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Lafontaine: "Der Einsatz in Afghanistan führt zu keinem vernünftigen Ergebnis." - Polenz: "Wir führen in Afghanistan keinen Krieg, sondern wir sind von der afghanischen Regierung eingeladen worden"

Bundestagsdebatte um den Tornado-Einsatz in Afghanistan - Die Anträge und Reden im Wortlaut

Am Freitag, dem 19. Januar 2007, hat sich der Bundestag auf Antrag der Linksfraktion mit dem Einsatz deutscher Tornados im Süden Afghanistans befasst.



Die drei Anträge

Zur Diskussion um die Ausweitung des Mandats der deutschen ISAF-Truppen in Afghanistan legten die Fraktion DIE LINKE und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jeweils einen Antrag vor, die wir im Folgenden dokumentieren. Während die Linkspartei in einem Antrag (16/4047) verlangt, keine Tornado-Aufklärungsflugzeuge einzusetzen, fordern die Grünen in ihrem Antrag (16/4048) einen Einsatz von der Zustimmung des Bundestages abhängig zu machen. Schließlich kam noch ein Antrag der FDP-Fraktion dazu, der in eine ähnliche Richtung zielt wie der der GRÜNEN.

Antrag der Fraktion DIE LINKE:

"Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, keine Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan einzusetzen."

Begründung:

"Medienberichterstattungen der vergangenen Tage zufolge erwägt die Bundesregierung den bewaffneten Einsatz von Jagdflugzeugen des Typs Tornado. Ihr Auftrag zur Aufklärung soll sich auf ganz Afghanistan erstrecken und ausdrücklich das heftig umkämpfte Südafghanistan mit einschließen. Seit der Ausweitung des ISAF-Mandats auf das gesamte Staatsgebiet Afghanistans und die Unterstellung unter den gemeinsamen Oberbefehl zusammen mit der Operation Enduring Freedom ist die notwendige Abgrenzung zwischen den beiden militärischen Operationen nicht mehr gewährleistet. Mit dem Einsatz der Tornado-Flugzeuge im Süden Afghanistans wird das bisherige Maß der Beteiligung überschritten. Eine unmittelbare Teilhabe an Kampfhandlungen ist im ISAF-Mandat nicht eingeschlossen. Daher stellt der Tornado-Einsatz eine neue Qualität des militärischen Engagements dar. Ein solcher neuer Einsatz der Bundeswehr ist sowohl aus rechtlichen wie politischen Gründen abzulehnen. Ein effektiver Kampf gegen Terrorismus lässt sich mit militärischen Mitteln nicht führen. Er muss daher aus grundsätzlichen Betrachtungen beendet werden. Vielmehr muss eine verantwortliche Exitstrategie aus dem militärischen Engagement führen."

Antrag vom 17. Januar 2007, Bundestags-Drucksache 16/4047)


Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Den Anteil Deutscher in Internationalen Organisationen zu erhöhen, ist in den letzten Jahren zu einem zentralen Anliegen deutscher Außenpolitik gemacht worden. Die Bundesrepublik Deutschland trägt mit der Bereitstellung und Entsendung von Soldatinnen und Soldaten in internationale Friedensmissionen zur Stärkung der Vereinten Nationen, der OSZE, der NATO und der EU bei. Der Deutsche Bundestag hat am 28.09.2006 der Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO (BT-Drs. 16/2573) mit großer Mehrheit zugestimmt. Mit bis zu 3.000 Soldaten stellt Deutschland das drittgrößte Einsatzkontingent der ISAF-Mission.

2. Die Bundesregierung prüft derzeit eine Anfrage der NATO zur Unterstützung der ISAF-Mission, insbesondere im Süden Afghanistans. Dabei ist die die Bereitstellung von TORNADO Aufklärungsflugzeugen in der Diskussion. Der Einsatz von TORNADOAufklärungsflugzeugen wäre qualitativ von erheblicher Bedeutung und ist vom Beschluss des Deutschen Bundestages nicht gedeckt. Weitere Einzelheiten sind bislang nicht bekannt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

ohne die vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages keine verbindlichen Zusagen zur Bereitstellung von weiteren Kräften und Fähigkeiten der Bundeswehr für einen Einsatz im Süden Afghanistans vorzunehmen.

(Antrag vom 17. Januar 2007, BT-Drucksache 16/4048)


Antrag der Fraktion der FDP

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 11. Dezember 2006 ging beim Bundesministerium der Verteidigung die Anfrage der NATO ein, ob die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen von ISAF einen gegenwärtig von den Streitkräften Großbritanniens wahrgenommenen Luftaufklärungsauftrag übernehmen könne. Mehr als eine Woche später wurden die Obleute des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses über diese Anfrage informiert, nachdem es erste Pressemeldungen diesbezüglich gegeben hatte.

Die Bundesregierung prüft derzeit einerseits die Bereitstellung von TORNADOAufklärungsflugzeugen zur Unterstützung der ISAF-Mission in Afghanistan und andererseits die Frage der Mandatierung eines solchen Einsatzes.

