur der Streit um den völkerrechtlichen Sonderstatus von Spitzbergen, in der Barentssee sind auch die Grenzen zwischen beiden Staaten nur in Teilen festgelegt. Ein 155.000 Quadratkilometer großes Stück gilt als umstritten. Allein in diesem Gebiet werden die Erdöl und Gas-Vorkommen auf 12 Milliarden Barrel Öleinheiten geschätzt (Spiegel, 15.09.08 / Lambach, S. 216).

Die Beaufortsee

Die Beaufort-See liegt vor dem US-amerikanischen Alaska und dem kanadischen Yukon-Territorium. Im August 2008 hat Kanada seinen größten Eisbrecher in dieses Gebiet entsandt. Bodenproben sollten seinen Anspruch auf Teile desMeeresbodens untermauern. Strittig ist „ein 6.250 Quadratkilometer großes Gebiet“, in dem riesige Gas- und Ölvorkommen liegen (Tagesspiegel, 16.08.08).

Die Nord-West-Passage

Die Nord-West-Passage ist das zweite Konfliktfeld zwischen Kanada und den USA. Von Asien nach Europa haben die Frachtschiffe bei Benutzung des Suezkanals zur Zeit rund 21.000 Kilometer zu bewältigen. Bei einer im Sommer dauerhaft eisfreien Nord-West-Passage verringert sich die Strecke um in Viertel auf rund 16.000 km und bei einer eisfreien Nord-Ost-Passage sogar um ein Drittel auf rund 14.000 km.

Kanada betrachtet den Wasserweg durch sein nördliches Inselarchipel als kanadisches Territorialgewässer, das auch kanadischem Recht unterliegt. Demgegenüber vertreten die USA die Position, es handele sich bei der Nord-West-Passage um eine internationale Meerenge, in der Kanada den internationalen Schiffsverkehr nicht behindern dürfe. Ähnlich argumentiert die Europäische Union.

Im August 2008 hat der kanadische Regierungschef angekündigt das kanadische Hoheitsgebiet im Polarmeer auf 200 Seemeilen – statt bisher 100 – zu erweitern. Kanada unterstreicht damit seinen Rechtsanspruch über die in dieser Zone verlaufende Nord-West-Passage. „Die fünf arktischen Länder haben zwar erst im Mai… feierlich versichert, es gebe keinen »Wettlauf zum Pol«, alle Gebietsstreitigkeiten ließen sich friedlich und nach internationalem Seerecht regeln. Die plötzliche Vergrößerung Kanadas aber zeigt, dass die Grenzen in der Arktis nach wie vor sehr flexibel sind, weil die internationalen Regeln genügend Raum für Interpretationen lassen.“ (SZ, 29.08.08)

Konfliktbearbeitung

Zur Unterstützung ihrer territorialen Ansprüche lassen die Arktis-Anrainer-Staaten von Zeit zu Zeit auch ihre (militärischen) Muskeln spielen:
  • Kanada schickte trotz dänischer Proteste Militär auf die Hans-Insel. Es stockt seine „arktischen Ranger-Truppen um 1.000 Mann auf, steckt über drei Milliarden Dollar in den Bau neuer eisgängiger Schiffe für die Küstenwache und baut für hundert Millionen Dollar einen neuen Marinehafen in Nanisivik.“ (Spiegel, 15.09.08)
  • Die USA bauen neue Eisbrecher für geschätzte 1,5 Milliarden Dollar und erhöhen die Ausgaben für die Küstenwache.
  • Auch Russland kündigt die Modernisierung seiner Eisbrecherflotte an. In der Barentssee führte es »angekündigte « Militärmanöver durch, die prompt von norwegischen Jagdbombern beobachtet wurden.
  • Selbst Dänemark übt den Militäreinsatz im Eis.
Doch trotz aller militärischer Aufrüstung, Manöver und Drohgebärden ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Anrainer am Verhandlungstisch über die Nutzung des Polarmeeres und ihre Claims einigen. Auf der Nordpolkonferenz in Ilulissat im Mai 2008 haben sich Dänemark (mit Grönland), Kanada, Russland, USA und Norwegen darauf verständigt, die Differenzen in der Arktis künftig unter UN-Regime friedlich zu lösen. Das ist zwar keine Garantie gegen militärische Abenteuer, aber alle „fünf wollen so bald wie möglich Rohstoffe fördern. Klare Grenzen sind eine Voraussetzung dafür, der Anreiz für eine Einigung ist somit stark“ (SZ, 27.05.08).

Derzeit bestimmt noch der Arktische Rat, dem die fünf Anrainer-Staaten sowie Island, Finnland und Schweden angehören, im Wesentlichen das Forschungsgeschehen und die Diskussion über Umweltfragen. Auf der Konferenz »Das Zeitalter der Arktis« im norwegischen Tromsö wurde im Januar 2009 dagegen stärker für eine neues arktisches Verwaltungssystem geworben, das auf der Basis der Internationalen Seerechts-Konvention arbeitet. Eine internationale Zusammenarbeit wurde als notwendig erachtet und die EU möchte mit ins Boot.

