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Manipulationen vorhersehbar

Keine Neuregistrierung der Wähler in Afghanistan. Kritiker befürchten Fälschungen

Von Thomas Berger *

In Afghanistan wächst die Besorgnis, daß es bei den 2014 anstehenden Präsidentenwahlen zu Manipulationsversuchen kommen könnte. Die vielleicht wichtigste Voraussetzung, überhaupt einen ordnungsgemäßen Urnengang sicherzustellen, ist womöglich gerade zunichte gemacht worden, fürchten manche Kritiker. Denn überraschend gab die Unabhängige Wahlkommission am vergangenen Donnerstag in Kabul bekannt, daß im kommenden Jahr die alten Wählerkarten zum Einsatz kommen würden. Mit dieser Entscheidung ist das formell weisungsunabhängige Gremium ganz offenkundig vor dem derzeitigen Staatsoberhaupt Hamid Karsai eingeknickt. Dieser hatte eine Neuregistrierung aller Wahlberechtigten mit Verweis auf die damit entstehenden Kosten abgelehnt. Nur jene Afghanen, die seit den letzten Wahlen die Abstimmungsberechtigung erworben haben, sollen nun mit neuen Karten versorgt werden.

Wahlkommissionschef Fazal Ahmad Manawe hatte sich noch vor wenigen Tagen kämpferisch gegeben. Noch sei genügend Zeit, um die erneute Registrierung rechtzeitig abzuwickeln, betonte er Mitte des Monats und zeigte sich bereit, den Konflikt mit dem Präsidenten um diese Frage mit Blick auf einen sauberen Wahlablauf austragen zu wollen. Welcher zusätzliche Druck jetzt zum Einknicken des Gremiums geführt hat, ist noch unbekannt. Die Kritik allerdings ist quer durch das Spektrum von politischen Parteien, Medienöffentlichkeit und zivilgesellschaftlichen Gruppen groß.

Vor allem geht es um das mögliche Auftauchen von bis zu zwei Millionen sogenannter »Geisterstimmen«. Denn bisher sind etwa 17 Millionen Wählerkarten ausgegeben worden, obwohl es bei der letzten Wahl nur 15 Millionen Stimmberechtigte gab. Doch die Besorgnis bezieht sich nicht nur darauf, daß diese stille Reserve bei einem Manipulationsversuch zugunsten eines bestimmten Kandidaten zum Einsatz gelangen könnte. Daß die Kommission bereits in dieser einen Frage so schnell klein beigab, lasse befürchten, daß sie auch später nicht unabhängig gegen Druck von Regierungsseite agieren könne.

»Die jüngste Entscheidung der Kommission illustriert, welchen Einfluß die Regierung auf sie hat und daß sie offenbar nicht in der Lage sein wird, freie und faire Wahlen zu garantieren«, sagte Abass Noyan von der Partei für Recht und Gerechtigkeit. Andere sehen das ähnlich. Faizullah Zaki von der Nationalen Front sieht die Begründung mit dem fehlenden Geld durch Karsai nur vorgeschoben an. Ziel der Regierung sei offenbar, den Wahlausgang zu manipulieren. Und auch Sayed Aqa Fazil Sancharaki, Sprecher der Nationalen Koalition, betonte gegenüber der Nachrichtenplattform TOLO News: »Wenn die Regierung sich in Belange der Wahlkommission einmischt und diese nicht in der Lage ist, unabhängig ihre Arbeit zu machen, beunruhigt uns das.« Derweil hat Abdul Qayum Karsai, der ältere Bruder des derzeitigen Präsidenten, seine US-amerikanische Staatsbürgerschaft aufgegeben. Karsai dementierte, selbst kandidieren zu wollen, will aber direkt in der afghanischen Politik aktiv werden und offenbar seinem Bruder zur Wiederwahl verhelfen.

Aus: junge Welt, Dienstag, 29. Januar 2013


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