Unabhängig davon, ob nach juristischer Bewertung eine Verlegung von deutschen TORNADO-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan vom bisherigen ISAF-Mandat gedeckt ist oder nicht, ist allein aufgrund der politischen Verantwortung für die erhebliche Veränderung der Qualität des Einsatzes deutscher Soldatinnen und Soldaten im Rahmen von ISAF eine neue Mandatserteilung durch den Deutschen Bundestag unerlässlich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, verbindliche Zusagen an die NATO bezüglich des angefragten Einsatzes von TORNADOAufklärungsflugzeugen im Rahmen von ISAF in Afghanistan erst nach vorliegender konstitutiver Zustimmung des Deutschen Bundestages abzugeben.

(Antrag vom 17. Januar 2007, BT-Drucksache 16/4096)



Die Reden der Bundestagssitzung am 19. Januar 2007

Für die Beratung des Tagesordnungspunktes (ZP7) in der Plenar-Sitzung am 19. Januar war eine halbe Stunde vorgesehen. Das reichte zu wenigen Statements. Wir dokumentieren im Folgenden die fünf Reden in der Reihenfolge, wie sie gehalten wurden: Auf Beifallskundgebungen und Zwischenrufe haben wir von wenigen Ausnahmen abgesehen verzichtet.
In der Debatte sprachen:

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ich gebe bekannt, dass interfraktionell vereinbart worden ist, die heutige Tagesordnung um die Beratung der Anträge der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP zu dem möglichen Einsatz von Tornado-Aufklärungsflugzeugen in Afghanistan auf Drucksachen 16/4048 und 16/4096 zu erweitern und diese jetzt in verbundener Beratung mit Zusatzpunkt 7 aufzurufen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann verfahren wir so.

Ich rufe Zusatzpunkt 7 sowie die eben aufgesetzten Zusatzpunkte 9 und 10 auf:

ZP 7: Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Knoche, Dr. Norman Paech, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Keine Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan einsetzen
- Drucksache 16/4047 -
Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f), Verteidigungsausschuss, Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

ZP 9: Beratung des Antrags der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Keine Zusage deutscher Tornados ohne Bundestagsmandat
- Drucksache 16/4048 -
Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f), Verteidigungsausschuss, Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

ZP 10: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Neues Mandat für Tornado-Einsatz unerlässlich
- Drucksache 16/4096 -
Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f), Verteidigungsausschuss, Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, eine halbe Stunde zu debattieren, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten Redezeit erhalten soll. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Oskar Lafontaine das Wort.

Oskar Lafontaine (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Frage, ob Tornados der Bundeswehr in den Süden Afghanistans geschickt werden sollen, beschäftigt mittlerweile auch große Teile der deutschen Öffentlichkeit. Dabei stand in den letzten Wochen die Frage im Vordergrund, ob es dazu eines Bundestagsmandates bedarf. Wir sind der Auffassung: Dies ist notwendig. Wir unterstützen alle diejenigen, die darauf bestehen, dass der Deutsche Bundestag hierüber Beschluss fasst, weil wir dabei bleiben, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee sein muss.

Bei uns steht diese Frage aber nicht im Vordergrund. Man könnte durch die intensive Diskussion dieser Fragestellung von dem eigentlichen Thema abgelenkt werden. Das eigentliche Thema ist die Frage, ob hier ein Kampfeinsatz beschlossen wird. Nach unserer Auffassung wird ein Kampfeinsatz beschlossen.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Sie ist in Afghanistan bisher doch alles Kampfeinsatz! - Gegenruf von der LINKEN: Das ist kein Widerspruch!)


- Ja. - Ehe ein solcher Kampfeinsatz beschlossen wird, sollte man sich zumindest Klarheit darüber verschaffen, was man da mit beschließt. Diese Tornados unterstützen die Zielfindung der NATO-Bomben. Bei den NATO-Bombardierungen im Süden Afghanistans kommen viele Zivilisten ums Leben. Ich halte es für völlig verantwortungslos, eine solche Vorgehensweise in diesem Parlament auch noch zu unterstützen bzw. zu beschließen.

Noch wichtiger ist für mich aber, dass wir uns mit dieser Vorgehensweise den Terror ins Land holen.

Ich kann nur immer wieder darauf verweisen, dass die Mehrheit des Bundestages dann, wenn sie solchen Einsätzen zustimmt, schlicht und einfach ihrer Verantwortung nicht gerecht wird; denn es ist nicht der Auftrag des Bundestages, Beschlüsse zu fassen, den Terrorismus nach Deutschland zu holen. Das müsste doch eigentlich vermittelbar sein.

Alle ausländischen Dienste - einschließlich der amerikanischen Dienste - sagen, dass wir durch solche Einsätze die Terroranschlagsgefahr in Deutschland erhöhen.

(Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg [CDU/ CSU]: Durch solche Reden möglicherweise ja!)


Das müsste Sie doch beschäftigen, meine Damen und Herren.

Ich kann die Blauäugigkeit nicht verstehen, mit der man solche Einsätze beschließt. Es wurde einmal gesagt - das war einer der törichtsten Aussprüche, die hier in den letzten Jahren gefallen sind: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt. - Da darf man sich doch nicht wundern, wenn die Opfer der NATO-Bomben im Süden Afghanistans beispielsweise sagen: Meine Verwandten werden in Deutschland gerächt.

Man muss sich zumindest klar darüber werden, was man mit solch einer törichten Argumentation in der Welt alles anrichtet.

