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US-Strategie am Hindukusch – Erfolgschance nur mit erheblich mehr Soldaten?

Der neue ISAF-Befehlshaber McChrystal setzt auf einen Kurswechsel am Hindukusch

Ein Beitrag aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *

Andreas Flocken:

Der verheerende NATO-Luftangriff auf zwei gekaperte Tanklaster in der Nähe von Kundus hat einmal mehr deutlich gemacht, wie sehr sich die Sicherheitslage inzwischen auch im Norden Afghanistans verschlechtert hat. Dutzende von Menschen sind bei dem von der Bundeswehr angeforderten Luftangriff getötet worden. Man befürchtete offenbar, die Taliban könnten mit den Tankern einen Selbstmordanschlag auf das deutsche Camp verüben. Der Luftangriff zeigt zugleich, wie schwer es für die NATO-Truppen ist, angemessen auf bestimmte Bedrohungslagen zu reagieren. Rund 100.000 ausländische Soldaten sind inzwischen in Afghanistan im Einsatz. Doch die Gewalt hat nicht abgenommen – im Gegenteil. Der neue ISAF-Befehlshaber McChrystal setzt inzwischen auf einen Kurswechsel am Hindukusch. Einzelheiten stehen in einem Bericht, den der US-General Anfang der Woche seinen Vorgesetzten übergeben hat. Zugleich fordert McChrystal ein Umdenken bei den ISAF-Soldaten. In der vergangenen Woche hat er eine entsprechende Direktive erlassen. Danach ist der Schutz der Bevölkerung die zentrale Aufgabe, das Hauptziel der ISAF-Truppe. Der US-General:

O-Ton McChrystal (overvoice)
„Ich glaube, dass oft sehr viel wirkungsvoller und viel wichtiger als den Feind zu attackieren, folgendes ist: Der Kontakt zu den Menschen, sich mit ihnen auseinander zusetzen, die Situation wirklich zu verstehen, um dann alles zu tun, um die Menschen zu schützen. Da müssen wir uns verbessern.“

Weg vom Besatzer-Image. Auch der Befehlshaber des für Afghanistan zuständigen NATO-Kommandos sieht zu diesem Ansatz keine Alternative. Der deutsche Vier-Sterne-General Egon Ramms:

O-Ton Ramms
„Wenn wir die Unterstützung der Bevölkerung nicht gewinnen, müssen wir ernsthaft darüber nachdenken, ob wir dieses Land nicht verlassen müssen.“

Mehr Sicherheit für die afghanische Bevölkerung – das heißt allerdings auch die Bereitstellung weiterer Mittel. Konkret aus militärischer Sicht: Noch mehr Soldaten. Nur so lässt sich den Afghanen Sicherheit vermitteln, nur so ist die neue Strategie des ISAF-Befehlshabers umsetzbar: Durch die Präsenz von Streitkräften in der Fläche. Das geht aber nur, wenn die Truppe ihre schwer bewachten Camps und Feldlager verlässt, dort hingeht, wo die Bevölkerung lebt. Der von General McChrystal vorgelegte Report ist daher die Basis für weitere Truppenverstärkungen, auch wenn in dem Bericht nicht ausdrücklich zusätzliche Soldaten gefordert werden - aus politischen Gründen. Denn inzwischen hat sich in den USA der Wind gedreht. Afghanistan ist Obamas Krieg – auch in Amerika sieht die Öffentlichkeit das Militär-Engagement am Hindukusch immer kritischer.

Der neue ISAF-Befehlshaber McChrystal hat in den vergangenen Wochen in Afghanistan bei den politischen Führern und Kommandeuren für seinen Ansatz geworben. Dabei bekam er immer wieder den Ruf nach noch mehr Soldaten zu hören, wie der US-General kürzlich bei dem Treffen mit dem Gouverneur von Kundus freimütig mitteilte:

O-Ton McChrystal
„Everywhere I go, governors and commanders need more forces. That’s what I tell my superior as well.”

Zu hören ist, für die Umsetzung der neuen Afghanistan-Strategie müssten bis zu 40.000 weitere Soldaten stationiert werden – zusätzlich zu den von Obama bereits gebilligten Verstärkungen von rund 20.000 Soldaten. Die Zahl der ausländischen Truppen würde dann auf bis zu 140.000 ansteigen. Das wären mehr Soldaten als zu Hochzeiten der sowjetischen Besatzung in den 80er Jahren. Was heißt das für die Bundeswehr? – Auch in Nordafghanistan lässt sich die neue Strategie nur mit erheblich mehr Soldaten umsetzen. Insbesondere für Kundus hält ISAF-Befehlshaber McChrystal weitere Sicherheitskräfte für notwendig:

O-Ton McChrystal
„It needs increased security. And typically that means you need increased security forces.”

Für den US-General könnte das aber auch eine Kombination von Soldaten, Polizisten und Geheimdienstlern sein.

Zurzeit beträgt die Obergrenze für das deutsche ISAF-Kontingent 4.500. Der Druck auf Berlin, mehr Soldaten zu schicken, wird nach der Bundestagswahl erheblich zunehmen. Soviel ist bereits jetzt absehbar: Bei der Mandatsverlängerung im Dezember wird die Obergrenze durch den Bundestag erneut beträchtlich angehoben – allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz.

* Quelle: NDR, Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, gesendet am 5. September 2009.
Im Internet: www.ndrinfo.de



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