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Eindrücke von der Afghanistan-Konferenz der SPD

Von Ute Finckh *

Die – gut besuchte – Afghanistan-Konferenz der SPD am 14.12.2010 in Berlin war eine sorgfältig in Richtung "wir können doch jetzt nicht die BW abziehen lassen, wo wir endlich die richtige Strategie gefunden und Erfolge vorzuweisen haben" durchgestylte Veranstaltung. Dank Ulrich Post von VENRO und dem Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Sellering waren aber auch sehr kritische Töne zu hören. Von der SPD-Spitze eindeutig geteilt werden inzwischen Positionen wie "Unabhängigkeit von Hilfsorganisationen respektieren", "die Nachbarländer in einen KSZE-ähnlichen Prozess einbeziehen", "dezentrale Strukturen stärken" und "Verhandlungen mit Aufständischen aufnehmen". Das war vor einigen Jahren noch anders, kommt jetzt leider wohl zu spät.

Die eigentlichen ReferentInnen waren: Als SPD-Spitzenleute Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier, als Externe die afghanische Parlamentsabgeordnete aus der Region Masar-e-Sharif (gleichzeitig Mitglied des Hohen Friedensrats) Gulalai Noor Safi, der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan, Botschafter Michael Steiner, der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant Rainer Glatz, der Vorsitzende des Verbands Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO), Ulrich Post, sowie Citha D. Maaß von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Also ein bisschen staatstragender als das Afghanistan-Podium bei einem Kongress der Union zum Thema "Vernetzte Sicherheit" gut zwei Wochen vorher. Die Beiträge sind auf der SPD-Homepage zu finden:
www.spd.de [externer Link!]
Man beachte insbesondere das "Aufmacherfoto".

Durch die afghanische Abgeordnete als eine Art Kronzeugin dafür, dass westlich orientierte Afghanen gegen einen sofortigen Abzug der ISAF sind, wurde die Linie der SPD-Führung von Anfang an deutlich gemacht. Damit war die (korrekt zitierte) Umfrage, dass jeweils über ein Viertel der Afghanen inzwischen entweder für einen sofortigen Beginn des Abzugs der NATO-Truppen oder einen Abzugsbeginn im Sommer 2011 sind, aus dem Fokus genommen.

In der Diskussion wurden überwiegend Leute aufgerufen, die sich bereits vor der Konferenz mit Beiträgen zu Wort gemeldet hatten, was teilweise ganz gut war, weil damit Leute wie Körting (Berliner Innensenator), Sellering und der neue Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Witthaut, mit kritischen Beiträgen zu Wort kamen. Außerdem wurde deutlich, dass eine ganze Reihe von SPD-Gliederungen klare Abzugsperspektiven gefordert hatten. Aber es gab dadurch sehr schnell ein Ende der Rednerliste. Dabei kam Herbert Sahlmann, der sich regelmäßig sachkundig und kritisch zur Afghanistan-Politik seiner Partei äußert (vgl. z.B. http://www.soziale-verteidigung.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/infoblatt_afghanistan_08.pdf) zwar zu Wort, seine Frage, ob nicht ein sofortiger Abzug der NATO und eine gleichzeitige Entsendung von UN-Blauhelmen zur Deeskalation beitragen könnte, wurde jedoch vom Podium nicht aufgegriffen.

Interessanter als das, was gesagt wurde, ist, was ausgeklammert wurde: Kein Wort zu Kundus bzw. dem entsprechenden Untersuchungsausschuss, kein Wort zu den Drohnenangriffen der USA. Generalleutnant Glatz hat (anders als bei einer Veranstaltung am 6.10., an der ich auch teilgenommen habe) das Friedensgutachten 2010 nicht erwähnt, seine Rede war offensichtlich mit der Leitung des BMVg abgestimmt. Wer genau hingehört hat, konnte allerdings etliche Einschränkungen durchhören - die Bundeswehr scheint sich inzwischen gegen eventuelle zukünftige Vorwürfe abzusichern, sie hätte die Situation beschönigt. Also hat Glatz nur mitgeteilt, dass der Schwerpunkt der COIN-Aktionen im Süden liegt (ohne Angaben zu Erfolg und Misserfolg). Und dass es im Norden in Kundus und einer weiteren Provinz auch derartige Militäraktionen gibt, die gewisse Erfolge auf der operativ-taktischen Ebene ergeben hätten, dass es aber keine strategischen Erfolge zu vermelden gibt.

Von der Verteilung des Beifalls her waren alle "Richtungen" von "Abzug sofort" bis hin zu "Abzug nicht an ein festes Datum binden" im Saal in nennenswerter Anzahl vertreten. Eindeutig ist jedoch, dass praktisch die gesamte Partei fest mit einem vollständigen Abzug der deutschen Truppen bis 2015 rechnet. Irgendwelche Tricks mit "Abzug aus dem Norden, Verlagerung in den Süden" oder "Abzug der Kampftruppen, neues Mandat für Ausbilder" würden nach meiner Einschätzung zum offenen Aufstand gegen die Parteiführung führen. Das ist derzeit aber ein schwacher Trost.

Für die Parteiführung dürfte ansonsten derzeit der Widerstand der Landes-, insbesondere Innenpolitiker und der Polizeigewerkschaft am relevantesten sein. Aber beim Kosovokrieg haben sie den Widerstand zweier Ost-Ministerpräsidenten (Stolpe und Höppner) auch ausgesessen ... In sofern ist es wichtig, sich weiter aktiv und mit allen zur Verfügung stehenden Argumenten in die Debatte einzumischen.

* Ute Finckh, Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung und langjähriges SPD-Mitglied.

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Gabriel: Wir stellen die richtigen Fragen
SPD suchte auf einer Konferenz unverdrossen nach Antworten zum Einsatz in Afghanistan (16. Dezember 2010)




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