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PTBS, das innere Sterben

Ein Buch über jene, die das Held-sein nicht ertragen

Von René Heilig *

Ich weiß noch, wie wir in Köln landeten. Diese Infrastruktur ... ebene Straßen, Beleuchtung, man kann alles kaufen. Das Einkaufen fiel mir zu Anfang schwer, wie überhaupt das Hinausgehen auf die Straße. Ich hatte ständig diesen ›Kontrollblick‹ nach links, nach rechts, nach hinten. Als ich einmal mit meiner Mutter in einem Discounter war, fiel plötzlich eine Euro-Palette um, die irgendwo angelehnt gestanden hatte. In diesem Moment habe ich meine Mutter gepackt und sie schützend ein stück nach unten gedrückt.«

Das berichtet Sebastian Ohme, geboren 1983 in Halle. Er diente als Bundeswehrsoldat in Afghanistan. Einer seiner Kameraden hat sich im Einsatz erschossen, am Telefon, als seine Freundin – 5000 Kilometer entfernt im heimatlichen Deutschland – ihm den Laufpass gab.

Ohme kam zurück, äußerlich unversehrt, gereift, die Freundin war weg und er kaputt. Wie tausend andere Kameraden hat er mehr erlebt, als seine Seele verkraften konnte. Die Diagnose – so überhaut eine gestellt wird – lautet: Posttraumatische Belastungsstörung, kurz PTBS.

Ute Susanne Werner hat einige von ihnen dazu gebracht, Gefühl zu zeigen. Sie hat auch Familienangehörige, Pfarrer, einen Ex-Bundestagsabgeordneten (Nachtwei) befragt. Die Kontaktaufnahme war schwer. Denn: Die Soldaten zogen aus als echte Kerle. Und echte Kerle jammern nicht. Und so hat es Jahre gedauert, bis das Problem der gebrochenen Soldatenseelen überhaupt ein Thema wurde, das die Öffentlichkeit erreichte. Denn nicht erst seit dem Einsatz in Afghanistan ist das Problem akut. Auch Soldaten, die auf dem Balkan dienten, leiden. Partnerschaften zerbrechen, Kinder werden fremd, Familien lösten sich auf. Die, die einem Befehl folgten, sich moralisch gut fühlten, im Ausland auch gut verdienten, sind ohne Uniform oft schwer wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Viele empfinden den Einsatz in Feindesland inzwischen als das kleinere Übel.

Doch noch immer weigert sich die Bundeswehrführung, diese politisch verursachte Verkrüppelung ihrer Untergebenen anzuerkennen. Noch immer mauern die, die für dieses Elend wesentlich verantwortlich sind. Als Ute Susanne Werner, die sich zwar interessiert, doch relativ unbedarft dem Thema genähert hat, Hilfe vom Verteidigungsministerium erbat, erhielt sie folgende Antwort: »Eine Unterstützung für Ihr Projekt durch uns wird es nicht geben. Die Sicherheit und der Schutz der Persönlichkeitsrechte der Angehörigen der Bundeswehr stehen für uns jederzeit im Vordergrund und waren auch bei der Entscheidung ausschlaggebend.« Wie verlogen kann Militärbürokratie sein!

Die Autorin enthält sich weitgehend jeder Meinung zu den Einsätzen, in die deutsche Soldaten geschickt werden. Das ist auch nicht nötig. Man muss nur lesen. Beispielsweise das, was Uwe Lampe im Rückblick auf seine Einsätze schreibt: »Ich glaube heute, dass Terrorismus deshalb entsteht, weil man sich nicht dagegen wehren kann, wenn vom Himmel Bomben fallen und man nicht die Lufthoheit hat. Er ist eine Form der Gegenwehr. Ich heiße ihn nicht gut, aber es geht ja auch um Erklärungsversuche, um das Warum.« Der Bundeswehroffizier analysiert weiter, was seine Kameraden in zunehmendem Maße am Hindukusch erleiden, was aber zugleich die ganze westliche Gesellschaft trifft: »Dass diese Kräfte, weil sie zu einer offenen Feldschlacht nicht in der Lage sind, dann auf Hinterhalte und Partisanenkampf ausweichen, und zwar weltweit, dürfte auch dem zivilen Bürger einleuchten.«

In den vergangenen Monaten sind bereits mehrere Erlebnisberichte zum Thema Bundeswehr in Afghanistan erschienen. Sie können – wie das Buch von Ute Susanne Werner – ein wenig dazu beitragen, den Krieg etwas näher an uns heranzulassen. Auch wenn es nur die Sicht deutscher Soldaten ist. Was fehlt ist das Leid der Opfer in Afghanistan. Erst beides zusammen ergeben das Bild des alltäglichen Wahnsinns, dem man umgehend Einhalt gebieten muss.

Ute Susanne Werner: »Ich krieg mich nicht mehr unter Kontrolle«. Kriegsheimkehrer der Bundeswehr. Fackelträger-Verlag, Köln, 284 S., geb., 19,90 €

* Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2010


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