Wir sind der Auffassung, dass es das Richtige wäre, die Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Wir glauben, dass überhaupt keine vernünftige Strategie vorhanden ist, die begründen könnte, dass diese Truppen in Afghanistan weiter stationiert bleiben sollten. Wir sind der Auffassung, dass eine solche Vorgehensweise, wie sie derzeit wiederum ins Auge gefasst wird, erstens mit unserer Verfassung nicht in Übereinstimmung ist, zweitens das Völkerrecht bricht und drittens auch vom NATO-Vertrag nicht gedeckt ist. Insofern ist es an der Zeit, endlich umzukehren, ehe Schlimmeres passiert.

Es wird immer wieder gesagt, durch den Einsatz in Afghanistan sei Großartiges erreicht worden. Ich möchte darauf hinweisen, dass es auch viele kritische Stimmen gibt. Ich empfehle insbesondere dem konservativen Teil des Hauses, einmal die Auffassung zur Kenntnis zu nehmen, die Peter Scholl-Latour immer wieder vorträgt; der kennt sich in Afghanistan ja sicherlich besser aus als viele Damen und Herren dieses Hohen Hauses. Seine Auffassung, dass wir dort keines der Ziele erreicht haben, die wir vorgegeben haben zu erreichen, ist sicherlich nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Wenn er etwas hart formuliert: "Wir arbeiten hier mit Drogenbaronen und Verbrechern zusammen. Ist das eigentlich Auftrag der Bundeswehr?", dann ist dies nicht ohne Weiteres vom Tisch zu wischen. Es kann nicht Auftrag einer Parlamentsarmee sein, mit Verbrechern und Drogenbaronen zusammenzuarbeiten. Auch das muss einmal in aller Klarheit festgestellt werden.

Wie auch immer Sie die Argumente drehen und wenden: Sie haben sich verrannt. Jeder weiß: Wenn man sich verrannt hat, ist es schwer, wieder umzukehren.

(Zuruf von der SPD: Dafür sind Sie ein sehr gutes Beispiel! - Weitere Zurufe)

- Ihr habt die Erfahrung gemacht, dass ihr euch verrannt habt. Ihr habt nur nicht gelernt umzukehren. Es wird Zeit dafür. Sonst bringen die Wähler es euch bei.

Zurück zu der ernsthaften Auseinandersetzung. Der Einsatz in Afghanistan führt zu keinem vernünftigen Ergebnis. Er erhöht die Terroranschlagsgefahr in Deutschland. Er setzt eine Politik fort, die auf permanentem Völkerrechtsbruch begründet ist. Deswegen können wir nur sagen: Gehen Sie diesen Weg nicht! Die Erweiterung auf einen Kampfeinsatz ist durch nichts begründet. Kehren Sie um, und ziehen Sie die Truppen aus Afghanistan zurück!

Ruprecht Polenz (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke beantragt, Afghanistan sich selbst zu überlassen. Sie beantragen, die Fehler zu wiederholen, die nach dem Abzug der Sowjetunion aus Afghanistan gemacht worden sind. Sie beantragen, eine Situation herbeizuführen, die in Afghanistan eher über kurz als über lang wieder zu einem Bürgerkrieg führen würde. Sie wollen die Voraussetzungen dafür geschaffen sehen, dass Afghanistan endgültig ein Failed State wird, ein Rückzugs-, Ruhe- und Ausbildungsraum für Terroristen, wie Afghanistan es vor dem Einsatz war.

Dieser Antrag ist unverantwortlich, auch wenn Sie hineingeschrieben haben, dass Sie eine "verantwortliche Exitstrategie" wollen. Eine solche Strategie gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Allein das Nachdenken darüber ist unverantwortlich. Dieser Antrag ist unverantwortlich, weil er das Signal aussendet, wir könnten Afghanistan möglicherweise im Stich lassen.

Bei aller Unterschiedlichkeit der Lebensläufe und Biografien der Attentäter vom 11. September hatten sie alle eines gemeinsam, Herr Kollege Lafontaine: Alle waren mehrere Wochen, teilweise Monate, in Ausbildungslagern und Trainingscamps der al-Qaida in Afghanistan. In den Lagern der al-Qaida hat man Schulungs- und Ausbildungsmaterial, zum Beispiel Pläne, gefunden, die ganz klar belegt haben, was die weiteren Ziele dieser Terrororganisation sind.

Wir haben es bei den Anschlägen in London, in Madrid, auf Bali und auf Djerba - wo übrigens auch Deutsche ums Leben gekommen sind - gesehen, genauso wie bei den sogenannten Kofferbombern von Köln und Dortmund, deren versuchter Anschlag nur aus technischen Gründen nicht viele Tote zur Folge hatte: Die Spur führt immer auch in Richtung al-Qaida. Das zeigt, dass der Satz, den der damalige Verteidigungsminister Struck gesagt hat, dass Deutschland auch am Hindukusch verteidigt wird, nach wie vor gilt; denn wir müssen verhindern, dass Afghanistan wieder ein Rückzugsraum für al-Qaida wird.

Der Kampf kann natürlich nicht allein militärisch gewonnen werden; das weiß jeder. Es geht um einen klugen Mix zwischen zivilem Aufbau und militärischer Sicherheitsvorsorge. Der NATO-Außenministerrat wird am 26. Januar darüber sprechen, wie diese Strategie auf ganz Afghanistan ausgeweitet werden kann.

