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Leichenschändung

Video zeigt US-Marineinfanteristen in Afghanistan *

Eine mutmaßliche Schändung getöteter Taliban durch US-Soldaten hat international Empörung ausgelöst.

Auf dem im Internet kursierenden Video, dessen Echtheit zunächst nicht offiziell bestätigt wurde, urinieren US-Soldaten angeblich auf getötete Aufständische. Der afghanische Präsident Hamid Karsai forderte die USA dazu auf, die Täter so schwer wie möglich zu bestrafen. »Diese Tat amerikanischer Soldaten ist zutiefst unmenschlich«, hieß es in einer Mitteilung Karsais.

Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums verurteilte das Video. »Es ist abscheulich. Es hat mir den Magen umgedreht«, wurde Pentagon-Sprecher John Kirby vom Nachrichtensender CNN und anderen US-Medien zitiert. »Egal, wer das in dem Video ist oder wie die Umstände waren - dieses Verhalten ist ungeheuerlich und ekelhaft.«

Die internationale Afghanistantruppe ISAF teilte mit, die USA hätten eine Untersuchung eingeleitet. »Diese respektlose Tat ist unerklärlich und nicht in Übereinstimmung mit den hohen moralischen Maßstäben, die wir von Koalitionstruppen erwarten«, teilte die ISAF am Donnerstag mit. Die in dem Video gezeigten Taten »scheinen von einer kleinen Gruppe amerikanischer Individuen ausgeführt worden zu sein, die anscheinend nicht mehr in Afghanistan dienen«.

Das Video ist seit Mittwoch (11. Jan.) im Umlauf. Auf ihm sind vier mutmaßliche Marineinfanteristen in Kampfanzügen zu sehen, die über den Körpern von drei Männern lachend ihre Notdurft verrichten. Die Leichen tragen für Afghanistan landestypische Kleidung. Eine Unterschrift beschreibt die Urinierenden als US-Scharfschützen und die Toten als Taliban.

»Das ist eine unmenschliche, unmoralische und brutale Tat der Invasoren«, sagte Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid der Nachrichtenagentur dpa in Kabul. Der Vorfall werde dazu beitragen, »dass die Amerikaner und ihre Alliierten ein kurzes Leben in Afghanistan haben«.

In einer an Medien verschickten SMS eines weiteren Taliban-Sprechers namens Kari Jussif Ahmadi war von »amerikanischer Brutalität« die Rede. Weiter hieß es, keine Religion könne ein solches Verhalten hinnehmen.

* Aus: neues deutschland, 13. Januar 2012


Unser Kommentar:

Respektlos und unerklärlich?

Von Peter Strutynski

"Diese respektlose Tat ist unerklärlich und nicht in Übereinstimmung mit den hohen moralischen Maßstäben, die wir von Koalitionstruppen erwarten", teilt uns die ISAF-Führung in Afghanistan mit, nachdem sie nicht anders konnte, als die skandalöse Leichenschändung, begangen von US-Soldaten an getöteten Afghanen, einzuräumen. An diesem Satz stimmt gar nichts. Erstens ist der Ausdruck "respektlose Tat" selbst schon eine skandalöse Untertreibung. Jemandem den "Respekt" verweigern, also respektlos gegenübertreten, ist etwas, das im Alltagsleben gar nicht so selten vorkommt. Man kann sich den Anordnungen eines Vorgesetzten widersetzen, eine Einladung des Bundespräsidenten zum Neujahrsempfang demonstrativ zurückweisen oder einem ausländischen Staatsgast den Applaus verweigern: All das zeugt möglicherweise von fehlendem Respekt. Das Urinieren auf getötete Gegner indessen lässt doch nicht nur "Respekt" vermissen, sondern stellt eine zutiefst verächtliche Handlung dar, durch die der Gegner als menschliches Wesen negiert wird.

"Unerklärlich" ist ein solcher Umgang auch nicht. Zehn Jahre Krieg in Afghanistan hinterlassen ihre Spuren bei den Soldaten, denen eingeredet wird, im Namen des Guten, der Freiheit und sonstiger hoher Werte gegen weitgehend entmenschte Gegner, gegen die Inkarnation des Bösen zu kämpfen. Die psychische Verrohung von Soldaten ist eine der viel beschriebenen Folgen eines Krieges. Sind denn die Bilder von Abu Ghraib vergessen? Die in dem US-Gefängnis vorgenommenen Folterungen irakischer Gefangener gingen auf ein CIA-Handbuch zurück (das sog. "Kubark Counterintelligence Interrogation" von 1963), das jahrzehntelang Richtschnur für die Behandlung von Gefangenen in allen Erdteilen war. Die darin empfohlenen Foltermethoden wurden später vom US Army's Mobile Training Team übernommen, das in den 80er Jahren in Mittelamerika sein Unwesen trieb. Seit dem "war on terror" (2001) werden in Guantanamo, auf der US-Air Base von Bagram in Afghanistan und in anderen CIA-Gefängnissen Inhaftierte nach solchen "Regeln" gefoltert und ihrer Menschlichkeit beraubt. Die nun in einem Videoclip gezeigte Widerwärtigkeit lässt sich also durchaus "erklären". Und es sind beileibe nicht nur US-Soldaten, die im Krieg verroht sind. Zu erinnern ist beispielsweise an die obszönen Totenschändungen durch Bundeswehrsoldaten, die im Oktober 2006 bekannt wurde.

