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Tod oder Ausweisung - Schicksal christlicher Helfer ungewiß

Afghanistan: Taliban ignorieren Kritik und erregen wieder weltweit Aufsehen

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus der jungen welt, in dem auch auf ein paar mögliche Hintergründe der Verhaftung der Shelter-Now-Mitarbeiter eingegangen wird.

Wieder einmal haben es die radikalislamischen Taliban geschafft, die Augen der Weltöffentlichkeit auf Afghanistan zu lenken. Erst war es die Sprengung der Buddha-Statuen von Bamian, die im Frühjahr einen internationalen Aufschrei ertönen ließ. Danach sorgte die Anordnung, Angehörige der Hindu-Minderheit hätten auf der Straße ein farbiges Erkennungszeichen zu tragen, für Wirbel. Nun ist es die Inhaftierung von 24 Mitgliedern der christlichen Hilfsorganisation Shelter Now International (SNI), die Kabul einmal mehr seit Tagen geballte Aufmerksamkeit beschert.

Die Beschuldigten, darunter vier Deutsche, zwei Amerikaner und zwei Australier, seien wohlauf, verlautete aus halboffiziellen afghanischen Quellen. Wenn sie Glück haben, könnten die Ausländer unter den 24 mit dem Schrecken davonkommen und nach einer Ermahnung und einigen weiteren Tagen in Haft in Richtung Pakistan ausgewiesen werden. So waren die »Gotteskrieger« in bisherigen Fällen größtenteils verfahren. Doch eine Gewähr dafür gibt es nicht. In jedem Fall um ihr Leben fürchten müssen die 16 einheimischen Mitarbeiter der Organisation.

Da ihnen »Abfall vom islamischen Glauben« vorgeworfen wird, weil bei ihnen Bibeln gefunden wurden, droht ihnen die Todesstrafe. Die Hinrichtung von vier des ähnlichen Delikts der »Terrorismusförderung« Beschuldigten zu Wochenbeginn ließ international die Alarmglocken läuten und auch für die jetzt Verhafteten Schlimmstes vermuten. Selbst die acht Ausländer sind vor den drakonischen Maßnahmen nicht sicher. Die Taliban, nunmehr seit rund fünf Jahren in Kabul und zwei Dritteln des südasiatischen Landes an der Macht, gelten als völlig unberechenbar.

Fast ein Wunder scheint, daß es trotz allem immer noch Organisationen wie SNI im Land aushalten, um die Not der Bevölkerung zu lindern. Die Talibanführung hat das Wirken der ausländischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) stark reglementiert. Auch sie müssen sich an die radikalen Vorschriften halten, die unter anderem eine strikte Geschlechtertrennung, weitestgehende Verbannung der Frauen aus dem öffentlichen Raum und Verschleierung sowie ein absolutes Missionierungsverbot festschreiben. Die strengen Augen der Religionspolizei wachen über die unbedingte Einhaltung dieser Regeln. Selbst mit den Vereinten Nationen hat sich das Regime angelegt: Mehrfach waren die UN kurz davor, sich ebenfalls zurückzuziehen, wie es viele Helfer mittlerweile angesichts der unhaltbaren Situation getan haben. Letztlich siegte bislang aber stets die Einsicht, daß die Menschen dann gänzlich ihrem Elend überlassen blieben, das nicht zuletzt durch die Dürrekatastrophen hervorgerufen wurde.

Die internationale Staatengemeinschaft fühlt sich zunehmend ohnmächtig angesichts der Sturheit der Taliban- Führer. Selbst das Angebot Indiens und Sri Lankas, die vormittelalterlichen Buddha-Statuen aus Bamian als Teil des Weltkulturerbes zu sich zu holen, bewahrte die einzigartigen Steinfiguren nicht vor deren Zerstörung. Was die Außenwelt denkt, scheint den in Kabul Herrschenden, die einst mit massiver pakistanischer und vermutlich auch US- amerikanischer Hilfe an die Macht gelangten, mittlerweile gänzlich egal zu sein. Der CIA ebenso wie dem pakistanischen Geheimdienst ISI und der politischen Führung in Islamabad ist das einstige Ziehkind völlig entglitten. Mag auch Pakistan neben Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten der einzige Staat sein, der das Taliban-Region offiziell anerkennt und diplomatische Beziehungen unterhält, ist der Einfluß doch stark gesunken.

Die Koranschüler, militärisch in pakistanischen Armeestützpunkten ausgebildet, hören nicht mehr auf ihre einstigen Gönner. Vielmehr gelten nun die Taliban als wichtigste Exporteure des islamischen Fundamentalismus nach Zentralasien, Indien und sogar den südostasiatischen Raum.

Was die jetzt ins Rampenlicht geratene Hilfsorganisation Shelter Now International angeht, so drängen sich ebenfalls Fragen auf. Angeblich handelt es sich um ein kleines, christlich geprägtes Hilfswerk, das bislang kaum aufgefallen ist. Auch in pakistanischen Flüchtlingsgebieten hätten die Mitarbeiter, teils im Verbund mit deutschen Stellen, bereits für Notunterkünfte gesorgt. Andere Quellen sehen Querverbindungen zu einer konservativ-klerikalen Organisation im US-Bundesstaat Wisconsin, die tatsächlich bereits durch Missionierungstätigkeit von sich reden gemacht habe. Auch wenn Vertreter der deutschen Sektion der NGO dies umgehend abstritten, bleibt offen, wer sich hinter Shelter Now eigentlich verbirgt.

Thomas Berger

Aus: junge welt, 10. August 2001

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