ISAF ist ein breites internationales Bündnis. Die Zusammenarbeit der 37 Nationen hat eine klare völkerrechtliche Grundlage, nämlich die Resolution des Sicherheitsrates. Der Auftrag lautet, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit zu unterstützen, stabilitätserhaltend und stabilitätsschaffend zu arbeiten. Das ist nicht nur Nothilfe und nicht nur Selbstverteidigung. Auch die Operation "Medusa" beispielsweise ist unter dem ISAF-Mandat durchgeführt worden. Stabilitätsschaffung durch Militär setzt natürlich voraus, dass man in dem einen oder anderen Fall seine Waffen einsetzt.

Trotzdem ist ISAF - ich will den Begriff einmal aufgreifen - keine Kriegspartei. Mit diesem Begriff wird eine Symmetrie zwischen Taliban und den internationalen Truppen suggeriert. Das lehnen wir ab. Im Übrigen greifen Sie hier zu einer Terminologie, die wir bei unseren amerikanischen Freunden kritisieren. Wir führen in Afghanistan keinen Krieg, sondern wir sind von der afghanischen Regierung eingeladen worden und arbeiten auf der Basis eines UN-Mandates.

Das ist die Sachlage, die Sie mit Ihrem Antrag in Zweifel zu ziehen versuchen. Das lehnen wir ab.

Die Lage, so wie sie sich derzeit darstellt, ist differenziert zu beurteilen. Auf der einen Seite gibt es Erfolge und auf der anderen Seite wachsende Schwierigkeiten. Erfolge gibt es bei der Demokratisierung, bei der Situation der Frauen, auf dem Bildungssektor und dem Gesundheitssektor. Allein die Tatsache, dass inzwischen über 4 Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt sind, weil sie glauben, dass die Voraussetzungen, das Land wieder aufzubauen, immer besser werden, zeigt, dass eine Schwarz-Weiß-Sicht, wie Sie sie hier dargestellt haben - nach dem Motto: Es macht sowieso keinen Sinn, sich für Afghanistan zu engagieren -, der Wirklichkeit nicht entspricht.

Auf der anderen Seite gibt es - teilweise wachsende - Schwierigkeiten, weil die gewünschte Entwicklung manchmal ausbleibt. Das führt zu Ungeduld, die Probleme mit Korruption und Drogen nehmen zu, und in manchen Provinzen verschlechtert sich die Sicherheitslage. Aber das darf nicht dazu führen, jetzt Hals über Kopf das Land zu verlassen, so wie Sie es dem Bundestag empfehlen.

Der deutsche Schwerpunkt bleibt der Norden. Ein dauerhafter Erfolg - das allerdings muss hinzugefügt werden - kann nur bei einem Erfolg in allen Teilen Afghanistans erreicht werden. Es gibt keine ISAF-Nord und ISAF-Süd. Wer in dieser Woche die Gelegenheit hatte, mit unseren britischen Kollegen zu sprechen, der wird festgestellt haben, dass deren PRT-Konzept, also das Provincial-Reconstruction-Team-Konzept, und Vorgehensweise der Art, wie Deutschland im Norden die Wiederaufbauarbeiten in Verbindung mit militärischen Fähigkeiten angeht, sehr ähnlich sind.

Nun zur Anfrage der NATO bezüglich der Tornados: Es geht um die Frage, ob Deutschland bei der Aufklärung helfen kann. Es geht nicht um unmittelbare Zielbekämpfung. Eine verbesserte Aufklärung, eine verbesserte Kenntnis über mögliche Bedrohungen, Herr Lafontaine, dient zunächst dem Schutz eigener Kräfte, natürlich auch dem Schutz unserer Entwicklungshelfer und nicht zuletzt dem Vermeiden sogenannter Kollateralschäden, wenn Angriffe auf feindliche Ziele gestartet werden müssen. Wer also Aufklärung unterbindet, bewirkt genau das, was Sie hier vorgeben anzuprangern.

Deshalb finde ich es richtig, dass die Bundesregierung ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt hat, zu prüfen, ob wir die Aufklärungslücke, die möglicherweise entsteht, mit den RECCE-Tornados schließen können, wobei die näheren Umstände - wo, wie lange, mit welchem genauen Auftrag? - noch geprüft werden, unter anderem durch eine Fact-Finding-Mission. Die Bundesregierung hat noch keine Entscheidung getroffen. Wir gehen aber davon aus, Herr Minister, dass die Entscheidung, so sie denn getroffen wird, wie bei allen Auslands-einsätzen bisher - da schließe ich die Vorgängerregierung ein - auf einer eindeutigen, unzweifelhaften Rechtsgrundlage erfolgt. Denn das ist die Voraussetzung für eine möglichst breite parlamentarische Zustimmung. Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass man unseren Soldaten, denen ich an dieser Stelle danke, dieses schwierige Mandat überhaupt zumuten kann.

Ich bin allerdings der Meinung, dass die detaillierten Sachfragen zum Tornadoeinsatz dann erörtert werden sollten - das werden wir in jedem Falle tun -, wenn die Entscheidung der Bundesregierung getroffen ist. Deshalb will ich jetzt keine weiteren Ausführungen dazu machen.

