Angolas Aufbruch aus Ruinen
Fünf Jahre nach Kriegsende wiegt die Erblast schwer
Von Anton Holberg *
Dank der sprudelnden Öleinnahmen kommt der Wiederaufbau in Angola langsam in Fahrt. Fünf
Jahre nach dem Friedensabkommen vom 4. April 2002 ist die Masse der 16 Millionen Angolaner
dennoch ernüchtert. Bei ihr ist von einer Friedensdividende noch nichts angekommen.
Angolas Zukunft ist nach wie vor vermint. Denn die Zivilbevölkerung wird noch auf unabsehbare Zeit
durch Millionen von Landminen bedroht. Eine Hinterlassenschaft des 27 Jahre währenden
Bürgerkriegs, der am 4. April 2002 durch ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der
Volksbewegung für die Befreiung Angolas (MPLA) und der Nationalen Union für die völlige
Unabhängigkeit Angolas (UNITA) beendet wurde, nachdem UNITA-Chef Jonas Savimbi im Februar
in einem Gefecht ums Leben gekommen war.
Der Frieden nährte Hoffnungen auf einen Neuanfang nach einem der längsten und mörderischsten
Konflikte des afrikanischen Kontinents mit 500 000 Toten und mindestens ebenso vielen
Verstümmelten. Die Bevölkerung sah erstmals nach der Unabhängigkeitserklärung 1975 eine
realistische Chance auf ein besseres Leben. Doch bisher ist die Friedensdividende für einen
Großteil der 16 Millionen Angolaner ausgeblieben. Die Kindersterblichkeit gehört nach UNOAngaben
nach wie vor zu den höchsten der Welt – jedes vierte Kind stirbt vor seinem fünften
Geburtstag. Rund 70 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als zwei Dollar pro Tag und der
Mehrheit von ihnen fehlt Zugang zu einem Basis-Gesundheitsdienst.
Dabei ist das südwestafrikanische Land dank seiner Rohstoffe ein aufgehender Stern am
afrikanischen Konjunktur-Himmel. Anfang März entschied sich Angolas Präsident Eduardo dos
Santos, die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds’ (IWF) zu beenden.
Voraussetzung dafür war die Verdopplung seiner Einnahmen aus dem Erdölexport im Jahre 2005
auf rund zehn Milliarden US-Dollar. Angolas Finanzminister José Pedro de Marais gab kürzlich
bekannt, dass die angolanische Wirtschaft in den letzten drei Jahren real um 13 Prozent gewachsen
sei. Für das laufende Jahr werden laut IWF nicht weniger als 31,4 Prozent Wachstum vorhergesagt
– das höchste Wirtschaftswachstum auf dem Kontinent. Für das gesamte Jahr erwartet Angola aus
dem Erdölexport Einnahmen von über 30 Milliarden US-Dollar, mehr als die IWF-Hilfe für ganz
Afrika.
Die MPLA-Regierung hat daraus offensichtlich andere Schlüsse gezogen als das dem IWF als
führender Organisation des internationalen Kapitals vorschwebte. Der IWF hatte dem Land ein
Hilfsprogramm angeboten, auf das Angola jedoch verzichtete. Die Regierung in Luanda erklärte, sie
wolle mit anderen internationalen Partnern zusammenarbeiten. Überdies gab sie im März gegen die
ausdrückliche »Empfehlung« des IWF die Gründung einer nationalen Entwicklungsbank bekannt.
Bislang deutet nichts darauf hin, dass das praktisch ausschließlich durch den Erdölexport, der über
90 Prozent aller Ausfuhrerlöse ausmacht, gestützte Wachstum in Angola mehr als anderswo den
Teufelskreis der strukturellen Unterentwicklung durchbrechen könnte, auch wenn inzwischen andere
Sektoren, wie etwa die Bauwirtschaft, ein deutliches Wachstum verzeichnen. Soweit das aber im
kapitalistischen Rahmen überhaupt möglich ist, setzt es, wie die Entwicklung Chinas deutlich macht,
die Stärkung einer nationalen Bourgeoisie voraus, die sich gegebenenfalls auch der Zumutungen
seitens des imperialistischen Blocks verwehrt. Angola setzt auf China. Entfielen 2002 »nur« 13,7
Prozent der angolanischen Ölexporte auf China (dagegen 41,2 Prozent auf die USA), waren es zwei
Jahre später schon 35,9 Prozent. Zum Missvergnügen Washingtons ist Angola zudem seit dem 1.
Januar Mitglied der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC).
Der Kurs der angolanischen Regierung hat zu einem Ausbau der Unabhängigkeit von externen
Gebern und einzelnen Staaten geführt. Ob das auf Dauer auch der Bevölkerung zu Gute kommen
wird, ist nach den bisherigen Erfahrungen zumindest fraglich. Bislang hat die MPLA ihre ungeteilte
Macht ebenso wenig wie die sprudelnden Einnahmen aus dem Erdölgeschäft dazu genutzt, die
katastrophalen Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit erkennbar zu verbessern. Die
Herausforderung, die Friedensdividende bei der Basis spürbar zu machen, bleibt auch fünf Jahre
nach dem Bürgerkriegsende ungelöst.
* Aus: Neues Deutschland, 5. April 2007
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