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Bundeswehr in Afghanistan: Einsatz ohne Rechtsgrundlage

Von Hans Voß *

In der gegenwärtigen Debatte über die Bundeswehreinheiten in Afghanistan spielt hauptsächlich die Frage eine Rolle, ob es politisch ratsam oder vertretbar sei, ein Ende des Einsatzes ins Auge zu fassen. Wie selbstverständlich wird dabei unterstellt, dass sich die deutschen Soldaten dort auf der Basis des Völkerrechts, auf Grundlage eines Mandats des UN-Sicherheitsrates befinden. Dem ist nicht so.

Wahr ist zunächst, dass Kontingente der Bundeswehr im Dezember 2001 mit einem Mandat des Sicherheitsrates nach Kabul entsandt wurden, um »die Sicherheit in Kabul und seinen umliegenden Gebieten aufrechtzuerhalten«. Ein Auftrag, Kampfeinsätze gegen die Taliban zu führen, erging nicht. 2003 erfolgte eine Erweiterung des Einsatzgebietes von Kabul in den Norden Afghanistans, nach Kundus. An der inhaltlichen Ausrichtung, an der Schutzfunktion, änderte sich nichts. Hat das Kommando der ISAF zunächst halbjährlich zwischen den beteiligten Staaten gewechselt, wird es seit dem Vorjahr permanent von der NATO wahrgenommen.

Eine einschneidende Veränderung zum mandatierten Auftrag ergab sich, als 2006 eine Verschmelzung der ISAF mit der von den USA angeführten »Koalition der Willigen« (Enduring Freedom) erfolgte. Diese Koalition war 2001 nach den Anschlägen in New York in einem einseitigen Akt von Washington ins Leben gerufen worden. Ein Mandat des Sicherheitsrates lag nicht vor. Die Existenz der Koalition wurde mit dem angeblichen Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung gerechtfertigt (Artikel 51 der UN-Charta). Dieses Recht könne ohne UN-Mandat wahrgenommen werden, wenn ein bewaffneter Angriff vorliegt. Es ist aber begrenzt, bis der Weltsicherheitsrat selbst die »erforderlichen Maßnahmen« ergriffen hat, um den internationalen Frieden wieder herzustellen. Auch wenn die USA die Ergreifung terroristischer Täter und ihrer Hintermänner als Selbstverteidigung ausgaben, wurde schnell deutlich, dass es der Bush- Administration um einen Regimewechsel in Afghanistan ging.

»Enduring Freedom« ist also eine völkerrechtswidrige Aktion. Nur für die ISAF liegt ein Mandat des Sicherheitsrates vor, das zudem die Teilnahme an offensiven Kampfeinsätzen ausdrücklich ausschließt. Doch mit der Zusammenlegung beider Operationen im Jahre 2006, für die kein Beschluss der UNO vorliegt, sind die Grenzen aufgehoben. Die Schröder-Regierung hatte sich lange gegen eine solche Entwicklung gewehrt. Sie lehnte es ab, die Bundeswehr mit den Kampfformationen der USA zu verbinden. Angela Merkel stimmte, in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, einer solchen Verschmelzung fast verschämt zu. Damit tritt die ISAF aus ihrer begrenzten Schutzfunktion heraus und wird Teil einer kämpfenden Allianz. Andererseits wird »Enduring Freedom« faktisch in ein von den Vereinten Nationen sanktioniertes Vorgehen einbezogen, ihm wird auf diese Weise eine späte »Legitimation« erteilt.

Den Bundeswehrkontingenten hilft es wenig, wenn bei der Erweiterung ihrer Aufgaben beschwichtigend davon gesprochen wird, dass die Bedingungen ihres Einsatzes im Norden Afghanistans weniger gefahrvoll seien. Die jüngsten Anschläge auf deutsche Soldaten in Kundus zeigen, dass sie dort einem wachsenden Risiko ausgesetzt sind. Dazu trägt der Einsatz deutscher Tornados in ganz Afghanistan bei, ein Einsatz, der nicht von der UNO, sondern von NATO-Gremien beschlossen wurde. Er macht, wie auch die »Mission« der KSK-Spezialtruppe, auf bedrückende Weise deutlich, dass die Bundeswehr endgültig dabei ist, sich in die USA-Kriegspolitik einzuordnen.

Mit Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass nun der Druck auf die Bundesregierung wachsen wird, eigene Verbände auch im Süden Afghanistans einzusetzen.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Mai 2007


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