"Nicht brauchbar"
Anklagen gegen Pakistan wegen angeblicher Kooperation mit Taliban. Zweifel an Beweiskraft von Geheimdokumenten
Von Knut Mellenthin *
Afghanistans Nationaler Sicherheitsrat hat der US-Regierung vorgeworfen,
sie zeige »nicht die nötige Aufmerksamkeit gegenüber der Unterstützung
internationaler Terroristen von außen«. »Eine widersprüchliche und
unklare Politik gegenüber Kräften, die den Terrorismus als Instrument
der Einmischung und der Sabotage gegen andere benutzen, hat zu
verheerenden Ergebnissen geführt.«
Gemeint sind mit diesen zunächst rätselhaft erscheinenden Bemerkungen
die von afghanischer Seite seit Jahren gegen das Nachbarland Pakistan
erhobenen Vorwürfe, es unterstütze die Taliban und andere Aufständische.
Im Zusammenhang mit den von Wikileaks ins Internet gestellten über 90000
Geheimdokumenten haben die Verdächtigungen neuen Auftrieb erhalten.
Viele Mainstreammedien stellen diesen Einzelpunkt besonders groß heraus.
Mitglieder des US-Kongresses wie die Senatoren Jack Reed und Carl Levin
sehen sich in ihrer Forderung bestätigt, sehr viel stärkeren Druck auf
die pakistanische Regierung auszuüben, sich im »Krieg gegen den Terror«
bedingungslos den Anweisungen aus Washington zu unterwerfen.
Der Guardian gab am Montag (26. Juli) die Zahl der jetzt
veröffentlichten Berichte, die sich mit angeblichen Verbindungen
zwischen den afghanischen Taliban und dem pakistanischen Geheimdienst
ISI beschäftigen, mit »mindestens 180« an. Die Beweiskraft des Materials
sei allerdings »niedrig«, schrieb der Guardian. Die britische
Tageszeitung ist neben der New York Times und dem Spiegel eines von drei
Blättern, denen Wikileaks die Dokumente vorab zur Sichtung zugänglich
gemacht hatte. Die New York Times bewertete das auf Pakistan bezogene
Material in einem am Sonntag online gestellten Artikel so: »Ein großer
Teil der Informationen - in Afghanistan gesammelte raw intelligence und
threat assesments - kann nicht verifiziert werden und kommt
wahrscheinlich von Quellen, die mit den afghanischen Geheimdiensten in
Verbindung stehen, die Pakistan als Feind betrachten, und von bezahlten
Informanten. Einige Berichte beschreiben Pläne für Anschläge, die
anscheinend nicht stattgefunden haben.«
Mit »raw intelligence« sind nicht verifizierte Originalberichte fremder
Geheimdienste und Informanten gemeint, die von US-Stellen gesammelt und
archiviert werden. »Threat assesments«, wörtlich
Bedrohungseinschätzungen, sind im Grunde nicht viel mehr als
Gerüchtesammlungen. Die Online-Ausgabe des Guardian zitierte am Sonntag
den Kommentar eines anonymen US-Offiziers im Ruhestand über die Pakistan
angeblich belastenden Geheimberichte: »Der allergrößte Teil davon ist
nicht zu gebrauchen. Es besteht ein afghanisches Vorurteil, das unter
jedem Stein einen ISI-Agenten sehen will.«
Einige Medien beschäftigen sich in diesem Zusammenhang besonders mit dem
ehemaligen ISI-Chef Hamid Gul, dem in afghanischen Geheimdienstberichten
sehr detailliert Komplotte mit den Taliban vorgeworfen werden. Spiegel
online schrieb am Montag in der sensationalistisch aufgemachten
Einleitung zu einem Interview mit Gul: »Kaum ein Name taucht in den fast
92000 amerikanischen Dokumenten zum Afghanistan-Krieg so häufig auf wie
der von Hamid Gul.« Eine kühne Behauptung: Der Guardian beziffert die
Zahl der Berichte, die sich direkt auf Gul beziehen, lediglich mit acht.
Den Geheimdienst leitete er übrigens in den Jahren 1987 bis 1989, als
die Zusammenarbeit zwischen ISI und CIA äußerst eng war und beide
Dienste gemeinsam die afghanischen Mudschaheddin mit Geld und Waffen
versorgten.
Verdächtigungen, daß der ISI nicht alle Verbindungen zu den Taliban und
anderen afghanischen Aufständischen abgebrochen habe, sind nicht neu.
Diese Behauptungen sind schwer zu bewerten und könnten insbesondere für
einzelne Personen oder Teile des ISI zutreffen. Durchaus möglich ist
auch, daß einige dieser Kontakte mit Wissen US-amerikanischer Stellen
gepflegt werden. Die Wikileaks-Dokumente scheinen indessen, soweit
bisher zu erkennen ist, zu diesem Thema keine harten Fakten zu liefern.
* Aus: junge Welt, 29. Juli 2010
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