Wie geriet Südkorea ins Visier der Taliban?
Regierung in Seoul unter Druck
Eine Häufung von Geiselnahmen registriert die UN-Mission in Afghanistan
(UNAMA). Die
Verschleppung von 23 Südkoreanern sei die bislang größte Geiselnahme von
Ausländern im Lande. Die Tageszeitung "Neues Deutschland" (ND) befragte die koreanische Afghanistan-Kennerin Lee Yu-Kyung, die im
Frühjahr jenes
Krankenhaus in Kandahar besuchte, in dem die Entführten arbeiteten.
Welchen Hintergrund hat Ihrer Meinung nach die Zunahme von Entführungen
in Afghanistan?
Entführungen sind eine wichtige Taktik der Taliban geworden,
insbesondere seit der Entführung
eines italienischen Journalisten im Frühjahr, als die Taliban im
Austausch fünf ihrer wichtigsten
Führer freipressen konnten. Es war zu erwarten, dass sie weitere
Geiselnahmen versuchen werden.
Die Entführung von Koreanern war angekündigt worden, weil Südkorea ein
größeres
Truppenkontingent in Afghanistan unterhält. Diese Geiselnahme ist jedoch
eine Herausforderung
selbst für die Taliban.
Für die Taliban? Wie das?
Die Zahl der Entführten ist so groß, dass eine Handhabung sehr schwierig
wird. 18 der 23 Geiseln
sind Frauen, und die Taliban haben bisher noch keine Frauen getötet,
sondern sie relativ bald frei
gelassen. Wenn sie alle oder viele umbringen, verlieren sie Sympathien
in der afghanischen
Bevölkerung. Also werden sie zumindest einige frei lassen und ihre
Forderungen (die Freilassung
von 23 ihrer Mitkämpfer) erneuern.
Sie kennen einige der Geiseln und deren Organisation …
Ja, es sind Medizinstudentinnen und -studenten, Krankenschwestern und
Lehrerinnen, die als
Freiwillige in einem von koreanischen Organisationen betriebenen
Krankenhaus in Kandahar
arbeiten. Sie werden von einer presbyterianischen Kirche unterstützt,
was aber nicht
notwendigerweise heißt, dass sie als christliche Missionare agieren. Ich
habe dieses Krankenhaus
im Frühjahr besucht: Dort werden viele afghanische Patienten,
insbesondere Frauen, von
koreanischen und afghanischen Ärzten behandelt. Sie sind den
Freiwilligen sehr dankbar, denn die
leisten eine sehr qualifizierte, wertvolle Arbeit.
Gerade Südkoreaner sollen aber im letzten Jahr stark kritisierte
religiöse Spektakel in Afghanistan
organisiert haben. Mitglieder der Organisation, die eben dieses
Krankenhaus betreibt, sollen daran
beteiligt gewesen sein.
Das waren natürlich die falschen Aktivitäten am falschen Ort, keine
Frage. Aggressive religiöse
Werbeveranstaltungen sollten nicht passieren, und sie sind
glücklicherweise eingestellt worden. Ich
weiß aber nicht, ob Krankenhaus-Mitarbeiter daran beteiligt waren.
Wie verhält sich Südkoreas Regierung in dieser Krisensituation?
Es herrscht höchste Alarmstufe. Die Regierung wurde schon heftig
verurteilt, weil sie sich sehr
passiv verhielt, als 2004 ein Koreaner in Irak hingerichtet wurde.
Diesmal sind hochrangige
Funktionäre nach Kabul geflogen, um möglichst nahe am Ort des Geschehens
mit den Entführern zu
verhandeln. Wichtiger noch ist, dass die Regierung bereits angekündigt
hat, die Truppen –
zusammengesetzt aus Sanitätern und Ingenieuren – Ende dieses Jahres
abzuziehen, während
zehntausende Demonstranten in Seoul den unverzüglichen Abzug fordern.
Kritische Medien greifen
die Regierung wegen der Stationierung von Militärs im Ausland an. Die
würden angeblich im Namen
des »nationalen Interesses« eingesetzt, unterstützten faktisch aber die
Kampftruppen der USA.
Wie beurteilen Sie aus eigener Kenntnis die Sicherheitslage in Afghanistan?
Es ist relativ sicher in Kabul, wo sich Selbstmordattentate oder
Bombenanschläge normalerweise
zwischen 7 und 8 Uhr ereignen, wenn Regierungsoffizielle auf dem Weg zur
Arbeit sind. Für Angriffe
auf Militärfahrzeuge gibt es dagegen keine »festen Zeiten«. Außerhalb
Kabuls ist sehr viel mehr
Vorsicht vonnöten, besonders in den östlichen Provinzen, wo neben den
Taliban auch Al Qaida sehr
aktiv ist, sowie in Kandahar und Helmand im Süden, den Bastionen der
Taliban. Generell wird es
immer schlimmer.
Warum werden die Taliban wieder stärker? Welche Aussichten hat
Afghanistan unter diesen
Bedingungen?
»Befreiung« und Wiederaufbau Afghanistans sind fast schon gescheitert.
Es gibt viele Gründe für
das Wiedererstarken der Taliban: Nach dem Sieg über das Taliban-Regime
2001 haben sich die
USA-Truppen kaum um die Südprovinzen gekümmert, wo sich die zweite
Generation der Taliban
neu gruppiert hat. Sie hatten sich auf den Osten konzentriert, weil sie
Al Qaida für die größere
Herausforderung der USA und ihrer westlichen Verbündete hielten. Das
Resultat sehen wir jetzt: Der
Widerstand der Taliban ist stärker denn je zuvor.
Ich sehe drei große Problembereiche in Afghanistan: die Korruption der
afghanischen Regierung, die
große Zahl ziviler Toter durch Tornado-unterstützte Luftangriffe der
USA-Koalition und der ISAF-Truppen
und drittens Pakistan, das eine sehr dubiose Rolle in Bezug auf die
Unterstützung der
zweiten Taliban-Generation spielt, während es gleichzeitig ein wichtiger
Verbündeter im USA-geführten
»Krieg gegen den Terror« ist.
Fragen: Norman Brauer
* Aus: Neues Deutschland, 24. Juli 2007
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