Bleiben die "hohen moralischen Maßstäbe", die von den Koalitionstruppen erwartet werden. Sind sie denn nicht schon über Bord geworfen worden, als der Krieg gegen Afghanistan befohlen wurde? Wurden sie nicht schon außer Kraft gesetzt, als der Oberbefehlshaber der Interventionstruppen, Präsident Bush, den Befehl gab, "Terroristen" in Afghanistan und überall in der Welt zu jagen und zur Strecke zu bringen? Wo zeigen sie sich in der Behandlung der "feindlichen Kämpfer", die außerhalb jeglichen Rechts in Guantanamo seit Jahren gefangen gehalten werden? Welche moralischen Maßstäbe hat das deutsche Verteidigungsministerium angewandt, als es nicht nur die Ermittlungen gegen Oberst Klein, den Verantwortlichen für das Massaker von Kundus, einstellte, sondern ihn nach einer kurzen Schamfrist sogar noch beförderte?

Nein, Moral und Krieg passen nicht zusammen. Wer völkerrechtswidrig in ein fremdes Land einfällt und die dortige Bevölkerung unter den Generalverdacht des Terrorismus bzw. Talibanismus stellt, fordert seine Soldaten geradezu dazu auf, kein Pardon zu geben. Der Rest sind Skandalvideos, die aber nur die Spitze eines Eisbergs darstellen. Das ist die bittere Wahrheit des Afghanistan-Krieges.


"Schönen Tag noch, Kumpel"

Zwei der Leichenschänder auf dem US-Video identifiziert **

Das Leichenschändungs-Video aus Afghanistan sorgt weiter für Empörung. Inzwischen sollen zwei der »Akteure« bekannt sein.

Nach der mutmaßlichen Schändung getöteter Taliban-Kämpfer durch US-Soldaten sind nach Angaben des US-Senders CNN zwei der vier Marine-Infanteristen identifiziert worden. Wie CNN in der Nacht zum Freitag berichtete, erklärte dies ein Sprecher der Marineinfanterie. Die Namen der beiden wurden nicht genannt, da es sich um laufende Ermittlungen handele.

Schon zuvor hatte die Nachrichtenagentur AFP aus US-Militärkreisen erfahren, dass die Einheit und auch die Identität der vier Soldaten bekannt sei. CNN zufolge soll es sich um Marineinfanteristen vom Stützpunkt Camp Lejeune im Bundesstaat North Carolina handeln, die zwischen Februar und Oktober 2011 vorwiegend in der afghanischen Provinz Helmand im Einsatz gewesen seien. Von den insgesamt 100 000 in Afghanistan stationierten US-Soldaten gehören derzeit rund 20 000 den Marineinfanteristen an. Die meisten von ihnen sind in den Taliban-Hochburgen Kandahar im Süden und Helmand im Südwesten stationiert.

Die Echtheit des im Internet kursierenden Videos wurde zwar vom Pentagon zunächst nicht offiziell bestätigt. Dennoch bestehen an seiner Echtheit kaum Zweifel. In der Sequenz urinieren US-Soldaten auf getötete Aufständische. Einer sagt »Schönen Tag noch, Kumpel«, während er sich offenbar darüber im Klaren ist, gefilmt zu werden. Ähnliche erniedrigende Bilder wie etwa die Aufnahmen von US-Militärs aus dem berüchtigten irakischen Foltergefängnis Abu Ghoreib hatten in der Vergangenheit in der muslimischen Welt zu Stürmen der Empörung und des Protestes geführt.

US-Verteidigungsminister Leon Panetta verurteilte die gezeigte Leichenschändung offiziell auf das Schärfste. »Dieses Verhalten ist für Angehörige des US-Militärs absolut unangemessen und spiegelt nicht den Standard oder die Werte, für die unsere Streitkräfte eintreten«, erklärte Panetta laut einem Bericht der »New York Times«. Die Beteiligten würden dafür »im vollen Ausmaß« zur Verantwortung gezogen. Panetta wies eine umfassende Untersuchung des Vorfalls an.

Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums bezeichnete das Video als »abscheulich«. »Es hat mir den Magen umgedreht», wurde Pentagon-Sprecher John Kirby von CNN und anderen US-Medien zitiert.

** Aus: neues deutschland, 14. Januar 2012


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