Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Berlin sollte über Rückzug nachdenken"

Ratschlag russischer Afghanistan-Generäle

Ende Februar organisierte die Russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti ein Live-Gespräch Berlin-Moskau, also eine Video-Pressekonferenz zum Thema "Hat das Problem Afghanistan eine militärische Lösung? - Fragen Sie die Russen!" Beteiligt daran waren

  • General a.D. Lew Serebrow, Afghanistan-Veteran und stellvertretender Ausschussvorsitzender der Staatsduma,
  • General a.D. Ruslan Auschew, Ex-Präsident Inguschetiens und ebenfalls Afghanistan-Veteran, und
  • Dr. Wladimir Litwinenko vom Militärhistorischen Institut des Verteidigungsministeriums Russlands.
Über die Konferenz veröffentlichte die "Berliner Zeitung" einen Beitrag, den wir auf Empfehlung von RIA Novosti im Folgenden dokumentieren.



Von Frank Herold

Russische Generäle mit langjähriger Afghanistan-Erfahrung haben der Bundesregierung dringend davon abgeraten, das militärische Engagement Deutschlands in der zentralasiatischen Republik auszuweiten. "Weitere Truppen werden das Problem nicht lösen, das ist unsere Erfahrung. Sie machen die Tragödie nur noch größer", sagte der Duma-Abgeordnete und frühere General Lew Serebrow bei einer Veranstaltung der Nachrichtenagentur RIA Novosti. Deutschland solle nicht darüber nachdenken, "neue Truppen in diesen Krieg zu führen, sondern darüber, wie man sich aus Afghanistan zurückziehen kann."

In einem Brief hatte US-Verteidigungsminister Robert Gates Anfang Februar Deutschland gedrängt, Kampftruppen in den umkämpften Süden Afghanistans zu schicken. Die Bundesregierung hatte diese Forderung zurückgewiesen. Verteidigungsminister Franz Josef Jung will stattdessen 250 Soldaten als "schnelle Eingreiftruppe" in den Norden Afghanistans entsenden, für dessen Sicherheit Deutschland auch jetzt schon verantwortlich ist. Der Einsatz weiterer Kampftruppen auch wird auch Thema auf dem Nato-Gipfel, der im April in Bukarest stattfindet.

Situation außer Kontrolle

Ihn erinnere die Situation, in der sich die internationale Koalition derzeit in Afghanistan befinde, fatal an die Militäroperation der Sowjetunion, sagte General Ruslan Au- schew. "Wir waren fast ein Jahrzehnt dort, erst mit einem Bataillon, dann mit einer Division, zuletzt mit 100 000 Mann - und waren am Ende doch gezwungen, uns zurückzuziehen." Die russische Armee habe am Ende 14 500 Soldaten in Afghanistan verloren, so Auschew. Heute habe der Westen die Lage ebenfalls nicht unter Kontrolle. Weitere 3 000 oder 4 000 Mann würden sich nach seiner Ansicht "in einer einzigen Schlucht verlieren".

Das Herangehen der Deutschen an die afghanischen Probleme bewertete Auschew positiv. "Es ist gut, dass die deutschen Soldaten nicht nur mit der Maschinenpistole herumlaufen, sondern auch beim Wiederaufbau helfen", sagte er. "Das ist die richtige Strategie." Doch wenn Deutschland beginne, im Süden zu kämpfen, werde alles anders. Dann werde es "sehr viele Opfer geben". Es sei noch nie jemandem gelungen, den Afghanen von außen ein Gesellschaftsmodell aufzuzwingen.

Auch Serebrow bezweifelt, dass der Einsatz ausländischer Truppen in Afghanistan sinnvoll ist. "Man benötigt eine halbe Million Soldaten, die militärische Einsatzführung braucht vollständig freie Hand und alle Zugänge nach Afghanistan müssen abgeriegelt werden", schätzt der General. Er kenne keine Regierung, die bereit wäre, diesen Preis zu zahlen. Deshalb gebe es nach seiner Meinung nur eine Alternative: "Die internationale Koalition muss sich zurückziehen und die Afghanen ihre Probleme allein lösen lassen." Das werde zweifellos zu einem Bürgerkrieg führen, sagt Serebrow. "Doch erst wenn sich die Kräfte der Gewalt erschöpft haben, kann Hilfe von außen wirklich helfen", ist er überzeugt.

Aus: Berliner Zeitung, 28.02.2008

Die Dokumentation dieses Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch die Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, die das Gespräch organisiert hatte.



Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Sonderseite über die Kampagne der Friedensbewegung "Bundeswehr raus aus Afghanistan"

Zurück zur Homepage