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Hilfe für Warlords

US-Regierung will über 2014 hinaus an den von ihr aufgestellten und finanzierten afghanischen »Dorfmilizen« festhalten

Von Knut Mellenthin *

Fünf Tage lang hielt sich Hamid Karsai in der vergangenen Woche zu Gesprächen in Washington auf. Herausgekommen ist dabei offenbar nichts Konkretes. Was der afghanische Präsident – sofern man seinen Beteuerungen Glauben schenken will – ganz schnell abschaffen will, ist die Präsenz amerikanischer Truppen in Dörfern und Städten. Dreimal betonte er bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Barack Obama am vorigen Freitag, daß man sich auf diesen Punkt geeinigt habe. Der US-Präsident schien diese Aussage zu bestätigen, auch wenn er sich nicht hundertprozentig eindeutig ausdrückte.

Wahr ist jedoch: Es gibt bisher über die Zeit nach dem Pseudo-»Truppenabzug« Ende 2014 hinaus keine schriftliche Vereinbarung zwischen beiden Staaten. Und die US-Regierung will, wie die Washington Post am Dienstag berichtete, die Anwesenheit ihrer Soldaten in Afghanistans Dörfern unter allen Umständen in eine zeitlich unbegrenzte Zukunft hinüberretten.

Der Sachverhalt: 4500 Angehörige der amerikanischen Spezialeinheiten sind gegenwärtig in Afghanistan im Einsatz, um die offiziell aus Dorfbewohnern bestehende sogenannte Afghanische Örtliche Polizei, englisch abgekürzt ALP, auszubilden und praktisch anzuleiten. Afghanische Politiker wollen das ändern, während die US-Regierung daran festhalten will. Die Washington Post zitierte Karsais Pressesprecher Aimal Faizi mit der Aussage: »Unsere Position ist, daß diese Ausbildung nicht in den Dörfern stattfinden sollte. Die Anwesenheit ausländischer Truppen gefährdet das Leben der Dorfbewohner, indem sie Angreifer anzieht.«

Tatsächlich stellt die ALP allerdings ein sehr viel größeres und ernsteres Problem dar, als es in den taktisch motivierten Einwänden aus Kabul zum Ausdruck kommt. Die Örtliche Polizei ist, im Widerspruch zu ihrer täuschenden Benennung, eine von den USA finanzierte und weitgehend auch bewaffnete Miliz ohne einheitliche Führung und Reglement. Obwohl sie formal dem afghanischen Innenministerium untersteht, hängt sie real ausschließlich vom amerikanischen Militär ab. Allein die Tatsache, daß die Ausbildung der ALP Angehörigen der US-Spezialeinheiten überlassen ist, macht eindeutig klar, daß diese Miliz mit normaler Polizeitätigkeit nichts zu tun hat. Zur staatlichen Polizei, die den Namen Afghanische Nationale Polizei trägt, steht die ALP in scharfer Konkurrenz, die mehrfach zu bewaffneten Konfrontationen geführt hat.

Schon seit 2002 experimentiert das US-Militär unter wechselnden Namen mit der Aufstellung einheimischer Hilfstruppen, die der Kontrolle der afghanischen Behörden weitgehend entzogen sind. Immer wieder gab es dabei Probleme, die zu scheinbar neuen Konzepten führten. Der Bildung der ALP widersetzte sich Karsai deshalb zunächst, stimmte ihr aber im August 2010 unter Druck Washingtons zu. Die geplante Stärke der »Dorfmilizen« wurde von den US-Stellen damals mit 10000 Mann angegeben. Inzwischen sind es nach offizieller Zählung 18500 Mann. Bis Ende 2014 soll die Personalstärke der ALP 26000 oder sogar 30000 Mann erreichen.

Berichte zeigen, daß die Örtliche Polizei, genau wie ihre Vorgängerinnen, in vielen Fällen als tarnende Hülle für die Privatarmeen einzelnder Warlords fungiert. Oft dient die ALP auch als Mittel, sich in ethnischen Konflikten einen entscheidenden Vorteil zu verschaffen. Die betroffene Bevölkerung wirft den »Dorfmilizen« jede Art von Gewalttaten und ungesetzlichen Übergriffen vor. Dazu gehören willkürliche Verhaftungen und Einkerkerungen, Körperverletzung und Mord, Vergewaltigungen, Plünderungen und Landraub.

Die Obama-Administration und ihre Militärs beeindruckt das wenig. Sprecher der Regierung und der Besatzungstruppen bezeichneten gegenüber der Washington Post die ALP und deren Ausbildung durch die US-Spezialeinheiten als unentbehrlich. Karsai werde eine entsprechende »Interpretation« seiner Absprache mit Obama hinnehmen müssen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 18. Januar 2013


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