Ich könnte mir allerdings vorstellen - damit komme ich zum Schluss -, dass der Antrag der Fraktion der FDP und vielleicht auch der des Bündnisses 90/Die Grünen, die sozusagen im Vorgriff auf eine Entscheidung der Bundesregierung ein bestimmtes Verfahren anmahnen, hätten vermieden werden können, wenn uns der Informationsfluss der Bundesregierung über Pläne und Absichten etwas rechtzeitiger und kontinuierlicher erreichen würde. Das möchte ich als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses ausdrücklich anmahnen.

Dr. Werner Hoyer (FDP):

(...) Die Bemerkung zur Informationspolitik möchte ich unterstreichen. Ich möchte es auch bei dieser Bemerkung belassen. Herr Minister, seien Sie sicher: Wir wollen nicht die Oberingenieure oder die Unterkommandeure der Armee werden. Aber die politische Verantwortung müssen wir am Ende tragen. Deshalb möchten wir frühzeitig in die Überlegungen einbezogen werden.

Zur Rechtsfrage: Ich habe gestern das Ergebnis einer Beauftragung des Wissenschaftlichen Dienstes bekommen. In einem entsprechenden Gutachten kommt das Gremium zu dem Ergebnis, dass die von der Bundesregierung aufgrund der Anfrage überlegte Entsendung der Tornados grundsätzlich unter das bestehende ISAF-Mandat fällt, wenn die Bedingungen eingehalten werden, die dort genannt sind: Unabweisbarkeit, quantitative und zeitliche Begrenzung, aber natürlich auch Personal- und Haushaltsobergrenzen. Deshalb kann man die endgültige juristische Bewertung erst vornehmen, wenn wir genau wissen, was uns vorgelegt wird.

Gleichwohl kann man natürlich eine politische Bewertung vornehmen. Hierbei komme ich zu dem Schluss, dass es mit Geist und Buchstaben des ISAF-Beschlusses sicherlich nicht oder nur sehr schwer vereinbar wäre, wenn mit einer Veränderung der Qualität der Anstrengungen unserer Bundeswehr in Afghanistan seitens der Bundesrepublik Deutschland der Bundestag nicht befasst würde. Politisch ist es also sehr viel klüger, sich um eine Zustimmung des Bundestages zu bemühen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, in der Sache stehen wir hier vor einer der schwierigsten Abwägungen in der Außenpolitik seit langer Zeit. Mit der qualitativen Veränderung unserer Mitwirkung in Afghanistan einher geht auf der einen Seite eine weitergehende Mitwirkung an der Operation ISAF im Süden, wobei es sich natürlich bei ISAF - das ist vollkommen zutreffend von Herrn Polenz gesagt worden - um einen Gesamteinsatz handelt. Die Aufteilung in Nord und Süd ist also nur unter regionalen Gesichtspunkten richtig. Mit Berufung auf diese Aufteilung kann sich die Bundesregierung allerdings nicht aus ihrer Mitverantwortung für das, was im Süden geschieht, stehlen. Die NATO ist ja kein abstraktes Gebilde, sondern wenn die NATO irgendetwas unternimmt, dann kann das nicht geschehen, ohne dass vorher deutsche Vertreter in den entsprechenden NATO-Gremien mitgewirkt haben. Das heißt, auch wir tragen Mitverantwortung für das, was im Süden passiert. Das gilt allerdings nur in begrenztem Maße für OEF, für die Operation "Enduring Freedom", weil wir ja in der Tat so gut wie nichts über das wissen, was im Osten Afghanistans passiert. Ich empfehle die Lektüre des sehr interessanten Berichts von Lothar Rühl, der vorgestern in der "Neuen Zürcher Zeitung" erschienen ist. Da muss man, wie ich glaube, schon etwas genauer hinschauen. Die eine Frage ist also, inwiefern diese qualitative Veränderung bzw. Intensivierung unseres Beitrages für uns ein Problem darstellen könnte. Darüber hinaus haben wir andererseits eine außerordentlich schwere bündnispolitische Frage zu beantworten: Wenn die Anforderung des Bündnisses tatsächlich unabweisbar ist und wir die geforderte Leistung erbringen könnten - die Bundesregierung wird uns das ja dann darlegen müssen -, dann ist das bündnispolitisch sehr brisant, weil mit der Beantwortung dieser Frage die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sehr eng zusammenhängt. Ich empfehle also, das sehr sorgfältig zu erwägen, nicht nur, weil wir Liberale jeder Renationalisierung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik widersprechen werden, nicht nur, weil wir die NATO auch noch brauchen werden, wenn wir eines Tages einmal nicht mehr über Afghanistan sprechen, sondern auch, weil wir in Afghanistan auf die Solidarität des Bündnisses, die sehr stark von unserer eigenen Bündnisfähigkeit abhängt, im Interesse unserer eigenen, dort tätigen Soldaten angewiesen sind.

