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Fünf Jahre deutsche PRTs in Afghanistan:

Eine Zwischenbilanz aus Sicht der deutschen Hilfsorganisationen

VENRO-Positionspapier 1/2009 *

1. Einleitung

Das vorliegende Papier ist eine Fortschreibung des im Jahr 2003 veröffentlichten VENRO-Positionspapiers „Streitkräfte als humanitäre Helfer: Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit zwischen Streitkräften und Hilfsorganisationen“, das die Grundsatzposition von VENRO zum Thema zivil-militärische Zusammenarbeit erläutert, die Zunahme des militärischen Engagements in der humanitären Hilfe seit Anfang der 90er Jahre beschreibt und Fallbeispiele für das Engagement von Streitkräften in der humanitären Hilfe aufführt. Da das Positionspapier im Frühjahr 2003 abgeschlossen wurde, konnten die Ende 2002 erstmals eingerichteten „Provincial Reconstruction Teams“ (PRTs) in Afghanistan dort nur kursorisch abgehandelt werden.

Seit Einführung des PRT-Konzepts in Afghanistan vor sechs Jahren sind mittlerweile 26 PRTs in Afghanistan tätig, die der NATO unterstellt sind. Innerhalb der NATO gibt es kein einheitliches PRT-Konzept. Dementsprechend verfolgen die 26 von 14 verschiedenen Nationen getragenen PRTs in Afghanistan unterschiedliche Mandate, Methoden und Ziele. Am 1.1.2004 übernahm Deutschland von den USA das PRT in Kunduz, im Herbst 2004 folgte das PRT in Faizabad. Mittlerweile stellt Deutschland seit 2006 auch das militärische Kommando für die gesamte Nord-Region mit Hauptquartier in Mazar-i Sharif. Die bisherige Leistung der PRTs und die Zusammenarbeit der vier beteiligten Bundesministerien werden von der Bundesregierung „als bewährter zivilmilitärischer Ansatz“ bezeichnet.[1] Auch wenn sich der deutsche PRT-Ansatz zum Teil erheblich von den PRTs anderer NATO-Länder, wie den USA, unterscheidet, so gehören CIMIC-Aktivitäten, „Quick Impact Projects“ und die militärische Absicherung der deutschen Wiederaufbauaktivitäten zum Aufgabenbereich der deutschen PRTs.

Die deutschen Nichtregierungsorganisationen (NRO) haben das PRT-Konzept von Anfang an kritisiert, weil zum einen konzeptionell die Mandate von zivilen und militärischen Akteuren vermischt werden. Zum anderen nimmt die Bundeswehr teilweise auch Aufgaben im Bereich des Wiederaufbaus und der Nahrungsmittelhilfe wahr, um die „Herzen und Köpfe“ der Menschen in Afghanistan zu gewinnen. Dadurch gefährdet sie aber massiv die Unabhängigkeit der humanitären Hilfe, die sich nicht nach politischen Erwägungen richtet, sondern allein dem „humanitären Imperativ“ verpflichtet ist. Vor diesem Hintergrund richtet sich die Kritik der deutschen Hilfsorganisationen gegen die im Rahmen der PRTs institutionalisierte Zusammenarbeit ziviler und militärischer Akteure, die eine Unterscheidung zwischen einerseits den CIMIC-Aktivitäten und „Quick Impact Projects“ der Bundeswehr mit militärischer Zielsetzung sowie andererseits den humanitären Hilfsprogrammen von NRO immer schwieriger macht. Es ist zudem zu befürchten, dass das hochbrisante Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit in Afghanistan, das in vieler Hinsicht durch das Gewalt- und Machtpotential des Militärs dominiert wird, auf andere Konflikt- beziehungsweise Post-Konfliktszenarien übertragen wird.

Das vorliegende Positionspapier setzt sich mit den PRTs in Afghanistan – insbesondere mit den deutschen PRTs – auseinander, analysiert die Auswirkungen auf die Hilfsorganisationen und zieht eine Zwischenbilanz.


Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei folgende Fragestellungen:
  • Wie hat sich die Sicherheitslage im Norden Afghanistans entwickelt und welche Rolle spielen dabei die PRTs?
  • Welche Auswirkungen hat die zivil-militärische Zusammenarbeit auf die Akzeptanz der Hilfsorganisationen in der afghanischen Bevölkerung?
  • Wie ist das 2007 von den deutschen PRTs eingeführte Instrument der „Provincial Development Funds“ zu bewerten?


