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Neue Strategie am Hindukusch

NATO und USA wollen afghanische Streitkräfte stärker beteiligen

Die NATO und die USA-geführten Truppen haben eine neue Strategie für den Anti-Terror-Kampf in Afghanistan vereinbart, mit der die Zahl der zivilen Opfer verringert werden soll.

Künftig sollen mehr afghanische Kräfte an den Einsätzen beteiligt werden, teilten die NATO und die US-Armee am Freitag (13. Februar) mit. Der Vereinbarung waren Verhandlungen zwischen dem afghanischen Verteidigungsminister Abdul Rahim Wardak und dem US-General David McKiernan vorausgegangen.

Nur mit der Unterstützung des afghanischen Volkes könnten die »Terroristen« besiegt werden, hieß es in der gemeinsamen Erklärung von NATO und US-Truppen. Die Spannungen zwischen den ausländischen Truppen und der afghanischen Regierung hatten zugenommen, nachdem bei mehreren Luftangriffen zahlreiche Zivilisten ums Leben gekommen waren.

Der Aufstand der radikal-islamischen Taliban in Afghanistan hat sich nach Erkenntnissen der USGeheimdienste im vergangenen Jahr deutlich ausgeweitet. Inzwischen seien auch ehemals friedliche Gebiete rund um die Hauptstadt Kabul und andernorts betroffen, heißt es in dem vom USGeheimdienstkoordinator Dennis Blair vorgelegten Jahresbericht an den Kongress. Trotz eines verstärkten Einsatzes der USA- und NATO-geführten Streitkräfte im Land am Hindukusch gingen die Aufständischen aggressiver vor als früher. Auch die Zahl der Anschläge mit Todesopfern sei gestiegen.

»Vor allem in vielen östlichen Regionen des Landes und im Süden und Westen hat sich die Sicherheitslage verschlechtert«, heißt es in dem Bericht. Voraussichtlich würden die Taliban und ihre Verbündeten versuchen, die Präsidentenwahl in Afghanistan in diesem Jahr massiv zu stören. Die afghanische Regierung sei nicht in der Lage, auf Provinz- und Bezirksebene vertrauenswürdige Institutionen zu schaffen, was ihrem Einfluss schade und die Taliban erstarken lasse, kritisiert das Papier. Der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, war am Donnerstag zu Gesprächen über die Befriedung der Region in Kabul eingetroffen.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat vor wenigen Tagen seinerseits die USA und andere westliche Staaten mitverantwortlich für das Erstarken der Taliban in seinem Land gemacht. In einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« warnte er, dass willkürliche Militäraktionen der US-Truppen die Position seiner Regierung schwächen und den »afghanischen Rechtsstaat« unterwandern.

In Afghanistan sind Tausende US-Waffen verschwunden, mit denen die einheimischen Sicherheitskräfte versorgt wurden. Das geht aus einem Bericht hervor, den die Untersuchungsbehörde des Kongresses (GAO) in Washington veröffentlichte. Das Arsenal der vermissten Waffen reicht demnach von Maschinengewehren bis zu Granatenwerfern. Insgesamt habe es das Pentagon aufgrund von Nachlässigkeit und Personalmangel versäumt, komplett Buch über 87 000 Waffen zu führen, heißt es in dem Report. Das entspreche ungefähr einem Drittel aller Waffen, die an die afghanischen Sicherheitskräfte geliefert worden seien. Ihr Verbleib lasse sich nun nicht mehr zurückverfolgen.

Das Verschwinden der Waffen und der Verdacht der Korruption innerhalb der afghanischen Regierung nähren Besorgnisse, dass ein Teil des Kriegsgeräts in die Hände von Taliban-Rebellen oder Al-Qaida-Terroristen gefallen sein könnte. Dem GAO-Report zufolge hat eine private Vertragsfirma der USA 2008 in Washington von Vorwürfen berichtet, dass afghanische Sicherheitskräfte Waffen an feindliche Kämpfer verkauften.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Februar 2009

Personalien: Bernd Mützelburg wird Sonderbeauftragter für Afghanistan

Ein Vernetzer? **

Wenn Militärs im Einsatz nicht weiterwissen, dann kündigen sie irgendein »System vernetzter Sicherheit« an. Das scheitert dann an Geldmangel, zu geringer Kompetenz oder einem Computerwurm. Denkbar, dass Außenpolitiker nun zeigen, wie »vernetzte Sicherheit« erfolgreich funktioniert.

Nachdem Obamas USA den Bosnien-erfahrenen und -erfolgreichen Richard Holbrooke zur politischen Afghanistan-Geheimwaffe bestimmten, stellt ihm Deutschland einen »Assistenten« zur Seite: Bernd Mützelburg, 65, derzeit Botschafter in Indien, wurde »Sonderbeauftragter für Afghanistan«. Außenminister Steinmeier (SPD), so heißt es, sei von Washington gebeten worden, einen solchen zu ernennen. Gute Idee, zumal Mützelburg – auch wenn der Name an die ZDFHeinzelmann- Brigade erinnert – ein cleverer Diplomat strategischer Prägung ist.

Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten in Mainz und Marburg studierte er an der Fletcher School for Law and Diplomacy in Boston. Im Auswärtigen Amt hat er diverse Positionen, zumeist gedanklich eng am Schreibtisch des jeweiligen Chefs, ausgefüllt. Von 1975 bis 1978 war er Ständiger Vertreter des Botschafters in Jamaika. Danach folgten Verwendungen im Referat für Abrüstung und Rüstungskontrolle und an der Ständigen Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York.

Von August 1999 bis Juli 2001 stand Stellvertretender Leiter der Abteilung für Außen- und Sicherheitspolitik im Bundeskanzleramt auf seiner Visitenkarte. Das war unter Gerhard Schröder. Danach wurde der Diplomat Leiter der Abteilung für Globale Fragen, UNO, Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes. Ab 2002 ging Mützelburg erneut in des Kanzlers Amt, diesmal als Leiter der Abteilung für Außen- und Sicherheitspolitik und Berater des Chefs. Vor seiner jetzigen Verwendung als Botschafter in Indien war er von November 2005 bis Februar 2006 Botschafter für Sonderaufgaben im Auswärtigen Amt.

Die Ernennung lässt dennoch einen Funken Hoffnung aufflackern. Es könnte sein, dass der Westen angesichts selbst organisierter politischer Pleiten nun wirklich zur vernetzten Sicherheit übergeht. Das setzt Geist voraus. Er ist notwendig.

René Heilig

** Aus: Neues Deutschland, 17. Februar 2009




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