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden wir uns hier nicht vorzeitig festlegen. Wir werden sehr sorgfältig prüfen und abwägen und dann im Lichte der beiden genannten Überlegungen, nämlich zum einen, wo unsere eigenen Interessen für das weitere Vorgehen in Afghanistan liegen, und zum anderen, wie diese mit den Bündnisinteressen in Einklang zu bringen sind, eine Entscheidung fällen. Das Bündnisargument hat für uns ein großes Gewicht. Aber andererseits bin ich, Herr Kollege Polenz, nicht der Meinung, dass wir einfach allen Vorschlägen des NATO-Generalsekretärs folgen sollten. Wenn Bush und de Hoop Scheffer - das ist ja meistens das Gleiche - nichts anderes als "more of the same" einfällt, dann können wir das so nicht hinnehmen; denn wir würden dabei übersehen, dass wir mittel- und langfristig in Afghanistan nur Erfolg haben können, wenn wir zwei Schlüsselprobleme lösen, für die bislang niemand ein überzeugendes Konzept vorlegen konnte. Das eine Problem ist, dass das pakistanische Grenzgebiet Waziristan eine unerschöpfliche Quelle für den Nachschub an die Terroristen in Afghanistan bietet. Das zweite Problem ist der gigantische Widerspruch in der Drogenfrage, der schon bei der ersten Ausweitung des Einsatzes der Bundeswehr auf Kunduz seinerzeit hier diskutiert worden ist. Irgendwann müssen wir uns einmal die Mühe machen, Lösungen für diese beiden Probleme zu finden, sonst wird der Einsatz in Afghanistan am Ende in einer Katastrophe enden. Jeder, der bisher die Afghanistanbemühungen zum Lackmustest für die NATO hochstilisiert hat, wird sich hinterher wundern, vor was für einem Scherbenhaufen er dann steht.

Detlef Dzembritzki (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will vorweg sagen, dass für uns als SPD-Fraktion der Wiederaufbau, die Entwicklung und die Unterstützung des Parlaments und der Regierung in Afghanistan absolut im Vordergrund stehen. Das ist selbstverständlich, daran wird nicht gerüttelt, und das wird auch weiterhin Priorität haben.

Außerdem wird auch ganz klar sein, dass das Einsatzgebiet der Bundeswehr im Norden Afghanistans liegt. Aber wir wissen - auch aus den Diskussionen und aus dem Mandat -, dass temporäre Einsätze, temporäre Hilfe an anderer Stelle gefordert sind, machbar sind und tatsächlich auch schon stattgefunden haben.

Für uns ist also klar, dass eine Veränderung der Konzeption nicht zur Diskussion steht. Für uns ist entscheidend - ich bin dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses dankbar, dass er darauf hingewiesen hat -, dass das, was wir inhaltlich bewegen wollen, dass das, was wir als Schwerpunkt im zivilen Aufbau sehen, sicherlich in militärischer Absicherung, auch von den anderen Bündnispartnern wahrgenommen wird, und dass wir hier in dieser Weise im besten Sinne des Wortes eine Kohärenz herstellen.

Herr Polenz, Sie haben auf unsere Gespräche mit den Kollegen aus dem Unterhaus hingewiesen, die wirklich interessant waren, weil sie sehr inhaltlich ausgerichtet waren. Ich darf das um meine Eindrücke aus Diskussionsrunden in der Westeuropäischen Union ergänzen, in denen sehr stark nicht nur die militärische Frage, sondern immer wieder auch die inhaltlich zivile Frage in den Vordergrund gerückt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das einerseits als Schwerpunkt betonen und beschreiben, kommen wir doch andererseits nicht umhin, festzustellen, dass die Aufgabe in Afghanistan nur mit zivilem Aufbau und ohne militärische Absicherung nicht zu lösen ist. Wir dürfen und wir können nicht so tun - ich bitte bei den Freundinnen und Freunden vom Technischen Hilfswerk um Nachsicht -, als wenn nur mit einem zivilen Einsatz des THWs das zu leisten wäre, was dort zu leisten ist.

Ich glaube - auch meine Vorredner haben darauf hingewiesen -, dass wir bei dem, was im Augenblick von uns erbeten wird, nämlich im Aufklärungsbereich mitzuwirken - die britischen Kolleginnen und Kollegen haben uns bei dem Gespräch auch deutlich gemacht, dass ihre Kräfte erschöpft sind, dass sie andere Aufgaben wahrzunehmen haben -, nicht umhinkommen, uns diesem Ansinnen, diesem Anliegen objektiv zu öffnen und zu prüfen, ob wir es realisieren können. Denn - ich glaube, das ist deutlich zu unterstreichen - Aufklärung ist auch eine Frage von Sicherheit. Und Sicherheit für unsere Soldaten und für die Zivilbevölkerung soll mit im Vordergrund stehen. Wenn man sich die NATO-Länder anschaut, wissen wir, dass nicht alle über die Aufklärungskapazitäten, die hier notwendig sind, verfügen.

Man darf auch darauf hinweisen - ich weiß, dass das alles bei Ihnen, Herr Lafontaine und Kolleginnen und Kollegen, nicht helfen wird -, dass die Tornados, soweit ich das beurteilen kann, sogar ziviler sind als die Flugzeuge, die bisher die Aufklärung machen. Aber das soll nicht vertieft werden, weil das von dem eigentlichen Problem ablenken würde.

Herr Lafontaine, Sie haben gesagt: Wir holen den Terrorismus nach Deutschland. Ich muss gestehen, dass ich mich nicht nur wundere, sondern dass diese Aussagen, so wie Sie sie hier aus meiner Sicht populistisch vornehmen, Schmerzen verursachen.