2. Die Entwicklung der PRTs

Nachdem die Ende 2001 beschlossene „International Security Assistance Force“ (ISAF) zunächst explizit nur auf Kabul und Umgebung begrenzt wurde, entwickelten US-Militärs das geographisch begrenzte Sicherheitskonzept der "Joint Regional Teams" für Afghanistan, denn eine landesweite militärische Besetzung des Flächenstaates hätte ein Vielfaches der jetzigen Truppenstärke erfordert. Nach diesem Konzept sollten unter militärischer Führung Sicherheit und Entwicklung auf die afghanischen Provinzen ausgeweitet werden. Angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage hatte die Regierung in Washington zuvor entschieden, verstärkt "nation building" zu betreiben, um die Einhaltung des Ende 2001 auf dem Bonner Petersberg verabschiedeten Fahrplans für den Wiederaufbau Afghanistans und für die Übergabe der politischen Macht an eine demokratisch legitimierte Regierung nicht zu gefährden. Außerdem erkannte die militärische Führung im Pentagon, dass angesichts der prekären Sicherheitslage eine verbesserte „force protection“, das heißt eine Absicherung der militärischen Operation durch zivile Maßnahmen, das Image der amerikanischen Soldaten in Afghanistan verbessern helfen und dadurch die Gefährdung der amerikanischen Truppen reduzieren würde.

Doch nicht nur die Regierung in Washington, sondern auch der afghanische Präsident Karzai strebte eine Verbesserung der Sicherheitslage durch PRTs an, um in den Provinzen die Macht der Kabuler Zentralregierung zu stärken. So entstanden sowohl aus militärischen als auch innenpolitischen Überlegungen heraus Anfang 2003 die ersten „Joint Regional Teams“ (JRT) der USA in den Städten Gardez, Bamian und Kunduz, die Mitte 2003 auf Wunsch von Präsident Karzai von „Joint Regional Teams“ in „Provincial Reconstruction Teams“ umbenannt wurden. Diese gemischten zivil-militärischen Teams bestehen in der Regel aus etwa 250 bis 300 Soldaten sowie einigen zivilen Experten. Grundsätzlich lassen sich folgende zentrale Aufgaben der PRTs identifizieren: Sicherheit und Stabilität fördern, den Einfluss und die Kontrolle der Regierung in Kabul auf die Provinzen ausdehnen und Wiederaufbauaktivitäten unterstützen und sichern.[2] PRTs werden seitens der Karzai-Regierung als Vorboten und Signalgeber für eine künftige zentral- und rechtsstaatliche Struktur verstanden.

Nach der Einführung des PRT-Konzepts wurde das Modell der zivil-militärischen Wiederaufbauteams zügig internationalisiert. Mittlerweile stellen mehr als 40 Nationen Truppen für die 26 PRTs in Afghanistan. Voraussetzung dafür war der Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen im Oktober 2003, das bis dahin auf Kabul und Umgebung begrenzte Engagement von ISAF auf ganz Afghanistan auszuweiten.

3. Das deutsche PRT-Modell

Seit der Einsetzung von ISAF durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Ende 2001 ist Deutschland an der Stabilisierungsmission ISAF beteiligt. Zusätzlich hat sich Deutschland nach der Bekundung der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auch an der „Operation Enduring Freedom“ (OEF) zur Terrorismusbekämpfung in Afghanistan beteiligt. Das deutsche Engagement in Afghanistan wie auch die insgesamt zunehmende Beteiligung Deutschlands an multinationalen Militäreinsätzen in den letzten Jahren sind im Kontext der Transformation der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“ zu sehen. Wie eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik vom Mai 2008 feststellt, hat sich seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes das Aufgabenspektrum der Bundeswehr von einem Stabilisierungseinsatz hin zu einer schwerpunktmäßig der Aufstandsbekämpfung dienenden Operation verschoben. Die Bundeswehr sei im Rahmen des ISAF-Einsatzes – im Unterschied zu den bisherigen Auslandseinsätzen – „nicht mehr neutrale Friedensmacht, sondern Konfliktpartei“.[3] Als Interventionsarmee soll die Bundeswehr zukünftig in der Lage sein, im Rahmen der EU, der NATO oder der UN auf internationale Konflikte, asymmetrische Bedrohungen, Terrorismus und Massenvernichtungswaffen zu reagieren. Die politische Legitimation der Auslandseinsätze der Bundeswehr kulminierte 2002 in der Aussage des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck, die Sicherheit der Bundesrepublik werde auch am Hindukusch verteidigt.[4]

