ARGENTINIEN: Zeitung als Staatsaufgabe
Papier ist öffentlich
Von Jürgen Vogt *
Zeitungspapier ist in Argentinien
von öffentlichem Interesse. So
steht es in einem Gesetz, das Präsidentin
Cristina Kirchner noch
vor Jahresende von den beiden
Kammern im Kongress mit der
regierungseigenen Stimmenmehrheit
hat beschließen lassen.
Damit sind die Produktion, der
Verkauf und die Verteilung von
Zeitungspapier im öffentlichen
Interesse. Während die regierungskritische
Presse von einem
Angriff auf die Meinungsfreiheit
schreibt, ist es für die regierungsfreundlichen
Meinungsmacher
ein weiterer Schritt gegen die
Monopolbildung auf dem Medienmarkt.
Und es geht um handfeste Geschäftsinteressen.
Im Zentrum
des Gerangels steht die Zeitungspapierfabrik
Papel Prensa. Die
schon Anfang der 1970er Jahre
geplante Zellulosefabrik ist seit
ihrer Inbetriebnahme 1978 Argentiniens
einzige Fabrik, die in
ausreichender Menge und Qualität
Zeitungspapier produziert. Bis
heute hat sie eine strategische
Bedeutung. Zuvor musste ein
Großteil des Zeitungspapiers aus
dem Ausland eingeführt werden.
Und wer heutzutage nicht bei Papel
Prensa einkaufen kann, will
oder darf, muss importieren.
Die Aktiengesellschaft gehört
zu 49 Prozent der Clarín-Gruppe,
dem argentinischen Multimediengiganten
mit seinem Flaggschiff,
der Tageszeitung »Clarín«.
22,5 Prozentanteile hält die konservative
Tageszeitung »La Nación
«, 27,5 Prozent der Staat. Mit
einer Jahresproduktion von
175 000 Tonnen versorgt Papel
Prensa zu gut 75 Prozent den heimischen
Markt für Zeitungspapier.
Nach Regierungsangaben
haben »Clarín« und »La Nación«
einen Eigenbedarf von 71 Prozent
der Papierproduktion von Papel
Prensa und lediglich 29 Prozent
verbleiben für die rund 170 anderen
Medien, die zudem einen
15 Prozent höheren Preis pro
Tonne bezahlen müssen oder auf
teurere Importe angewiesen sind.
Der umstrittenste Passus im
Gesetz ist die Regelung künftiger
Investitionen bei Papel Prensa.
Kommen die nötigen Gelder vom
Staat, können sie in Aktienanteile
umgewandelt werden. Nicht nur
für die rechte Opposition ist das
neue Zeitungsgesetz deshalb der
Versuch, die Mehrheitsanteile an
der Papierfabrik dem Mediengiganten
streitig zu machen. Diese
Gefahr sieht auch die linke Opposition.
»Die Meinungsfreiheit garantiert
weder die Regierung
noch »Clarín«, so der linke Abgeordnete
Claudio Lozano. Waren
die Kirchner-Regierungen und die
Clarín-Gruppe noch bis 2008 fast
wie ein Herz und eine Seele, so ist
seither die Beziehung hoffnungslos
zerrüttet. Mit dem jetzigen
Gesetz geht der Streit um die Papierfabrik
in eine zweite, wenn
auch völlig neue Runde. Die Regierung
hatte die Eigentümer von
»Clarín« und »La Nación« bereits
im September 2010 wegen Menschenrechtsverbrechen
während
der Militärdiktatur (1976-1983)
angeklagt.
* Aus: neues deutschland, 7. Januar 2012
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