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Das Verschwinden des Krieges

Von Stephan Hebel *

Die Methode Guttenberg bedeutet, unabhängig vom Überleben ihres Protagonisten im Amt, das Ende der humanitären oder völkerrechtlichen Rechtfertigungen, der Begründungen und Rechtfertigungen überhaupt. Lesen Sie, wie das funktioniert....

Der Krieg der Regierenden um die Köpfe hat eine neue und nicht ungefährliche Dimension angenommen. Gefährlich übrigens nicht nur für diejenigen, die Kriege insgesamt und/oder speziell den Afghanistan-Krieg ablehnen. Sondern gefährlich für den politischen Diskurs insgesamt. Karl-Theodor zu Guttenberg hat in diesem Krieg um die Köpfe bisher eine führende Rolle gespielt. Aber die folgenden Befunde dürften auch gelten, wenn er nicht im Amt bleiben kann.

Wir erleben das Verschwinden Afghanistans aus der Afghanistan-Debatte. Und die endgültige Heimkehr des Krieges ins Normalitäts-Bewusstsein der Deutschen. Der Krieg als ein nicht sehr beliebter, aber vertrauter, ständiger Begleiter. Die Methode Guttenberg bedeutet, unabhängig vom Überleben ihres Protagonisten im Amt, das Ende der humanitären oder völkerrechtlichen Rechtfertigungen, der Begründungen und Rechtfertigungen überhaupt.

Das Bild vom Krieg, das uns vermittelt wird, löst sich radikal von seinem realen Gegenstand. Afghanistan dient nur noch als Chiffre für etwas Größeres, das uns immer und überall begleitet: Der Umbau der Bundeswehr von der Landesverteidigungs- zur Interventionsarmee vollendet sich durch die Alltäglichkeit und Allgegenwart des Krieges im öffentlichen Bewusstsein.

Prototyp der Berlusconisierung

Es geht hier deshalb nicht um die ausgesprochenen und unausgesprochenen Motive, aus denen heraus dieser Krieg geführt wird. Es geht um Motive in der anderen Bedeutung des Wortes: um die bildlichen und sprachlichen „Motive“, mit denen die politisch Handelnden und leider oft auch wir Medien den Krieg präsentieren – beziehungsweise kaschieren.

Das erste Motiv kennen wir alle: Karl-Theodor zu Guttenberg in New York, Karl-Theodor zu Guttenberg vorm Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt und so weiter und so fort: Persönliche Performance ersetzt in der Kommunikation das politische Profil. Dieser Mann ist, selbst wenn er jetzt stolpern sollte, der deutsche Prototyp einer entpolitisierten und trivialisierten Politikvermittlung, man könnte auch sagen: der Berlusconisierurng.

Der Gestus des Anti-Politikers bedient den durchaus berechtigten Überdruss am Politikbetrieb und enthebt den Politiker der Notwendigkeit, seine Politik – ja die Tatsache, dass er überhaupt eine macht – zu begründen oder zu rechtfertigen.

Paradoxe Vollendung

Übrigens: So absurd es wäre, wenn dieser Mann statt an der Kriegspolitik, die er verantwortet, an der vergleichsweise lächerlichen Lappalie seiner Doktorarbeit scheitert – es wäre nur folgerichtig. Man kann mit Recht kritisieren, dass er bei seinem berühmten Presse-Statement zur Dissertation den Tod dreier Soldaten als Rechtfertigung missbrauchte. Aber insgesamt wird eher umgekehrt ein Schuh draus: Bringt ihn ein Aspekt der persönlichen Biografie zu Fall, hinter der er bisher seine Politik so erfolgreich verbarg – es wäre die paradoxe Vollendung seiner eigenen Strategie.

Das zweite Motiv ist sozusagen ein Detail in diesem Guttenbergschen Gesamtkunstwerk: der Minister bei der Truppe. Die beabsichtigte Botschaft: Der Minister geht dahin, wo es weh tut. Der Minister lässt das Geschrei des Politikbetriebs hinter sich und fragt bei denen nach, die – so heißt das dann – „für uns da unten den Kopf hinhalten“.

Dieses Motiv lebt von einem intellektuellen – beziehungsweise eher anti-intellektuellen – Kurzschluss. Der Soldat, der wahrscheinlich in dem Glauben lebt, für die Menschen „da unten“ zu kämpfen und zu arbeiten, wird zum Kronzeugen: Seine gute Absicht überträgt sich direkt auf den Minister und seine Politik, auch wenn beides womöglich nichts miteinander zu tun hat. Und wer wollte widersprechen? Der Soldat ist schließlich „authentisch“! Die Frage, welche Wirklichkeit sich hinter ihm buchstäblich versteckt, verschwindet aus dem Bewusstsein.

