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Jetzt Afrika im Visier

Neoliberale Attacken: Europäisches Kapital wittert lukrative Anlagemöglichkeiten auf dem bislang vernachlässigten schwarzen Kontinent

Von Rosso Vincenzo *

Nichts bekümmert das Kapital mehr als »ungenutzte Potentiale«, das heißt nicht realisierte Möglichkeiten zur Ausbeutung von Mensch und Natur. Immer mehr europäische Analysten, Investoren und Spitzenpolitiker sehen solche brachliegenden Möglichkeiten in Afrika, besonders jedoch im subsaharischen Teil des Kontinents.

Bislang machte Schwarzafrika hierzulande vor allem Schlagzeilen mit Hungersnöten, Bürgerkriegen und Naturkatastrophen. In den zurückliegenden Wochen werden jedoch zunehmend andere Töne laut. So verkündete der dänische Ministerpräsident und Vorsitzende der liberalen Venstre-Partei, Anders Fogh Rasmussen, der gerade den Vorsitz des Africa Partnership Forum, einer international besetzten Afrika-Kommission übernommen hat, die Zahl der bewaffneten Konflikte in Afrika sei rückläufig, in vielen Ländern gebe es ein Wirtschaftswachstum von bis zu zehn Prozent, die Armut gehe deutlich zurück und die Demokratisierung sei auf dem Vormarsch. Er sprach gar von »Erfolgsgeschichten«, auch wenn noch längst nicht alle Ziele erreicht seien, wobei er insbesondere das unbotmäßige Simbabwe erwähnte, das ein Beispiel für »afrikanische Mißwirtschaft« sei.

Mit dieser Position steht der dänische Diplomökonom und ausgewiesene Neoliberale Rasmussen, der einst mit seinem Buch »Vom Sozialstaat zum Minimalstaat« für Furore sorgte, und nur dank der Tolerierung durch die rechtsradikale Dänische Volkspartei weiterhin als Regierungschef amtiert, keineswegs allein da. Die schweizerische Großbank Credit Suisse demonstrierte in einer kürzlich vorgelegten Studie ähnlichen Optimismus. Afrikas Potential werde sträflich unterschätzt. Zwar habe das Wachstum auf dem schwarzen Kontinent lange Zeit unter dem der Weltwirtschaft gelegen, seit 2002 sei jedoch das Gegenteil der Fall. Von 2008 bis 2011 sei in Afrika ein Wachstum um durchschnittlich 5,3 Prozent zu erwarten, während weltweit voraussichtlich nur 3,4 Prozent erreicht würden.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte kurz vor der Credit-­Suisse-Studie für die Staaten südlich der Sahara ein Wachstum von 6,5 Prozent in diesem Jahr prognostiziert. Hauptantriebskräfte seien dabei die erdölexportierenden Länder Angola und Nigeria. »Afrika ist reich an natürlichen Ressourcen«, frohlockte auch die niederländische Bankengruppe ABN Amro. So lägen beispielsweise allein im Kongo 40 Prozent der weltweiten Reserven des Düngergrundstoffs Phosphat und auf dem gesamten Kontinent 90 Prozent aller bekannten Platinvorkommen. Kein Wunder, daß die Credit Suisse sich besorgt über die Tatsache zeigt, daß im Kongo derzeit nur fünf bis zehn Prozent der Kupfer- und Kobalterzvorkommen ausgebeutet würden, die ebenfalls zu den größten der Welt zählen. Auch die riesigen Kupferschätze Sambias würden nur zu 60 Prozent genutzt. Moçambique mache kaum Gebrauch von seinem Kohlereichtum und Angola könne weitaus mehr Kupfer, Diamanten und Öl fördern als zur Zeit. »Grob geschätzt könnten 100 Milliarden Dollar an Investitionen in den kommenden fünf Jahren in diese Länder fließen«, vermuten die Schweizer Banker. Auch bei der Energieerzeugung gebe es immense Möglichkeiten und eine ebensolche Nachfrage. So produzierten die 48 Staaten Schwarzafrikas zusammen im Moment nur so viel Strom wie Spanien. Großes Entwicklungspotential sieht die Credit Suisse auch in der bislang kaum vorhandenen Telekommunikation. Nach ihrer Einschätzung könnte bis 2010 fast jeder zweite Afrikaner einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen haben.

All das ist nicht nur bloße Zukunftsmusik. Die Eroberung der afrikanischen Märkte hat bereits begonnen. In den letzten sieben Jahren hat sich der Umfang der ausländischen Direktinvestitionen auf dem Kontinent verzehnfacht. Wichtigster Akteur war dabei die VR China. Während das Engagement der rohstoffhungrigen Chinesen zunächst als »zweitklassige Investitionen« und »Notbehelf der Zuspätgekommenen« belächelt wurde, hoffen die europäischen Anleger laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung (FAZ) nun, »daß über die chinesischen Investoren ein Teil des Aufschwungs in Asien auf Afrika überschwappt«.

Gebeutelt von den Auswirkungen der Kreditkrise begibt sich das europäische und US-amerikanische Finanzkapital jetzt selbst auf die Suche nach unentdeckten Flecken auf der Landkarte. So brachten die Finanzkonzerne Deutsche Bank, ABN Amro und Goldman Sachs jüngst Afrikazertifikate auf den Markt, bei denen es sich im wesentlichen um Aktienwetten auf die Kursentwicklung größerer afrikanischer Unternehmen aus acht verschiedenen Ländern (ABN Amro) oder die Entwicklung des ägyptischen Leitindexes Case 30 (Deutsche Bank) handelt. Bislang lohnt sich die Anlage: das ABN-Amro-Papier machte bereits kurz nach seiner Ausgabe Ende April binnen weniger Tage sieben Prozent Gewinn, und der Wert des Afrikazertifikats der DB stieg im vergangenen Jahr sogar um stattliche 40 Prozent.

Der neoliberale Vorreiter Konzern­europas, Anders Rasmussen, weiß, wie sich dieser Trend konsolidieren läßt: »Nur bei sicheren rechtsstaatlichen Verhältnissen kann sich am Ende ein gutes Geschäfts- und Investitionsklima entwickeln. Das Engagement einer neuen Generation afrikanischer Führer ist überaus ermutigend. Sie sind zu umfassenden Reformen bereit.«

* Aus: junge Welt, 20. Mai 2008


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