Unterwegs als "Kugelfang" für einen US-General
Afghanistan: Besatzungstruppen suchen neue Nachschubwege, die Bundeswehr wird so noch mehr in die Kämpfe einbezogen
Von René Heilig *
Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr wird immer mehr zu einem
robusten. Diese Einschätzung »von oben« vermeidet das Wort Krieg und ist
deshalb nur bedingt einsatztauglich
Es macht Sorgen, wenn dem größten Verfechter des Afghanistan-Einsatzes
die Argumente ausgehen. SPD-Fraktionschef Peter Struck hat
vorgeschlagen, den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai im Bundestag
für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan werben zu lassen. »Ich
weiß, dass man mit solchen Einladungen sparsam sein muss. Aber der
Bundestag sollte überlegen, ob er den afghanischen Präsidenten bei
seinem nächsten Berlin-Besuch nicht einladen sollte, für den deutschen
Einsatz zu werben.«
Das alles ist sehr vage. Wann wohl wird Karsai nach Deutschland kommen –
und als was? Als Präsident von US-Gnaden oder als politischer
Flüchtling? Doch so weit denkt der SPD-Fraktionsvorsitzende und
ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck, der Deutschlands
Vorneverteidigung an den Hindukusch verlegte, (noch) nicht. Ihm geht es
um die Stimmung im eigenen Land. Und die ist – je nach Umfrageinstitut –
bis zu 70 Prozent gegen den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan.
Struck räumte ein, dass dies für einen demokratischen Staat wie den
unseren keine einfache Situation ist. Nötig sei Überzeugungsarbeit: »Ein
Politiker darf den Bürgern nicht nach dem Mund reden. Wir müssen den
Menschen noch besser erklären, warum der Einsatz am Hindukusch so
wichtig ist«, sagte Struck, der sich demnächst als aktiver Politiker
verabschiedet. Manche sagen auch: Er schlägt sich in die Büsche.
Was die Bundeswehr im umkämpften Land nicht nur mangels natürlicher
Deckungsmöglichkeiten nur selten tun kann. Denn sie ist eingebunden in
ein NATO-Konzept, das Afghanistan und seinen Bürgern angeblich
Demokratie und Freiheit bringen soll.
Nur wie geschieht das? An der »Heimatfront« weiß man es nicht, denn die
Nachrichten aus dem Kampfgebiet sind spärlich. Nur gerüchteweise erfährt
man etwas von der Änderung der Schusswaffengebrauchsbestimmung für
Soldaten der Bundeswehr im Einsatzgebiet. Nun soll rascher geschossen
werden als bisher und das, weil die Taliban einfach nicht einsehen
wollen, dass deutsche Soldaten nichts weiter sind als
»Entwicklungshelfer«. Zunehmend erfüllen die Deutschen auch Aufgaben,
die weit über ihre ISAF-Rolle hinaus gehen. Nicht nur in den fliegenden
AWACS-Radar-Leit-Flugzeugen. Auch irdisch ist man strategischen
Überlegungen der US-Streitkräfte dienstbar. Man betrachte ein Video
(siehe Ausschnitte unten), das von einem sogenannten Einsatzkameratrupp
der Bundeswehr gedreht wurde.
Seit rund einem Jahr stellen die Deutschen die sogenannte QRF. Dieses
schnelle Eingreiftruppe soll Patrouillen fahren, Konvois schützen,
Evakuierungsoperationen sichern und auch gewaltbereite Menschenmengen in
Schach halten. Zudem ist die QRF taktische Reserve des
Regionalkommandeurs Nord.
Und als solche mussten die deutschen Soldaten – so zeigt es das Video –
»Kugelfang« für einen US-Vier-Sterne-General spielen. Der ist für die
weltweite Logistik der US-Streitkräfte verantwortlich und auf der Suche
nach sicheren Nachschubwegen. Nachdem die Taliban und andere
oppositionelle Gruppen immer öfter den Nachschub über Pakistan
angreifen, prüfen die US-Militärs, ob die Anlieferung der benötigten
Güter über Tadschikistan nicht sicherer laufen könnte. So ließ sich der
US-General von der im Norden Afghanistans zuständigen Bundeswehrtruppe
bis an die Grenze nach Herathon bringen. Dort besichtigte er einen
Eisenbahn-Knotenpunkt und war zutiefst dankbar, dass die deutschen
Feldjäger sowie all die anderen beteiligten Spezialkräfte eine
ungestörte Arbeit vor Ort ermöglicht haben.
Noch ist die Arbeit ungestört. Doch wenn die Nachschubwege für die
US-Truppen und die in der ISAF zusammengeschlossenen Militärverbände
demnächst im Norden Afghanistans ihren Anfang nehmen, werden die
Bundeswehrsoldaten nicht nur zusätzliche Sicherungsaufgaben übertragen
bekommen. Sie werden so mehr denn je zur Zielscheibe der Aufständischen.
