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Karsai nennt Wahltag "großartig"

Gewalt überschattete Votum in Afghanistan / Jung: Bundeswehr bleibt noch fünf bis zehn Jahre

Während der afghanischen Präsidentschaftswahl ist es am Donnerstag nach Angaben von Amtsinhaber Hamid Karsai zu insgesamt 73 gewaltsamen Zwischenfällen gekommen. Andere Quellen sprachen von weit über 100 Angriffen und Dutzenden Toten.

In 15 der 34 afghanischen Provinzen seien Angriffe und Anschläge verübt worden, sagte Präsident Karsai in der Hauptstadt Kabul kurz nach Schließung der Wahllokale im Land. Polizisten, Soldaten und Zivilisten seien getötet worden. »Die Afghanen haben Raketen, Bomben und Einschüchterungen getrotzt und sind wählen gegangen«, erklärte Karsai, der als Favorit in das Votum ging. »Das ist großartig.«

Wie ein Sprecher der Wahlkommission mitteilte, wurden die Wahllokale um 17 Uhr Ortszeit (14.30 Uhr MESZ) geschlossen, eine Stunde später als vorgesehen. Ursprünglich war geplant, die 6500 Wahlzentren, auf die rund 29 000 Wahllokale verteilt sind, um 16 Uhr Ortszeit zu schließen. Einen Grund für die Verlängerung der Abstimmung nannte die Kommission zunächst nicht. Unmittelbar nach Schließung der Wahllokale begann die Auszählung. Erste inoffizielle Ergebnisse werden in den kommenden Tagen erwartet. Am 17. September sollen die Endergebnisse der Präsidentschafts- und der parallel stattfindenden Provinzratswahlen vorliegen.

Karsai galt als Favorit bei der Wahl. Sein wichtigster Herausforderer ist der frühere Außenminister Abdullah Abdullah. Sollte keiner der Bewerber um das Präsidentenamt eine absolute Mehrheit erzielen, kommt es laut Planung Anfang Oktober zu einem weiteren Wahlgang. Dann würden nur noch der Spitzenreiter und der Zweitplatzierte antreten. Es war die zweite Präsidentschaftswahl seit dem Sturz der Taliban Ende 2001.

Wie die Wahlkommission mitteilte, verlief die Abstimmung relativ unproblematisch. Allerdings wurden aus mehreren Landesteilen gewaltsame Zwischenfälle gemeldet. Manche Wahlzentren hätten wegen der angespannten Sicherheitslage nicht öffnen können. Andere Wahlzentren seien vorzeitig geschlossen worden. Insgesamt waren etwa 200 000 afghanische sowie 100 000 ausländische Sicherheitskräfte im Einsatz, um die Abstimmung zu schützen.

Die Bundeswehr dürfte nach Einschätzung von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) noch etwa fünf bis zehn Jahre an dem internationalen Militäreinsatz in Afghanistan beteiligt sein. Es müsse erreicht werden, dass Afghanistan eigene Streitkräfte und die eigene Polizei aufbauen könne, sagte Jung am Donnerstag. Niemand könne genau vorhersagen, wie lange dies noch dauern werde. Er rechne mit einer »Bandbreite von fünf bis zehn Jahren«. Jung hatte vor wenigen Tagen Ex- Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) widersprochen, der einen Abzug der Bundeswehr in zwei Jahren gefordert hatte.

* Aus: Neues Deutschland, 21. August 2009


Besatzer mit Wahlen in Afghanistan zufrieden **

Die NATO-Besatzungstruppen in Afghanistan sind zufrieden mit der Präsidenten- und Provinzwahl. Der Generalsekretär der westlichen Militärallianz, Anders Fogh Rasmussen, sprach zum Zeitpunkt der Schließung der Wahllokale am Donnerstag von einem »ermutigenden« Verlauf. Er wolle den Tag nicht vor dem Abend loben, sagte der UN-Sondergesandte für Afghanistan, Kai Eide. Aber er sehe mit Genugtuung, daß die Wahlen »ziemlich gut« verliefen. Dem Sprecher der Wahlkommission zufolge konnten 95 Prozent der landesweit 6500 Wahllokale öffnen. Die Beteiligung sei »sehr gut«, ein Anteil von rund 50 Prozent könne erwartet werden. Unabhängige Beobachter sprachen dagegen von einer noch niedrigeren Wahlbeteiligung.