Kanzlerin im Passiv

Motiv Nummer drei ist mit den ersten beiden wiederum eng verbunden: Immer wieder ist jetzt in der Presse und den Medien überhaupt von der „Truppe“ die Rede. „Die Truppe“: So spricht der Fußballtrainer über seine Mannschaft oder ein Sachbearbeiter über seine Abteilung oder ein Redakteur über seine Redaktion.

Wenn einer die Bundeswehr „die Truppe“ nennen sollte, dann der Verteidigungsminister oder ein Kommandeur. „Die Truppe“, das ist nah an „unsere Truppe“. Wir beginnen, teils unbewusst, uns mit dem Krieg und seinen Akteuren zu identifizieren. Und konservative Kommentatoren jubeln, dass die deutsche Gesellschaft ihre ach so verkrampfte Distanz zum Militärischen zu verlieren beginnt.

Das vierte Motiv trennt, ähnlich wie die Guttenberg-Show, aber auf andere Weise, die Handelnden von ihrem Handeln. Als Angela Merkel im Dezember Afghanistan besuchte, wurde vor allem registriert, dass sie das Wort „Krieg“ benutzte. Noch spannender allerdings erschien mir ein anderer Aspekt, denn die genaue Formulierung lautete: „Kämpfe, wie man sie im Krieg hat“, und etwas später: Die Kämpfe, in die die Soldaten „verwickelt“ seien, gehörten „zum Schwersten, was wir haben“. Wir „haben“ Kämpfe wie im Krieg. Wir sind „verwickelt“.

Die deutsche Bundeskanzlerin setzt sozusagen sich selbst ins Passiv, als wäre sie Befehlsempfängerin wie die Soldaten. Sie verschweigt, dass Deutschland unter ihrer Führung diesen Krieg nicht „hat“, sondern „führt“. Sie negiert ihre politische Verantwortung.

Wir werden belogen

Warum nun erzähle ich Ihnen das alles? Wussten Sie nicht ohnehin schon, dass Sie belogen werden? Ich denke: Die Bilder, denen wir ausgesetzt sind, müssen Sie, die Kritischen und Engagierten, sehr genau kennen, wenn Sie sich nicht nur untereinander verständigen wollen. Verlassen Sie sich nicht darauf, dass die demoskopische Mehrheit der Kriegsgegner eine unumstößliche Tatsache darstellt. Diese Mehrheit wird zum größten Teil durch Ihre klugen und komplexen Debatten nicht erreicht, und nichts garantiert, dass die mehr oder weniger spontane Gegnerschaft unter dem Ansturm der Bilder, die ich zu erläutern versucht habe, nicht in Zustimmung umschlägt. Wenn Sie aufklären wollen, dann stehen Sie (und wir Medien) vor der schweren Aufgabe, die anderen Wahrheiten hinter den „Wahrheiten“ der Politiker auf den Begriff zu bringen – auch für Leute, die sich ihrer Sache weniger sicher sind als Sie.

Es hilft dabei nichts, auf die Banal-Moral der Regierenden („Wir dürfen die Afghanen nicht allein lassen“) mit ebenso banalen Pauschal-Verurteilungen zu reagieren, wie Gregor Gysi das kürzlich getan hat: „Terrorismus kann man nicht mit der höchsten Form des Terrorismus, mit Krieg, bekämpfen.“ Solche Sätze dienen vielleicht der Bestätigung der eigenen Gefolgschaft, zu mehr dienen sie nicht. Die Freilegung von „Wahrheiten“, die uns die offiziellen Bilder nicht zeigen, ist unendlich viel schwieriger als der Austausch von Parolen.

* Dieser Text ist die leicht überarbeitete Fassung eines Vortrags, den FR-Redakteur Stephan Hebel in Hannover beim Kongress „Stoppt den Krieg in Afghanistan – Perspektiven für Frieden und Entwicklung“ hielt. Auf dem Kongress versuchten entwicklungspolitische Organisationen und die wichtigsten Gruppen der Friedensbewegung zum ersten Mal, sich auf gemeinsame Positionen zum Afghanistan-Krieg zu verständigen. Veranstalter waren der „Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V.“ (Venro), die 50 in der „Kooperation für den Frieden“ zusammengeschlossenen Gruppen und Initiativen, der „Bundesausschuss Friedensratschlag“ sowie die „Plattform Zivile Konfliktbearbeitung“.
Der Beitrag wurde veröffentlicht in der Frankfurter Rundschau vom 22. Februar 2011.



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