Der Norden, so sagt August Hanning, als einstiger BND-Chef der
wichtigste Geheimdienstexperte von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble
(CDU), »wird strategisch immer wichtiger«. Das bedeutet, die deutschen
Soldaten rutschen nur noch tiefer in das Gemetzel, sas man hierzulande
nicht »Krieg« nennen soll. Und natürlich werden auch Ziele hierzulande
lukrativer für alle, die sich der »islamischen Sache« verschrieben haben.
* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2009
Vietnam um die Ecke
Trotz erklärter anderer Absicht verfolgt Barack Obama Bushs Spuren – und
ruft dafür sogar die Kultur an
Von Reiner Oschmann **
Der Verfasser dieser Zeilen gehört nicht zu den Linken, die in Präsident
Obama nur einen Bush mit dunkler Haut sehen. Innen- wie außenpolitisch
ist der Unterschied, den der Neue im ersten Diensthalbjahr im Vergleich
zum Vorgänger gemacht hat, alles andere als vollkommen, aber vollkommen
unübersehbar: Viele Themen veranschaulichen, dass es auch in Zeiten der
Globalisierung nicht egal ist, welche Person die Interessen der
Herrschenden exekutiert, auch dann nicht, wenn man die Rolle der
Persönlichkeit keineswegs vor die Schwerkraft der Machtstrukturen
stellt. Ohne Anerkennung der realen Machtverhältnisse wäre auch das
Weiße Haus nur ein toter Briefkasten – oder wie Tucholsky wusste: »Die
Realität ist niemals falsch, sie ist.« Doch selbst dem
militärisch-industriellen Komplex der USA wachsen die Bäume nicht in den
Himmel. Gleich gar nicht, wenn den Weg nach oben ein Mann wie Bush jr.
überwacht. Persönlichkeit, Intelligenz und Einfühlvermögen sind nicht
alles, aber ohne eine Portion davon werden Politiker zu Flaschen oder
Gemeingefährlichen oder gemeingefährlichen Flaschen. Deshalb ist es ein
Gewinn, dass Obama da und Bush weg ist.
In einer Schlüsselfrage US-amerikanischer Politik hingegen, die auf das
Binnenklima wie das weltweite Wetter strahlt, ist Obama trotz erklärter
anderer Absicht nah bei Bush: Acht Jahre nach Kriegseintritt der USA in
Afghanistan setzt er entgegen aller Analyse einen Kurs fort, mit dem
jener 44. Präsident einen der verhängnisvollsten Fehler der
US-Außenpolitik, das Versagen und Verbrechen des Vietnamkrieges,
praktisch wiederholt. Daran ändert der jetzt verkündete Strategiewandel
gegenüber Afghanistan nichts. Auch er erinnert in seiner behaupteten
Änderung an den Zickzack während Vietnam. Auch dort hatten die USA
ungeachtet aller Wendungen eine Konstante nie aus den Augen verloren:
sicherzustellen, dass das schwarze Loch, in das sich Amerika manövriert
hatte, auch wirklich immer tiefer wurde.
Die neue Strategie der USA und der NATO in Afghanistan besteht nach den
Worten von US-General und Kommandeur der Isaf-Schutztruppe, Stanley
McChrystal, in »Kulturwandel«. Wenn man das zum ersten Mal hört und vom
Einvernehmen seiner Linie mit dem neuen Mann im Weißen Haus ausgeht,
kann sich Hoffnung auf Wandel regen. McChrystal, der Experte für
schmutzige Kriegsführung, setzt in Afghanistan künftig auf Bomben und –
dies das Neue – auf: Abwarten und Tee trinken. »Wenn Sie irgendetwas
tun, was den Afghanen schadet, dann verscherzen Sie sich wahrscheinlich
die Sympathien der Bevölkerung«, mahnt er. Denkt er vielleicht daran,
dass rund 60 Raketenangriffe mit unbemannten Flugkörpern (Drohnen) in
den letzten drei Jahren nur 14 Al-Kaida-Terroristen ausschalteten,
nebenbei aber 700 Frauen, Alte und Kinder töteten?
Dieses Ergebnis hat militärisch nichts verbessert, aber – wie einst in
Vietnam – die Einheimischen gegen die USA auf- und Al Qaida wie den
Taliban willigen Nachschub gebracht. Die neue Strategie: Raketen, Bomben
werden nicht gestoppt, sie sollen um halbe Teestunden zur Gewinnung von
Herzen und Hirnen ergänzt werden. Der Weg zur Hölle ist augenscheinlich
wirklich gepflastert mit guten Absichten.
