Merkel trat in Algier aufs Gaspedal
Kanzlerin warb für Energiekooperation
Von Abida Semouri, Algier *
Deutschland und Algerien wollen ihre Wirtschaftsbeziehungen trotz verkrusteter Strukturen in dem ölund
gasreichen Land weiter intensivieren.
Staatsbesuche haben eigentlich nichts Spektakuläres. Es sei denn, sie finden in Algerien statt. Nach
zwei Tagen in Algier musste Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Bundeswehrflugzeug zurücklassen
und den Heimweg stattdessen mit der staatlichen Fluggesellschaft »Air Algérie« antreten. Der
Grund: Ein Tollpatsch hatte beim Heranfahren der Gangway ein Loch in die Kanzler-Maschine
geschlagen.
Abgesehen von diesem Malheur jedoch war der Besuch Angela Merkels und der umfangreichen
Wirtschaftsdelegation erfolgreich. Die Deutschen haben in Algerien einen guten Ruf, der immer noch
von der Unterstützung im Befreiungskrieg gegen die Kolonialmacht Frankreich und beim Aufbau der
Industrie im unabhängigen Algerien in den 70er Jahren zehrt. Allerdings hatten die Beziehungen in
den 90er Jahren einen Dämpfer erhalten, als sich viele deutsche Firmen wegen des bewaffneten
Konflikts zwischen muslimischen Fundamentalisten und der Staatsmacht zurückzogen. Deutschland
liegt heute im Algerien-Handel auf Platz fünf nach Frankreich, China, Italien und den USA.
Merkels Anliegen, in Algier für engere Wirtschaftsbeziehungen zu werben, wurde daher mit
Wohlwollen registriert. Der Minister für Industrie und Investitionen Abdelhamid Temar sagte
gegenüber den deutschen Geschäftsleuten: »Ich bedauere, dass deutsche Firmen nicht die Präsenz
in Algerien haben, die ihnen eigentlich zusteht.« Algerien ist durchaus an einem möglichst breiten
Spektrum an Wirtschaftspartnern interessiert, und gerade Deutschland ist ein willkommener
Gegenpol zu Frankreich. Der algerische Markt bietet für weit mehr als die gegenwärtig anwesenden
160 deutschen Firmen gute Chancen.
An Geld fehlt es dem an Erdöl und Erdgas reichen Land nicht. 140 Milliarden Dollar werden in einem
Fünfjahresprogramm bis 2009 in die Ankurbelung der Wirtschaft und die Verbesserung der
Infrastruktur gesteckt. Allerdings sind die größten Aufträge – etwa der Bau der Ost-West-Autobahn,
des neuen internationalen Flughafens und einer Million Wohnungen – an Firmen vor allem in Asien
gegangen.
Das soll sich ändern. Vor allem im Energiebereich wollen deutsche Unternehmen mitmischen. Nicht
zuletzt hat auch Deutschland großes Interesse daran, seine Energieversorgung weniger von
Russland abhängig zu machen. Über die Lieferung algerischen Flüssiggases wird bereits
verhandelt. Aber auch an der direkten Beteiligung an der Öl- und Gasförderung haben deutsche
Firmen starkes Interesse signalisiert.
Konkrete Zusammenarbeit gibt es bereits seit längerem bei den erneuerbaren Energien. In einigen
Jahren soll über ein 3000 Kilometer langes Kabel aus Solarenergie und Gas gewonnener Strom aus
Adrar in der Sahara bis Aachen geleitet werden. Um den Firmen den Weg zu ebnen, haben sich
Merkel und Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika auf die Schaffung einer Kommission geeinigt.
Sie soll vor allem mehr Transparenz in Ausschreibungsverfahren bringen und die Hürden in
Bürokratie und Bankwesen abbauen helfen.
Aber noch aus einem anderen Grund liegen die Motive für die Forderung nach intensiveren
Kontakten in Berlin und in Algier gar nicht so weit auseinander. Beide wollen Paris in die Schranken
weisen. Vor diesem Hintergrund war auch der Zeitpunkt des Merkel-Besuchs unmittelbar nach der
Gründung der Mittelmeerunion kein Zufall. Es ist vor allem den konzertierten Bemühungen von
Merkel und Bouteflika zu verdanken, dass diese Union auf alle EU-Staaten ausgedehnt wurde und
nicht nach den Vorstellungen des französischen Präsidenten Nicola Sarkozy eine
Sonderveranstaltung Frankreichs, Spaniens und Italiens mit den Maghrebländern geworden ist.
* Aus: Neues Deutschland, 19. Juli 2008
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