Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Ein sehr guter Tag"

Afghanistans Präsident Karsai schließt faule Kompromisse mit der US-Regierung

Von Knut Mellenthin *

Die USA haben am Montag ihre berüchtigte Haftanstalt im Stützpunkt Bagram bei Kabul an die afghanische Regierung übergeben. Die Zeremonie aus diesem Anlaß hätte eigentlich schon zwei Wochen früher stattfinden sollen. Der neue Pentagon-Chef Chuck Hagel war eigens dafür in die afghanische Hauptstadt geflogen. Aber Präsident Hamid Karsai ließ die Feierlichkeit platzen, weil er mit dem Stand der komplizierten Verhandlungen noch nicht zufrieden war. Am Montag schienen jedoch alle Meinungsverschiedenheiten ausgeräumt. »Heute ist ein sehr guter Tag«, sagte Karsai auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit US-Außenminister John Kerry. Die Vereinbarung über das Skandalgefängnis in Bagram galt als letztes großes Hindernis auf dem Weg zu einem bilateralen Abkommen, das die militärische Präsenz und die Rechte der US-Streitkräfte in Afghanistan für die nächsten zehn Jahre sichern soll.

Wie die Einigung zwischen Kabul und Washington über die Haftanstalt aussieht, ist allerdings nicht bekannt. Nur aus Mitteilungen anonymer Militärs und Regierungsbeamter ergibt sich ein ungefähres Bild. Danach befinden sich in Bagram immer noch 80 oder 90 Gefangene unter ausschließlicher Kontrolle der Amerikaner. Es sind dies angeblich zwischen 30 und 40 sogenannte ESTs, »Enduring Security Threats« (fortdauernde Sicherheitsbedrohungen) und rund 50 Gefangene nichtafghanischer Herkunft.

Die Haftanstalt im Stützpunkt Bagram hatte sich, von der Öffentlichket abgeschottet, zu einem Ort entwickelt, wo noch mehr Menschen als im Lager Guantánamo auf Kuba unter noch schlechteren Bedingungen festgehalten und gequält wurden. Keiner von ihnen wurde als Kriegsgefangener anerkannt, keinem wurde das Recht auf einen Prozeß oder auch nur anwaltlichen Beistand gewährt. Der Gefängniskomplex war unter Präsident George W. Bush für etwa 600 Menschen angelegt worden. Unter Barack Obama schnellte die Zahl der dort Eingesperrten auf über 4000 hoch.

Im September vorigen Jahres übergaben die USA rund 3000 Gefangene an die Kabuler Behörden. Insgesamt sollen nach afghanischen Angaben schließlich 4000 Häftlinge überstellt worden sein, von denen inzwischen 1350 nach Prüfung ihrer Fälle freigelassen wurden. Für die schätzungsweise 90 Personen, die sich jetzt noch in US-amerikanischem Gewahrsam befinden, hatte Washington angeblich eine Zusicherung der afghanischen Regierung verlangt, daß diese weder freigelassen noch einen ordentlichen Prozeß erhalten würden. Ihre Fälle sind angeblich so relevant für die Sicherheit, daß die USA den Afghanen noch nicht einmal mitteilen wollen, weshalb sie festgehalten werden. Nach den Andeutungen anonymer »Officials« scheint es so, als hätte sich das Weiße Haus auch künftig ein Vetorecht für diese Häftlinge vorbehalten.

Bereits in der vorigen Woche hatten Washington und Kabul den Streit um die NATO-Soldaten in der Provinz Wardak beigelegt. Nach Brutalitäten der von den Amerikanern ausgebildeten und geführten einheimischen Hilfstruppen hatte Karsai am 24. Februar verlangt, daß alle ausländischen Militärs, vor allem die US-amerikanischen Spezialeinheiten, die Provinz innerhalb von zwei Wochen verlassen müßten. Am vorigen Mittwoch einigte man sich darauf, daß die NATO lediglich aus einem einzigen der acht Bezirke von Wardak abziehen wird. Ein genauer Termin wurde nicht einmal dafür festgelegt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 28. März 2013

Lesen Sie auch:

Kerry und Karsai "einer Meinung" über Kontakte zu Taliban
Von Phillip Kurata (Büro für internationale Informationsprogramme des US-Außenministeriums) (28. März 2013)




Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur USA-Seite

Zurück zur Homepage