In der Stadt Baghlan im Norden Afghanistans verhinderten Besatzungsgegner die Öffnung der Wahllokale. Bei heftigen Kämpfen seien »22 Terroristen getötet« worden, sagte der Provinzpolizeichef Mohammed Kabir Andarabi. Auch der örtliche Polizeichef sei ums Leben gekommen.

Im Osten Kabuls erschoß die Polizei zwei Aufständische. Behördenangaben gab es in der afghanischen Hauptstadt mindestens fünf Explosionen. Auch im umkämpften Süden und Osten des Landes wurden Bomben- und Raketenangriffe gemeldet. Die afghanische Regierung unter Präsident Hamid Karsai hatte es den Medien untersagt, über Gewalt am Wahltag zu berichten und mit der Ausweisung ausländischer Journalisten gedroht. Amtsinhaber Karsai gilt als Favorit für die zweite Präsidentschaftswahl seit dem Sturz der Taliban vor acht Jahren.

Sein Herausforderer Ramasan Baschardost bezeichnete die Wahl als Farce, weil er die vermeintlich nicht entfernbare Farbe am Finger habe abwaschen können. »Das ist keine Wahl, das ist eine Komödie«, sagte Baschardost. Bereits in den vergangenen Tagen gab es Berichte über falsche Wählerregistrierungen und andere Unregelmäßigkeiten. (AP/AFP/jW)

** Aus: junge Welt, 21. August 2009


20 Aug. 2009
NATO Press Release: (2009) 121

Statement by the Secretary General on Afghan elections

Today the world has been watching Afghanistan. We have witnessed the first Afghan-led elections in thirty years; a testimony to the determination of the Afghan people to build democracy. I want to congratulate the people of Afghanistan for the courage they have shown in spite of challenging circumstances.

We have seen Afghans defying threats of intimidation and violence to exercise their democratic rights. Seen from a security point of view, the elections today have been a success, not least thanks to the efforts of the Afghan National Security Forces.

They have led the security efforts and they should be applauded. They have done everything possible to make these elections as secure and as inclusive as possible. So, all in all, the elections today have been conducted effectively.




Streit um Wahlsieg in Afghanistan entbrannt

Hauptkontrahenten Karsai und Abdullah beanspruchen jeweils den Sieg / Vorläufiges Endergebnis erst Anfang September ***

Einen Tag nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan haben sowohl Amtsinhaber Hamid Karsai als auch sein schärfster Rivale, der frühere Außenminister Abdullah Abdullah, den Sieg beansprucht.

Kabul/Berlin (Agenturen/ND). »Unsere Zahlen zeigen, dass wir genügend Stimmen haben, um zu gewinnen, ein zweiter Wahlgang ist damit nicht nötig«, sagte Karsais Wahlkampfmanager Hadschi Din Mohammad am Freitag. Ein Sprecher Abdullahs wies die Angaben als Propaganda zurück und bezeichnete den Ex-Außenminister als Wahlsieger. Nach Einschätzung internationaler Beobachter gaben am Donnerstag weniger als die Hälfte der offiziell 17 Millionen registrierten Wahlberechtigten ihre Stimme ab.

Die Unabhängige Wahlkommission (IEC) erklärte, Ergebnisse, die nicht von der Kommission mitgeteilt würden, seien »nicht verlässlich«. Erste Teilergebnisse der Wahl würden vom kommenden Dienstag an veröffentlicht, sagte einer der IEC-Direktoren, Daoud Ali Nadschafi, in Kabul. Der Wahlsieger werde aber erst feststehen, wenn alle Stimmen ausgezählt und von der Wahlkommission überprüft worden seien. Anfang September werde ein vorläufiges Ergebnis verkündet.