Seit Ende 2003 engagiert sich Deutschland durch eine verstärkte zivile und militärische Präsenz über Kabul und Umgebung hinaus im Rahmen der PRTs in Kunduz und Faizabad. Inhaltliche Grundlage für die Übernahme von zwei PRTs in der Region Kunduz war das am 2. September 2003 verabschiedete interministerielle Afghanistan-Konzept der Bundesregierung. Nach dem Motto „Keine Entwicklung ohne Sicherheit“ sah dieses ressortübergreifende Konzept der Bundesregierung aus dem Jahr 2003 vor, dass bis zu 450 Bundeswehrsoldaten in der Region Kunduz den Wiederaufbau, den Demokratisierungsprozess und die Autorität der Kabuler Zentralregierung sichern helfen. Nach mehrfacher Verlängerung und Anpassung der Bundeswehr-Mandate für Afghanistan sind im Jahr 2008 rund 570 deutsche Soldaten sowie etwa zehn zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – überwiegend Vertreter aus dem Auswärtigen Amt (AA) und Bundesinnenministerium (BMI) – im PRT Kunduz eingesetzt. Das PRT Faizabad hat 2008 eine Truppenstärke von rund 400 Bundeswehrsoldaten. Insgesamt ist die Bundeswehr im Rahmen des Regionalkommandos Nord für die Sicherheit in einem Gebiet von 20.000 km2 zuständig.

Zum deutschen PRT-Einsatzgebiet im Nordosten Afghanistans gehören die drei Provinzen Kunduz, Takhar und Badakshan. Im Vordergrund des deutschen Engagements sollte nach dem Afghanistan-Konzept der Bundesregierung – im Unterschied zum amerikanischen PRT-Modell – der politische, wirtschaftliche und soziale Wiederaufbau stehen. Daher sieht das deutsche PRT-Konzept unterschiedliche außen-, sicherheits- und entwicklungspolitische Pfeiler der PRTs vor.

Im Einzelnen sind folgende Kernaufgaben vorgesehen:
  • politische Arbeit (Verbindungs-, Dialog- und Überzeugungsarbeit, Stärkung der Zivilgesellschaft und der UNAMA);
  • Unterstützung und Flankierung der Reform des Sicherheitssektors;
  • Durchführung von Programmen der Entwicklungszusammenarbeit sowie ihre Abstimmung mit anderen internationalen und nationalen staatlichen Parteien und NGOs.[5]
Im Unterschied zum PRT-Modell der USA, wo zivile Experten, zum Beispiel von der amerikanischen Durchführungsorganisation USAID, in den militärischen Ansatz „eingebettet“ werden, steuert bei den deutschen PRTs jedes der vier Ministerien (AA, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Bundesverteidigungsministerium (BMVg) und BMI seine Aktivitäten eigenverantwortlich im Rahmen der festgelegten Gesamtzielsetzung. Vor Ort findet Abstimmung und Koordination statt, jedes Ministerium verantwortet aber seine eigenen Unterziele, Programme und Projekte. Das deutsche PRTModell verfügt zwar über eine konzeptionell und auch nach außen hin sichtbare Trennung der verschiedenen Aufgabengebiete und über eine überwiegend getrennte Finanzierung, die Zusammenarbeit wird aber stark durch die unterschiedlichen Ressortinteressen konterkariert. So lehnten das BMZ und seine Durchführungsorganisationen es anfänglich ab, im Feldlager der Bundeswehr in Kunduz untergebracht zu werden. Stattdessen wurde ein separates „Deutsches Haus für Entwicklungspolitik“ eingerichtet. Die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts hat sich in der Zwischenzeit offenkundig verbessert, auf die unzureichende politische Koordination der verschiedenen Aufgabenbereiche hat jedoch zuletzt auch der ehemalige Vorsitzende des Bundeswehr - verbands, Oberst Bernhard Gertz, hingewiesen.[6] Trotz der Beteiligung von vier Bundesministerien werden die deutschen PRTs als militärische Einsatzkräfte wahrgenommen, wie auch das obengenannte numerische Verhältnis von militärischen und zivilen Kräften deutlich macht.

Um eine permanente Präsenz in jenen Provinzen sicherzustellen, die über kein PRT verfügen, hat die Bundeswehr im Jahr 2007 ein erstes „Provincial Advisory Team“ (PAT) in Taloquan in der Provinz Takhar eingerichtet. Die Einrichtung von PATs, die ebenfalls durch eine zivil-militärische Führung nach außen vertreten werden, ist ein weiteres Element in der Ausweitung des zivil-militärischen Ansatzes in Afghanistan. Weitere PATs sind in Abstimmung mit den schwedisch geführten PRTs für die Provinzen Jawsjan, Sar-e Pol und Samangan geplant. Die PATs folgen der zivil-militärischen Logik der PRTs, verfügen jedoch über einen reduzierten Personalumfang. Für das PAT in Taloquan sind maximal 40 Personen vorgesehen, davon fünf zivile Mitarbeiter.