Ähnlichen Spagat versuchten die USA in Vietnam. Am Ende blieben über
drei Millionen tote Vietnamesen, Agent Orange und Son My zurück – und
Tee und Verständnis für Amerikas Kriegsführung auf der Strecke. Barack
Obama, der den jetzigen Krieg nicht begonnen, aber geerbt hat,
vergrößert Truppen und Geheimdienstarmee auf fast 70 000, mehr als das
Doppelte aller anderen NATO-Truppen, darunter aus Deutschland. Doch
nicht nur, weil auch NATO-Generäle die Möglichkeit eines Siegs in
Afghanistan ausschließen, sondern aus historischer Erfahrung darf als
sicher gelten, dass Mächten, die Bomben und Raketen auf fremde Völker
werfen, nicht die Herzen dieser Völker zufliegen. Eine Strategie, die
Afghanistan in eine wuchernde Kaserne für zigtausende NATO-Soldaten,
Berater und Beamte verwandelt, ist zudem ein zwar unfreiwilliges, aber
blendendes An- und Nachwuchsprogramm für tatsächliche und potenzielle
Terroristen.
Der Vietnamkrieg hat neben unermesslichen Opfern in der Region zwei
Präsidenten (Johnson, Nixon) und die Glaubwürdigkeit der USA weltweit
zerstört. Die Strahlkraft Amerikas vor allem auf junge Leute, diese
»soft power« genannte weiche Macht, die sich aus einem wichtigen, wenn
auch nicht immer berechtigten guten Gefühl erklärt, das amerikanische
Musik, Künstler und Lebensart »machen«, war erloschen oder lebhafter
antiamerikanischer Erregung gewichen. Afghanistan (und Irak), wo sich
die USA und der Westen seit dem 11. September bis heute mit dem Trugbild
eines »guten, gerechten Krieges« trösten, kann für Amerika und die
Bundesrepublik, Britannien, Frankreich und andere NATO-Länder Ähnliches
bereithalten. Jenseits aller Ironie solchen Schicksals wäre es tragisch,
wenn die Wiederholung von Unglück und Unrecht aus erster
US-amerikanischer Hand gerade von dem Präsidenten geleitet würde, den so
viel Sympathie und Hoffnung wie seit einer Generation nicht mehr begrüßt
haben. Der Missbrauch der Kultur ist dabei noch am ehesten zu verschmerzen.
** Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2009
Unterstützung für US-Besatzer aus London ***
Die US-Militäroperation »Handschar« ging in der südafghanischen Provinz
Helmand auch am 4. Juli, dem US-Nationalfeiertag, und am Sonntag weiter.
Neben über 4000 US-Besatzern und 650 Helfern aus der Armee Afghanistans
sind daran laut des TV-Senders BBC auch insgesamt mehr als 700 britische
Soldaten beteiligt. 350 wurden am Freitag in der Region abgesetzt und
von zwölf Chinook-Hubschraubern »unterstützt«. Dabei habe es sich um
eine »der größten Luftoperationen der jüngeren Geschichte« gehandelt, so
das Londoner Verteidigungsministerium.
Wie die FAZ (4.7.) »aus Militärkreisen« berichtete, seien das Vorgehen
der britischen und amerikanischen Armeen »koordiniert«. Zur Lage habe
ein Kommandeur erklärt, man befinde sich in einem »höllischen Krieg«.
Doch zum genauen Verlauf der Intervention, während der die
Taliban-Hochburgen in der Region besetzt werden sollen, lagen am Sonntag
kaum Informationen vor. Jason Straziusom, ein »imbedded journalist« von
der Agentur AP, berichtete, daß »die Bravo Company des 1. Bataillons im
5. Marineregiment viel marschiert« sei, ansonsten »aber bislang nur
gegen die Hitze gekämpft« habe. »Auch ohne Feindberührung« werde den
US-Marineinfanteristen »einiges abverlangt«, so der Kriegsreporter. »Die
Elitesoldaten marschieren in voller Kampfausrüstung mit bis zu 45
Kilogramm schwerem Gepäck auf dem Rücken.«
Straziusom zitierte einen Militärsanitäter namens Simon Trujillo mit den
Worten: »Wenn die Körpertemperatur 40 Grad Celsius übersteigt, fängt
einem das Gehirn an zu kochen.« Mehrere Marines hätten sich übergeben
müssen, »drei fielen in Ohnmacht«. Der AP-Korrespondent versuchte,
Mitleid für die Besatzer zu erzeugen. Doch die redeten Klartext. »Es
wäre toll, wenn wir endlich Kontakt bekämen«, freute sich der Gefreite
Michael Estrada auf den ersten Kampf.
Am Sonntag (5. Juli) meldete AP, daß zwei »Soldaten der NATO« bei der
Explosion einer am Straßenrand versteckten Bombe in Südafghanistan
getötet worden seien.
(AP/AFP/jW)
*** Aus: junge Welt, 6. Juli 2009
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