Ich habe für Ihre Arbeit, die Sie in den zurückliegenden Jahrzehnten geleistet haben, nach wie vor Respekt. Ich habe auch an einigen Stellen die Möglichkeit gehabt, im persönlichen Gespräch mit Ihnen manchen Gedanken auszutauschen. Aber wie Sie uns hier im Parlament in die Situation meinen bringen zu können, dass wir - jetzt überziehe ich einmal ein bisschen - die Legitimierung von Terror wollten oder akzeptieren wollten, halte ich für eine große Ungeheuerlichkeit. Zumindest müsste man doch auch die Frage stellen: Wer würde denn, wenn er den Terror nach Deutschland bringt, der Terrorist sein? Das wäre doch keine ehrenwerte Persönlichkeit, sondern jemand, der aus genau dem terroristischen Umfeld käme, das wir durch die gemeinsamen Aktionen der internationalen Gemeinschaft zu bekämpfen versuchen.

Wir wollen dafür sorgen, dass der Terror weder unser Land noch andere Länder erreicht. Im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit muss die internationale Gemeinschaft den Einsatz von Gewalt grundsätzlich verdammen und ausschließen.

(Zurufe von der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, halten Sie sich freundlicherweise mit Zwischenrufen zurück; denn Sie wissen es besser. Ich habe hier im Parlament schon einmal darauf hingewiesen: Sicherlich gibt es Einzelne - ich will jetzt keine Namen nennen -, die so tun, als wollten sie sich in unserem Land inkorrekt verhalten. Aber, Frau Kollegin Knoche, wissen Sie, wie dankbar viele Kolleginnen und Kollegen im Parlament, insbesondere Frauen, und viele Menschen in Afghanistan sind, dass sich Europa und die Bundesrepublik einbringen?

Ich finde es dermaßen töricht - ich möchte nicht noch kräftigere Worte benutzen -, den Vergleich zu ziehen: Die Sowjets sind gescheitert, also werdet auch ihr scheitern. Wir treten dort nicht als Okkupanten auf.

Wir wollen keine Vorschriften machen, was dort zu geschehen hat. Wir sind dort, um dem Land, der Regierung und den Menschen dabei zu helfen, das eigene Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, um von uns unabhängig zu werden. Das ist der entscheidende Punkt. Nur wenn man weiß, was in diesem Land in den zurückliegenden drei Jahrzehnten geschehen ist, und wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die Kapazitäten, die notwendig wären, um diese Aufgabe von einem Tag auf den anderen zu bewältigen, überhaupt nicht vorhanden sind, dann wird deutlich, dass Hilfe notwendig ist.

Lieber Herr Hoyer, ich bin Ihnen für Ihren Beitrag dankbar. Natürlich müssen wir uns jede Entscheidung, die den militärischen Bereich betrifft und damit verbunden sein könnte, dass Menschen zu Schaden oder sogar zu Tode kommen, besonders schwer machen. Sie haben einige Überlegungen, an denen wir uns dabei orientieren sollten, angesprochen. Eine solche Frage müssen wir immer wieder sehr genau prüfen. Das ist die Herausforderung, die wir zu bewältigen haben. Ich vermute, dass wir uns der Bitte, Kapazitäten zur Aufklärung zur Verfügung zu stellen, letztlich nicht werden entziehen können. Wir werden intensiv darüber diskutieren. Wenn wir dieser Bitte entsprechen, würden wir dadurch allerdings keineswegs unsere Ideale verraten oder die Grundsätze der Zusammenarbeit mit Afghanistan aufgeben. Das muss deutlich unterstrichen werden.

Ich bin der Regierung dankbar, dass sie eines sehr schnell erkannt hat - an dieser Stelle möchte ich nicht die juristische, sondern ausschließlich die politische Diskussion führen -: Der Einsatz von Tornados würde eine Erweiterung des Mandats darstellen. Daher muss das Parlament darüber debattieren. Wir als Regierungskoalition sollten das auf jeden Fall tun, weil wir immer großes Interesse daran haben müssen, breite Mehrheiten im Parlament herzustellen. Allein auf Wunsch der Opposition hätte diese Diskussion sofort beendet werden können. Die SPD-Fraktion hat sich klar dazu bekannt - das finde ich richtig -, dass eine neue Entscheidung über das Mandat getroffen werden muss.

Auch bin ich der Bundesregierung dankbar, dass sie sich dieser Aufgabe im Rahmen ihrer Verantwortung in der G 8 und insbesondere in der EU so intensiv zuwendet. Herr Polenz hat schon darauf aufmerksam gemacht, dass die Außenministerkonferenz in Brüssel dazu genutzt werden soll, dass die Politischen Direktoren gemeinsame Arbeit leisten und dass man durch Diskussionen und den Erfahrungsaustausch über den Umgang mit dem Afghanistan Compact versucht, weiter aufeinander zuzugehen.

