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Guttenberg schwitzt

Von Jörn Boewe *

Ich glaube ja, daß Spezialkräfte nicht allein dafür da sind, daß gezielte Tötungen vorgenommen worden«, erzählt Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg dem Fernsehsender Phoenix. »Sie sind ja auch dazu da, an der einen oder anderen Stelle mal für Ruhe zu sorgen, oder daß man auch mal Festnahmen vornimmt.« Die Äußerungen fielen in einem »Kamingespräch«, das Phoenix am kommenden Sonntag (1. August) ausstrahlen will, interessierten Journalisten aber auch vorab zur Verfügung stellt.

Man sollte meinen, der Mann redet sich um Kopf und Kragen. Nicht nur am Hindukusch, auch »für Gefährdungslagen, die über Afghanistan hinausgehen«, müsse die Bundesregierung »Strukturen bereithalten«, die ihm, dem zuständigen Minister »die Schweißperlen auf die Stirn« treiben, redet er sich am Kamin heiß, während er mit beiden Armen propellert. Was für Strukturen? Nun: »Daß man international abgestimmt verstärkt mit Geheimdiensten wird vorgehen müssen, daß man - wenn man eine saubere Rechtsgrundlage hat - auch auf Spezialkräfte wird zurückgreifen können müssen«, erklärt Guttenberg.

»In klarem Deutsch heißt das aber auch, gezielte Tötungen müssen möglich sein?« fragt daraufhin der Interviewer nach. Und Guttenberg sagt nicht nein. »Das ist jetzt sozusagen die Überspitzung«, lautet die Antwort, die man - je nach Gusto - für nichts- oder vielsagend halten kann. In einem Punkt aber ist der Minister bemerkenswert deutlich: Daß »wir uns als Deutsche an solchen Dingen nur beschränkt und bedingt beteiligen«, liegt nicht etwa daran, daß »wir« nicht wollen, sondern einzig daran, daß es dafür - noch - keine »klaren Rechtsgrundlagen« gibt. »Die haben wir international abgestimmt zu meiner Zufriedenheit noch nicht«, moniert der Minister. »Aber sie müssen auch mal formuliert werden.«

Als Reaktion auf die Äußerungen Guttenbergs richtete der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Bündnis90/Grüne) am Mittwoch (28. Juli) eine schriftliche Anfrage an die Bundesregierung. Der Parlamentarier will wissen, »hinsichtlich welcher Spezialkräfte in Afghanistan« die Regierung »derzeit fehlende Rechtsgrundlagen für deren Einsätze nun zu schaffen« beabsichtige, »welche derartigen Einsätze ohne tragfähige Rechtsgrundlagen (...) in der Vergangenheit (...) ausgeführt« bzw. »ggf. inzwischen gestoppt« seien.

Indessen verurteilte ein deutscher Vertreter der NATO-Afghanistan-Truppe ISAF am Donnerstag (29. Juli) die Veröffentlichung militärischer Geheimdokumente durch die Internetplattform Wikileaks am Wochenende. Es sei »ausgesprochen unverantwortlich«, als geheim eingestufte Dokumente »so zu Markte zu tragen«, sagte der ISAF-Sprecher Josef Blotz bei einer Videokonferenz aus Kabul. Auch Afghanistans Präsident Hamid Karsai nannte das Vorgehen der Internetplattform am Donnerstag (29. Juli) »extrem verantwortungslos und schockierend«. Wikileaks hatte an die 92000, größtenteils geheime US-Unterlagen zum Afghanistan-Einsatz veröffentlicht, die ihr von einer unbekannten Quelle zugespielt worden waren. Wikileaks hatte das Material noch vor der Publikation im Web dem Hamburger Spiegel, der New York Times und dem britischen Guardian zur Verfügung.

* Aus: junge Welt, 30. Juli 2010


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