Als gutes Beispiel für Zusammenarbeit wird die Erschließung des gigantischen Shtokman-Gasfeldes in der russischen Arktis – rund 550 km von der Küste von Murmansk entfernt – angeführt. Aus diesem Gasfeld sollen über die Ostsee-Pipeline wesentliche Teile des europäischen Gasbedarfs gedeckt werden. „Der russische Konzern Gazprom hält 51 Prozent der Anteile, der Rest verteilt sich auf ausländische Partner.“ (NZZ, 22.01.09)

Die deutsche Industrie setzt offensichtlich mit staatlicher Unterstützung auch auf eine »profitable Kooperation« bei der Ausbeutung der Arktisressourcen. Die deutsche »Polarstern«, eines der modernsten und bestausgerüsteten Forschungsschiffe für die Polarregionen, hatte z.B. im Jahr 2008 russische Wissenschaftler an Bord, was der Stern (11. Sept. 2008) wie folgt wertet: „Die Russen könnten mit den (von der Polarstern gewonnenen) Daten ihre Ansprüche auf riesige Gebiete um den Lomonossow- und den Mendelejew-Rücken untermauern, während deutsche Firmen im Gegenzug Joint Ventures mit Gazprom eingehen.“ Der größte deutsche Erdöl- und Erdgasproduzent, Wintershall, besitzt bereits eine Partnerschaft mit diesem russischen Konzern, um ein 600-Milliarden-Kubikmeter-Feld im hohen Norden zu erschließen.

Ungelöste Umweltprobleme

Doch auch dann, wenn alle Streitigkeiten über noch nicht festgeschriebene Grenzen gelöst werden, wenn bei der Ausbeutung der Rohstoffe internationale Zusammenarbeit groß geschrieben werden sollte, gibt es neue große Gefahrenpotenziale bei der Energieausbeutung im Hohen Norden. Zunächst muss festgehalten werden, dass dort genau die Rohstoffe gefördert werden, die für den Klimawandel wesentlich mitverantwortlich sind. Förderung und Verbrauch beschleunigen also den Erwärmungsprozess, dessen weltweite Folgen nicht abzuschätzen sind. Außerdem nehmen mit zunehmender Öl- und Gasförderung sowie einem wachsenden Schiffsverkehr die Gefahren einer Umweltkatastrophe zu. Die Folgen des Tankerunglücks der Exxon- Valdez vor 20 Jahren vor der Südküste Alaskas sind z. B. bis heute spürbar. Der »Exxon Valdez Oil Spill Trustee Council« stellt fest, dass auch nach zwanzig Jahren das „Öl in der Umwelt weiter fortbesteht und stellenweise nahezu ebenso toxisch ist wie in den ersten Wochen nach dem Unfall.“ Er geht davon aus, dass das Öl durch die Kälte nur mit einer Rate von null bis vier Prozent pro Jahr abgebaut wird. Somit könne es „Jahrzehnte und möglicherweise Jahrhunderte dauern, bis das Öl der Exxon Valdez vollständig verschwunden ist.“ (FR, 24.03.09)

Die TAZ (07.02.08) berichtet über eine Konferenz von AMAP (Arctic Monitoring and Assessment Programme): „Beiträge von ForscherInnen in Tromsö machten deutlich, dass nach ihrer Auffassung mehrere Öl- und Gasgewinnungsprojekte in Angriff genommen wurden, obwohl es bislang an grundlegender Forschung über deren mögliche Auswirkungen fehlt. So gebe es kaum belastbare Dokumentationen über die Folgen bisheriger Aktivitäten. Auch wisse man viel zu wenig über die möglichen kumulativen Konsequenzen aller neuen Projekte auf das arktische Ökosystem. Unerforscht seien auch die Folgen eines Ölaustritts in eisbedeckten Gewässern und wie dort eine Ölpest bekämpfte werden könnte.“ Im selben Artikel heißt es, die USA würden 60 Empfehlungen von WissenschaftlerInnen zurückhalten, die in ihrem Auftrag die Gefahren der Öl- und Gasgewinnung in der Polarzone untersucht hätten. Ein zusätzliches Gefahrenpotenzial käme hinzu, wenn die norwegische Umweltorganisation Bellona Recht hat und Russland zur Öl- und Gasausbeutung tatsächlich auf nukleare Techniken setzt.

Für die Antarktis existiert ein Moratorium, das jegliche Nutzung von Mineralien, Erdöl und Erdgas verbietet. Doch dieses Abkommen ist über 50 Jahre alt und es wurde sicher damals auch deshalb möglich, weil eine Förderung von Rohstoffen in den Polregionen nicht imBereich des Möglichen lag. Ein internationales Abkommen, das dem Umweltschutz in der Arktis Rechnung trägt, ist angesichts abschmelzender Polkappen und neuer Technik heute viel schwerer zu erreichen, aber es ist notwendiger denn je.

Literatur
  • Lambach, Daniel: Die Arktisregion – Von Kooperation zu Konfrontation, in Friedensgutachten 2008, Lit-Verlag, Münster, S. 207-218.
  • Oster, Lisa: Goldgräberstimmung in der Arktis, IMI-Analyse, 2008-017, Tübingen.
  • USGS 2008: http://certwapper.cr.usg.gov/rooms/ we/index.jsp, abgerufen 10.02.09.
  • Winkelmann, Ingo (2007): Wem gehört die Arktis?, SWP-Studie.
Zitierte Zeitschriften:
  • Bild der Wissenschaft
  • Der Spiegel
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)
  • Frankfurter Rundschau (FR)
  • Handelsblatt
  • Neue Zürcher Zeitung (NZZ)
  • Stern Süddeutsche Zeitung (SZ)
  • Tagesspiegel
  • tageszeitung (TAZ)
Jürgen Nieth ist seit 1995 im Redaktionskollektiv von »Wissenschaft und Frieden«. Der Arktis gilt seit Jahren sein besonders Interesse und er gehörte zu den Westeuropäern, die 1989 als erste ins russische Barentsburg auf Spitzbergen einreisen konnten.


Dieser Beitrag erschien in: Wissenschaft & Frieden 2/2009, S. 26-30.

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