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Taliban strafen Bush am Hindukusch Lügen

USA sehen in Afghanistan mehr Sicherheit und kürzen zivile Mittel

Von Max Böhnel, New York*

Inmitten zunehmender Taliban-Anschläge soll die NATO Washingtons »Antiterrorkrieg« in Afghanistan übernehmen. Denn Präsident Bush sieht eine »bessere Sicherheitslage«.

Bei einem der blutigsten Anschläge seit Monaten riss dieser Tage ein Selbstmordattentäter auf dem Marktplatz von Tirin Kot in der afghanischen Provinz Urusgan zehn Menschen in den Tod und verletzte mehr als 50 schwer. Der Anschlag galt einem Sprecher der fundamentalistischen Taliban zufolge »hochrangigen US-Amerikanern«. Unklar blieb, ob der Attentäter die Bombe vorzeitig gezündet hatte.

Unweit des Marktes hatte sich zum Zeitpunkt der Explosion der US-amerikanische Botschafter Ronald E. Neumann mit örtlichen Politikern und Notabeln getroffen. Er blieb unverletzt und verschanzte sich mit seinen Sicherheitsleuten, bevor er in die Hauptstadt Kabul zurückkehrte. Am selben Tag entdeckte die afghanische Polizei an der Grenze zu Pakistan ein mit Sprengstoff voll bepacktes Fahrzeug. Kurz zuvor hatten Taliban-Terroristen den Leiter einer gemischtgeschlechtlichen Schule geköpft – offenbar als Teil des Taliban-Feldzugs, Schulunterricht für Mädchen und Frauen wieder rückgängig zu machen.

Innerhalb des letzten Quartals erschütterten 13 Selbstmordattentate das Land. Am 14. November waren bei einem Anschlag auf NATO-Truppen ein deutscher Soldat und acht Afghanen in den Tod gerissen worden. Dass sich die Taliban in einer Offensive glauben, hatte einer ihrer Verantwortlichen im vergangenen Monat gegenüber der Nachrichtenagentur AP unterstrichen. Rund 200 Aufständische seien bereit, gegen USA-Truppen und ihre Alliierten Selbstmordanschläge auszuführen. Inmitten dieses Klimas gibt sich Washington dennoch zuversichtlich.

Präsident George Bush hatte just am Tag vor dem jüngsten Anschlag bei einer Rede im Pentagon verkündet, die Sicherheitslage im »Antiterrorkrieg« in Irak und in Afghanistan habe sich »verbessert«. So soll die Zahl der US-amerikanischen Truppen in Afghanistan ab März von derzeit 19 000 auf 16 500 verringert werden. Im südlichen Afghanistan, wo die Taliban ihre größte Stärke zeigen, werden NATO-Truppen, die bereits im Norden und Westen des Landes patrouillieren, das Kommando übernehmen und die Zahl ihrer Soldaten von derzeit 9000 auf 15 000 erhöhen. Die britischen, niederländischen und kanadischen Kontingente übernehmen damit aber auch blutige »counterinsurgency«-Operationen, denen auch afghanische Zivilisten zum Opfer fallen werden. Die Kontrolle über die Ostgrenze Afghanistans zu Pakistan behalten sich die USA aber weiterhin vor.

Dass Washington der wirtschaftlichen Entwicklung Afghanistans und damit der Austrocknung der Armut – dem Sumpf, aus dem sich der Fundamentalismus speist – weniger Bedeutung beimisst, ergibt sich aus nackten Zahlen. Die Entwicklungsbehörde USAID, die im Jahr 2005 Afghanistan mehr als eine Milliarde Dollar für Straßenbau, Schulen und Krankenhäuser zur Verfügung stellte, überweist im laufenden Jahr nur 623 Millionen Dollar. Was den Anbau von Opium angeht, übt die Bush-Regierung keinen nennenswerten Druck auf Kabul aus.

Gerade der Bau von Straßen, aber auch die Errichtung von Schulen wären in Afghanistan der eigentliche Weg zum Erfolg im »Antiterrorkrieg«. Straßen würden die Rolle einer Zentralregierung verstärken sowie Opiumproduktion und -vertrieb eindämmen. Denn damit hätten die Bauern mehr Möglichkeiten, mit anderen Produkten Geld zu verdienen. Doch die 47 Milliarden Dollar, die Washington seit 2001 in Afghanistan für den Krieg und die Besatzung ausgegeben haben, lassen im Kongress zusätzliche Ausgaben kaum mehr rechtfertigen.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Januar 2006


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