Ich finde es sehr gut - auch dies zu Herrn Hoyers Hinweis -, dass sowohl der pakistanische als auch der afghanische Außenminister in die Außenministerkonferenz der G-8-Staaten einbezogen werden, um auf diesem Wege die Nachbarschaftspolitik anzustoßen. Auch wir sollten überlegen, wie wir als Parlamentarier unsere Kontakte in diese Region etwas stärker ausbauen können. Denn Pakistan ist ein wichtiger Mitspieler. Wir sollten uns bemühen, für gute Nachbarschaft zu sorgen und Aggressionen abzubauen. Diese Gesamtverantwortung müssen wir als Parlament wahrnehmen.
Vielen Dank.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

(...) Lieber Kollege Dzembritzki, das ist ja alles richtig. Wir haben uns als Parlament mehrheitlich dazu bekannt, die gewählte afghanische Regierung zu unterstützen. Das ist versehen mit einem UN-Mandat. Wir lassen uns in diesem Bemühen nicht in eine Ecke stellen, etwa mit Besatzern. Nur, eines müssen Sie als Koalition sich an dieser Stelle fragen lassen: Wie bringen Sie es eigentlich mit schöner Regelmäßigkeit fertig, Situationen herbeizuführen, die es Kollegen wie Herrn Lafontaine überhaupt erst ermöglichen, solche Ausführungen über Afghanistan zu machen?

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist in einem freien Land nicht zu verhindern!)

- Herr von Klaeden, Sie wären gut beraten, an dieser Stelle künftig anders zu agieren.

Ich will einmal nachzeichnen, worum es geht, aber nicht aus Rechthaberei, sondern um zu zeigen, was sich ändern muss. Sie haben am 20. Dezember, mit einer halben Stunde Vorlauf, die Obleute des Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses, die Sie auf die Schnelle erreichen konnten, über diese Anfrage informiert, obwohl sie Ihnen bereits seit zehn Tagen vorlag. Warum haben Sie das gemacht? Weil Sie befürchteten, dass auf der Bundespressekonferenz Fragen dazu gestellt würden. Sie haben gesagt: Dieser Anfrage können wir nachgeben, weil sie durch das Mandat im Prinzip gedeckt ist. Das ist so weit gegangen, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD bei der Fraktionsklausur in Brüssel in einem Gespräch mit dem NATO-Generalsekretär gesagt hat: Ihr habt angefragt, wir liefern. Da sage ich Ihnen: So geht das nicht, so geht man nicht mit dem Bundestag um, und so geht man nicht mit dem Selbstverständnis der Bundeswehr als Parlamentsarmee um.

Jetzt sind wir an dem Punkt, dass wir über diese Frage rational diskutieren. Meine Bitte und Aufforderung an Sie von der Koalition lautet: Hören Sie auf, herumzufilibustern, gerade wenn es um so schwierige Fragen wie Militäreinsätze geht! Sobald es Zweifel daran gibt, ob etwas durch das Mandat gedeckt ist oder nicht, muss der Bundestag befasst werden, kann man sich nicht daran vorbeimogeln. Das ist der Kern dessen, worum es hier geht.

Über alle anderen Fragen werden wir in nächster Zeit in aller Ruhe und Gelassenheit zu diskutieren haben. Natürlich haben wir nicht nur ISAF-Nord und ISAF-Süd. Aber wir haben die Situation, dass bestimmte Teile der NATO anders agieren, als es beispielsweise die Bundeswehr und die Skandinavier im Norden Afghanistans tun. Wir nehmen erfreut zur Kenntnis, dass bei den im Süden Eingesetzten, bei den Amerikanern, in der Frage des Verhältnisses von militärischen Mitteln - die, ich betone das, notwendig sind - und zivilem Aufbau ein Umdenkprozess im Gange ist. So hat ein dort stationierter General gesagt: Wenn man mich fragt, ob ich eine zusätzliche Kompanie will oder lieber einen Kilometer Straße bauen will, dann entscheide ich mich für den Kilometer Straße.

(Detlef Dzembritzki [SPD]: Das ist doch etwas Positives!)


Der Mann hat recht. Das heißt, wir haben hier eine Entwicklung.

Ich erwarte von Ihnen als Bundesregierung, dass Sie uns im Anschluss an das Treffen der NATO-Außenminister und der NATO-Verteidigungsminister darlegen können, auf welche Strategie für ISAF Sie sich innerhalb der NATO, mit den Verbündeten, geeinigt haben. Soll es so gehen wie im Süden, nämlich in die Sackgasse? Oder soll ganz Afghanistan mit einem Mix von zivilen und militärischen Mitteln stabilisiert werden? Das wird es sein, worüber wir uns dann zu unterhalten haben.

Dazu gehören klare Aussagen, zum Beispiel wie man mit dem Kampf gegen Drogen umgeht; ich will das hier nicht unnötig in die Länge ziehen, indem ich all diese Fragen anspreche.

Die Debatte darüber, wie man Afghanistan stabilisiert, ist eine praktische Debatte, und sie ist es wert, geführt zu werden. Anders ist es mit der Debatte, ob man an einem neuen Mandat vorbeikommt. Ich glaube, es ist auch und gerade im Interesse der Soldaten der Bundeswehr, die dort eingesetzt sind, dass solche Einsätze nicht ausschließlich von der jeweiligen Mehrheit beschlossen werden.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/4047 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 16/4048 und 16/4096 sollen an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 16/4047 überwiesen werden. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Quelle: Deutscher Bundestag, Protokoll der 77. Sitzung (19.01.2007)


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