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"Wer ist eigentlich der Feind?"

Afghanistan-Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Potsdam

Von Wilfried Neiße *

Ein friedenspolitisches Symposium der Rosa-Luxemburg-Stiftung befasste sich in Potsdam mit der Frage: »Zukunft in Afghanistan?«

Man mag es kaum entscheiden: Ist nun die Dummheit der westlichen Afghanistan-Politik größer oder ihre Bedenkenlosigkeit oder ist es die Ignoranz allen historischen Erfahrungen gegenüber? Viele Antworten auf diese Frage gab es gestern in Potsdam bei einer Konferenz zur »Konfliktbewältigung am Hindukusch«. Die Tagung wurde von der brandenburgischen Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgerichtet. Rund 100 Teilnehmer kamen ins Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte.

Vorträge hielten Ramazan Daurov vom Moskauer Orient-Institut und Professor Walter Hundt. Es zeigten sich bedrückende Parallelen zwischen dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan 1979 und dem Eingreifen des Westens im Jahr 2003.

Heute wie damals wich die anfängliche Unterstützung in der afghanischen Gesellschaft für die zunächst als Helfer empfundenen Truppen bald der Feindschaft gegen die nun als Okkupanten gesehenen fremden Streitkräfte. Heute wie damals findet durch den Krieg eine Aufspaltung der afghanischen Gesellschaft statt, die jede Übereinkunft nur erschwert. Heute wie damals desertieren afghanische Soldaten zu Zehntausenden und schließen sich mit den Waffen der Ausländer den Aufständischen an. Heute wie damals ist das Verständnis für die Wünsche der Afghanen unterentwickelt, sofern es überhaupt vorhanden ist. Daurov: »Wer ist eigentlich der Feind?«

Unklar blieb jeweils das Ziel des Eingreifens in Afghanistan. Daurov sagt von der Sowjetunion: »Was wir dort wollten, wussten wir selbst nicht genau.« Hundt beschrieb sehr unterhaltsam das Strategiegewitter, das der Westen aus dem Hut zaubere, und das doch nur Ausdruck dafür sei, dass eine wirksame Strategie fehle. Von allen Mächten der Geschichte, die ein militärisches Engagement in Afghanistan versuchten, habe sich Alexander der Große am klügsten verhalten, erklärte Hundt. Sowohl was die Kämpfe betraf als auch den beschleunigten Rückzug.

Der einstige Europaparlamentarier André Brie gab zu bedenken, dass ein bloßer, letztlich auch unkontrollierter Rückzug des Westens in der völlig zerstörten afghanischen Gesellschaft Verheerungen anrichten könnte. Auch die Sowjetunion habe sich seinerzeit »mit großer Gleichgültigkeit« gegenüber den Folgen einfach davongemacht. Die Weltgemeinschaft müsse auf Krieg verzichten und enorm viel Geld einsetzen, um dem Land eine Perspektive zu geben und die Chance für den inneren Frieden zu eröffnen.

Der Militärtheoretiker Lothar Schröter wies nach, dass es den USA keineswegs um den Rückzug aus Afghanistan gehe, sondern darum, sich auf unabsehbare Zeit in einem Raum festzusetzen, der ihnen als Startrampe und Festung gegenüber Russland, China und dem »Schurkenstaat« Iran dienen soll. Der Krieg sei von beiden Seiten ungerecht, da die Taliban die Wiederaufrichtung ihres Unterdrückungsregimes betreiben würden. Ihr fundamentalistischer Islam sei eine »kaum zu erschütternde ideologische Basis«. Es dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass es der Westen war, der die Taliban erst ausgerüstet und ausgebildet habe – im Kampf gegen die Sowjetunion. Das Publikum erfuhr, das Misstrauen der US-Amerikaner in die Deutschen sei gewachsen, und die Abstimmung klappe immer schlechter. Dass eine Unterstützung im »Kampf gegen Terror« die Beteiligung der BRD am Krieg nicht mehr rechtfertige und der Abzug zwingend sei, habe sich inzwischen auch zum Bundesnachrichtendienst durchgesprochen.

Schröter erinnerte an den Kampf Davids gegen Goliath. Man wisse ja, wie die Bibel diesen Kampf ausgehen lasse. Professor Lutz Kleinwächter sprach von der absehbaren Niederlage, die der Westen in Afghanistan kassieren werde – und der Westen lerne wieder nichts daraus, ergänzte er mit Blick auf die NATO-Schläge in Libyen. Dort deuten sich »ähnliche Probleme« an, meinte Kleinwächter.

* Aus: Neues Deutschland, 16. April 2011


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