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Einschnitt in die Macht der Medienmultis

In Argentinien steht das umstrittene Mediengesetz im Senat zur Abstimmung

Im argentinischen Senat wird am Freitag (9. Okt.) nach der Zustimmung im Abgeordnetenhaus über ein Mediengesetz abgestimmt, das jenes aus der Diktatur ablösen soll. Die Opposition und Medienkonzerne werfen der Regierung von Cristina Fernández de Kirchner vor, dass es ihr um die Kontrolle der öffentlichen Meinung gehe. Mit Carlos Gabetta, Leiter der Cono-Sur-Ausgabe von Le Monde diplomatique in Buenos Aires, sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Jürgen Vogt über das umstrittene Gesetz. Le Monde Cono-Sur feierte im Juli 2009 ihr zehnjähriges Bestehen.

Herr Gabetta, der argentinische Kongress streitet gegenwärtig über eine Gesetzesvorlage der Regierung von Präsidentin Cristina Kirchner, die die Verbreitung von Radio und Fernsehen neu regeln soll. Warum will die Regierung die bestehende Gesetzeslage ändern?

Gabetta: Auch nach 26 Jahren Demokratie ist noch immer das Mediengesetz der letzten Diktatur in Kraft. Der damalige Juntachef General Jorge Videla hatte es 1980 per Dekret erlassen. Unter anderem verbietet es, dass gemeinnützige Organisationen wie Gewerkschaften, Kooperativen, Nichtregierungsorganisationen, Universitäten einen Radio- oder Fernsehkanal betreiben. Nur Privatunternehmer dürfen Fernsehen und Rundfunk senden und können so ihre Meinungen zum Ausdruck bringen. Allein schon dieser Gesetzesparagraf legitimiert, dass jedes neue Gesetz besser ist als das bestehende.

Die Opposition läuft dagegen Sturm und sieht die Meinungsfreiheit in Gefahr.

In Argentinien herrscht Meinungsfreiheit, aber es dominiert die Freiheit der Medienkonzerne. Seit der Diktaturzeit gibt es einige Medien-Gruppen, die schalten und walten, wie sie wollen. Deshalb wurde das bestehende Gesetz von den Großen auch nie in Frage gestellt und alle Änderungsversuche bereits im Keim erstickt. Die neue Gesetzesvorlage beschneidet erheblich die Macht dieser Monopole, darunter die der Clarín-Gruppe, die alle wesentlichen Medien in Argentinien kontrolliert. Die Clarín-Gruppe ist so etwas wie der Berlus-coni von Argentinien. Beim Kabelfernsehen sind alle in Claríns Hand. Niemand kontrolliert hier, ob die Sendezeiten eingehalten werden, ob mehr Werbung gezeigt wird als erlaubt, ob der Informationsauftrag eingehalten wird.

Was soll sich ändern?

Die privaten, staatlichen und zivilen Bereiche sollen zukünftig jeweils ein Drittel des Sendevolumens bekommen. Damit gewinnen der staatliche TV-Kanal und die staatlichen Radiosender eine größere Bedeutung und Einfluss. Dazu kämen neue Kanäle und Sender der gemeinnützigen Organisationen und der Zivilgesellschaft. Das könnte eine mediale Gegenmacht gegen die Clarín-Gruppe, aber auch gegen die Rechte möglich machen. Entsprechend groß und polemisch ist die Gegenwehr von Clarín.

Clarín kennen viele als größte Tageszeitung Argentiniens. Was ist Clarín heute?

Clarín war in den 1940er und 1950er Jahren eine weit verbreitete Tageszeitung des Herrn Roberto Noble. Heute ist die Clarín-Gruppe ein Medienkonzern mit Fernsehkanälen, Radiosendern, den wichtigsten Printmedien und Lokalradios im Landesinneren. Die Gruppe steuert die Kabelanbieter Cablevisión und Multikanal und hat eine große Internetpräsenz. Zwar hat in der Clarín-Gruppe weiterhin die Familie Noble das Sagen, aber dazu gesellen sich die spanische Telefonica, Goldman Sachs, einige Werbeagenturen und reine Sportsender. Angesichts dieser Monopolmacht kann man nicht von demokratischen Verhältnissen in der hiesigen Medienlandschaft sprechen.

Das Verhältnis der Regierungen Kirchner, zuerst Néstor, nun seine Frau Cristina Fernández de Kirchner, zu den Medien ist mehr als schwierig. Bei fast jeder Gelegenheit dreschen die Kirchners verbal auf die Presse ein, zum Teil werden Kolleginnen und Kollegen namentlich kritisiert. Und plötzlich soll sie die Demokratisierung der Medienlandschaft vorantreiben?

Der Regierung Kirchner kommt das Verdienst zu, die bestehende Gesetzeslage ernsthaft und wesentlich verändern zu wollen. Aber die Regierung hat das Vorhaben schlecht präsentiert. Beispielsweise die Regulierungskommission: Von sieben Mitgliedern, sollen fünf von der Regierung bestimmt werden. Dagegen müsste es ein staatliches und gesellschaftliches, also regierungsunabhängiges Gremium sein.

Dann stimmt also der Vorwurf der Opposition, die Kirchners wollen die Kontrolle über die Medien?

Wenn die Kirchners die Fernsehkanäle und Radios mit dem neuen Gesetz kontrollieren wollen, dann haben sie die Büchse der Pandora geöffnet. Nehmen wir an, das Kontrollgremium wird wie vorgesehen installiert, dann bestimmt heute diese Regierung deren Zusammensetzung. Aber was, wenn die nächsten Wahlen an die Rechte verloren gehen? Was passiert dann? Wenn Sie also auf die Kontrolle aus wären, dann ist das einfach zu kurz gedacht. Dennoch, bei aller berechtigter Kritik an der neuen Gesetzesvorlage, sie ist weitaus besser als das bestehende Diktaturgesetz. Deshalb ist es ein Grund zum Feiern, dass eine Mehrheit der Abgeordneten dafür gestimmt hat. Und es wäre ein Grund zum Feiern, wenn der Senat ebenfalls zustimmt.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Oktober 2009

Mediengesetz in Argentinien beschlossen

Das argentinische Parlament hat ein umstrittenes neues Radio- und Fernsehgesetz gebilligt. Nach dem Abgeordnetenhaus stimmten nach einer Marathonsitzung von fast 20 Stunden 44 Senatoren mit Ja bei 24 Nein-Stimmen. Die Regierung von Präsidentin Cristina Kirchner begrüßte das Gesetz als Instrument im Kampf gegen Medienmonopole und für mehr Medienvielfalt. Große Mediengruppen und die Opposition hingegen warfen Kirchner vor, sie wolle sich nur regierungshörige Medien schaffen.

Das neue Gesetz betrifft Radiosender sowie Kabelfernsehen und Fernsehsender, die über Antenne zu empfangen sind. Es ersetzt eine Regelung noch aus der Zeit der Militärdiktatur (1976-1983) und begrenzt die Zahl der Sendelizenzen pro Mediengruppe künftig auf zehn. Wer mehr besitzt, muss diese binnen eines Jahres verkaufen. Die Zahl der Lizenzen soll künftig zu je einem Drittel an kommerzielle Sender, an öffentlich-rechtliche Anstalten sowie an soziale Gruppen wie Kirchen, Gewerkschaften, Universitäten oder Stiftungen vergeben werden. Zudem müssen künftig nationale Produktionen mindestens 60 Prozent des Programms ausmachen.

(ND, 12. Oktober 2009




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