Nadschafi wies Berichte als voreilig zurück, wonach die Wahlbeteiligung nur zwischen 40 und 50 Prozent gelegen habe. Daten zur Teilnahme lägen der Kommission noch nicht vor, betonte er. Ein ausländischer Wahlbeobachter, der ungenannt bleiben wollte, sagte dagegen in Kabul: »Im Süden und Osten war die Beteiligung katastrophal.« In den Unruhegebieten, in denen die Taliban stark sind, hätten nur zwischen fünf und 15 Prozent der Stimmberechtigten gewählt. Im Norden seien es bis zu 60 Prozent, im Westen maximal 50 Prozent gewesen. Damit liege die Beteiligung drastisch unter der bei der Präsidentschaftswahl 2004, als knapp 80 Prozent der Wähler ihre Stimme abgegeben hatten.

Ein Grund dafür ist nach Ansicht von Experten die Einschüchterung der Wähler. »Die Kampagne der Taliban hat schon ziemlich weit getragen und die Wahlbeteiligung auf jeden Fall gedrückt«, sagte der Co-Direktor des Afghanistan Analysts Network, Thomas Ruttig. Zudem seien vielerorts Wahllokale geschlossen geblieben. Ruttig hatte die Wahl in der südostafghanischen Provinz Paktia beobachtet.

Karsais Wahlkampfmanager Mohammad sagte, der Sieg des Präsidenten gehe aus Daten hervor, die eigene Beobachter in den Wahllokalen bei der Stimmenauszählung erhalten hätten. Abdullahs Sprecher Sayed Fazel Sangcharaki meinte dagegen, nach ersten Ergebnissen liege der Herausforderer mit 62 Prozent der Stimmen vor Karsai, der nur 32 Prozent erhalten habe. Aus einigen Provinzen im Süden und Südosten gebe es noch keine Angaben. Dort sei es zu »groß angelegtem und organisiertem Betrug« durch Regierungsbeamte gekommen. Beobachtern im Auftrag Abdullahs sei der Zugang zu Wahllokalen verweigert worden. Die EU-Kommission rief die Kandidaten zur Zurückhaltung auf. »Wir möchten derzeit alle ermutigen, den Wahlablauf zu respektieren und keine verfrühten Ankündigungen über einen möglichen Ausgang zu machen«, sagte ein Sprecher der Kommission. Die Beobachtermission der EU, die die meisten ausländischen Beobachter stellt, will sich an diesem Sonnabend zum Wahlverlauf äußern.

Während Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) in Berlin behauptete, die Wahlen hätten in »einem sicheren Umfeld« stattgefunden, erklärte die LINKE: »Dem Wunsch der Menschen in Afghanistan, in Sicherheit zu leben und soziale Wohlfahrt zu erlangen, ist das Land mit den Wahlen kein Stück näher gekommen.« Monika Knoche, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, verwies auf »die Eskalation der Gewalt rund um die Wahlen«. Dies zeige: »Mit Krieg kann Demokratie in Afghanistan nicht errungen werden.« Knoche betonte: »Ein grundsätzlicher Politikwechsel in Afghanistan ist ohne einen Truppenrückzug nicht möglich. Die Bundeswehr muss aus Afghanistan abgezogen werden. Erst das ermöglicht nationale Versöhnung der Afghaninnen und Afghanen. Ohne Selbstbestimmung kann es keinen stabilen Frieden in Afghanistan geben.«

Das afghanische Verteidigungsministerium zählte am Wahltag 135 gewaltsame Zwischenfälle, darunter vier Selbstmordanschläge. Zahlreiche Menschen starben.

*** Aus: Neues Deutschland, 21. August 2009


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