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Symbolisches Abkommen

US-Regierung plant Militärpräsenz in Afghanistan für weitere zwölf Jahre

Von Knut Mellenthin *

Mindestens bis zum Jahr 2024 wollen die USA mit Soldaten und Stützpunkten in Afghanistan präsent bleiben. Mit der Unterzeichnung eines Abkommens über die sogenannten Nacht-Razzien hat Washington einen weiteren Schritt zur Absicherung dieses Ziels geschafft. Im vorigen Jahr gab es rund 2200 solcher Überfälle.

Die am Sonntag geschlossene Vereinbarung schreibe vor allem die ohnehin schon seit Monaten bestehende Situation fest, daß die »Führung« der meisten dieser Operationen bei afghanischen Spezialeinheiten liege, erklärte ein Pentagon-Sprecher am Montag. Die Zeitschrift Stars and Stripes, die den Streitkräften nahesteht, verkündete am Dienstag in der Headline, daß das Memorandum of Understanding, so die offizielle Bezeichnung, »weitgehend symbolisch« sei.

Die schon seit einiger Zeit praktizierte »Afghanisierung« der bei der Bevölkerung verhaßten und gefürchteten nächtlichen Hausdurchsuchungen und Festnahmen bedeutet in der Realität hauptsächlich, daß es afghanische Soldaten sind, die als erste in die Häuser und Hütten eindringen. Das jetzt geschlossene Abkommen sieht vor, daß jeder Razzia ein Gerichtsbeschluß zugrunde liegen muß. Dieser kann aber auch nachträglich, bis zu 48 Stunden später, ausgestellt werden. Für Festnahmen und Verhöre sollen ausschließlich afghanische Kräfte zuständig sein. Es steht ihnen jedoch frei, US-Soldaten und -Geheimdienstler »zur Unterstützung« heranzuziehen. Medien in den Vereinigten Staaten interpretieren das, wahrscheinlich zutreffend, so, daß den Amerikanern der Zugang zu keinem Gefangenen verweigert werden wird, mit dem sie »sprechen« wollen.

Außerdem bezieht sich die Vereinbarung nur auf Einsätze der militärischen Spezialeinheiten, nicht aber beispielsweise auf Kommandoaktionen der CIA. Vorstellbar ist auch, daß Washington in Zukunft verstärkt gezielt oder ungezielt mit bewaffneten Drohnen morden lassen wird. Wenn die »Sicherheit der USA« bedroht ist, und dieser Begriff ist beliebig auslegbar, werde man auch weiterhin völlig unabhängig handeln, haben US-amerikanische Politiker und Militärs bereits angekündigt.

Das Abkommen über die Nacht-Razzien ergänzt die schon vor einigen Wochen vereinbarte Übergabe der bisher von den USA betriebenen Haftanstalt im Stützpunkt Bagram unter afghanische Kontrolle. Damit gelten zwei wesentliche Hindernisse für die Unterzeichnung eines Abkommens über »strategische Partnerschaft« zwischen Washington und Kabul als beseitigt. Die Detailverhandlungen über diesen Vertrag wurden am Dienstag wieder aufgenommen, nachdem sie wegen des Massakers in zwei afghanischen Dörfern und der Verbrennung von Koran-Büchern durch US-Soldaten einige Wochen lang unterbrochen worden waren.

Die US-Regierung strebt an, den Vertrag noch vor dem NATO-Gipfel in Chicago am 20. und 21. Mai abzuschließen, um ihn dort bereits präsentieren zu können. Er soll als Grundlage dienen, den Verbündeten finanzielle und militärische Verpflichtungen für Afghanistan über den offiziellen Abzugstermin Ende 2014 hinaus abzuverlangen. Sämtliche praktischen Einzelheiten der künftigen US-Präsenz im Land – wie etwa Zahl, Art und Rechte der dort verbleibenden Truppen – sollen erst später ausgehandelt werden. Das Pentagon will voraussichtlich etwa 15000 Soldaten über 2014 hinaus in Afghanistan behalten.

* Aus: junge Welt, Freitag, 13. April 2012

NATO-Generalsekretär Rasmussen trifft Karsai in Kabul

Kabul. Die NATO wird nach Aussage ihres Generalsekretärs am Zeitpunkt für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Streitkräfte Ende 2014 festhalten. Was er bei seiner Reise durch das Land gesehen habe, stimme ihn »zuversichtlich, daß die NATO dieses Ziel erreiche«, sagte Anders Fogh Rasmussen am Donnerstag nahe der Hauptstadt Kabul. Gleichwohl würden Unterstützung und Ausbildung der afghanischen Truppen durch die NATO auch nach 2014 fortgeführt.
Der afghanische Marionettenpräsident Hamid Karsai hat den Zeitplan dagegen erneut in Frage gestellt. Die Übernahme der vollen Sicherheitsverantwortung und die Präsidentenwahl drohten das Land 2014 zu überfordern, sagte Karsai nach einem Treffen mit Rasmussen am Donnerstag in Kabul. Daher denke er darüber nach, den Abzug des Bündnisses auf 2013 vorzuverlegen oder die Wahl auf nächstes Jahr vorzuziehen. Eine endgültige Entscheidung habe er noch nicht getroffen, und sie sei auch nicht rasch zu erwarten. Das Foto zeigt Rasmussen bei einem Besuch der NATO-Truppen am Donnerstag in Kabul. (dapd/Reuters/jW)
(junge Welt, 13.04.2012)




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