Eine Sonderrolle im Rahmen der PRTs spielt das von der NATO entwickelte Konzept der „Civil-Military Cooperation“ (CIMIC). In der Öffentlichkeit wird die Umstrukturierung der Bundeswehr auch mit neuen Anforderungen im Bereich der Krisenbewältigung und der humanitären Hilfe legitimiert, so zum Beispiel im „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“. Dementsprechend hat die Bundeswehr für den Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit im Ausland ein eigenes CIMIC-Konzept („Teilkonzeption Zivil-Militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr“) entwickelt, das die Zusammenarbeit militärischer Dienststellen mit zivilen Einrichtungen beschreibt und in dessen Aufgabenspektrum nach militärischem Verständnis auch „eine gezielte Einflussnahme und/oder Unterstützung der zivilen Entscheidungsträger im Sinne eigener politischer, militärischer und/oder humanitärer Ziele eines Einsatzes“[7] fällt. Hauptzweck von CIMIC ist es, die Umsetzung des militärischen Auftrags zu unterstützen. Dazu gehört vor allem „force protection“: dies sind vertrauensbildende Maßnahmen für die lokale Bevölkerung zur Erhöhung der Akzeptanz des Militäreinsatzes. Zu diesen den militärischen Einsatz begleitenden Maßnahmen können auch unmittelbare Hilfeleistungen an die Bevölkerung gehören, zum Beispiel die Reparatur von Schulen oder Krankenhäusern im Rahmen von CIMIC oder die Verteilung von Nahrungsmitteln 2007/2008 im Rahmen der „Winterhilfe in Afghanistan“. Aus Sicht der Streitkräfte sind solche „hearts and minds“-Aktivitäten ein probates Mittel, um die Akzeptanz in der Bevölkerung und dadurch die eigene Sicherheit zu erhöhen.[8]

Während CIMIC-Aktivitäten zu Beginn des Einsatzes der Bundeswehr in Nord-Afghanistan eine gewisse Rolle im Kontext von „force protection“ spielten, sind die von der Bundeswehr selbst implementierten Hilfsmaßnahmen in Afghanistan in Umfang und Volumen inzwischen zu vernachlässigen. Anders als bei den Balkan-Einsätzen führt die Bundeswehr in Afghanistan keine umfangreichen CIMICProjekte in Afghanistan durch. Gleichwohl sind insgesamt rund 40 deutsche CIMIC-Kräfte im Einsatz in Nord-Afghanistan. Die Bundeswehr führt aber nach wie vor „Quick Impact Projects“ (QIPs) mit folgendem eindeutig militärisch definierten Ziel durch: „QIPs sind kurzfristig realisierbare Maßnahmen, deren Ursprung ... sofort für die Zielgruppe erkennbar ist, durch deren unmittelbare Wirkung auf das zivile Umfeld ein stabilisierender Beitrag geleistet wird und die somit zur Erhöhung der Force Protection beitragen.“[9] Außerdem dienen CIMIC und QIPs auch zur innenpolitischen Legitimation des Afghanistan-Einsatzes, der von der deutschen Bevölkerung zunehmend abgelehnt wird.

Als Element der zivil-militärischen Zusammenarbeit haben die 2007 im Rahmen der deutschen PRTs eingeführten „Provincial Development Funds“ (PDF) mittlerweile an Bedeutung und auch finanziellem Volumen erheblich gewonnen. Die PDF gehen konzeptionell und volumenmäßig über den CIMIC-Ansatz weit hinaus, da ein aus Vertretern der vier Ministerien und Vertretern der afghanischen Lokalverwaltung paritätisch besetztes Gremium über die Finanzierung von zumeist infrastrukturellen Kleinmaßnahmen entscheidet. Die PDF haben zum Ziel, Projekte auf transparente und partizipative Weise an afghanische Gemeinden zu vergeben und dadurch zur sichtbaren Verbesserung der Lebensbedingungen beizutragen. Die Mittel aus den PDF werden in den nordafghanischen Provinzen Kunduz, Takhar und Badakshan eingesetzt, die auch Einsatzgebiete der Bundeswehr sind. Von 2006 bis einschließlich 2008 wurden 4,72 Millionen Euro vom BMVg für die PDF bewilligt. Das BMZ stellte parallel Mittel in Höhe von 3,5 Millionen Euro für die ersten Projekte im Rahmen der PDF und für deren fachliche und administrative Begleitung bereit.[10] Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) prüft und verwaltet die Projektanträge und begleitet die Gemeinden bei der Projektdurchführung.

4. Kritik der humanitären Hilfsorganisationen an den PRTs

Die oben beschriebene Veränderung in der Rolle der Bundeswehr beziehungsweise in ihrer Wahrnehmung und die Integration der verschiedenen Ressorts sowie die CIMIC-Komponenten haben erhebliche negative Auswirkungen auf die Arbeit der humanitären Hilfsorganisationen und die der Entwicklungszusammenarbeit. Aus Sicht der NRO ist der wichtigste Kritikpunkt an den PRTs, dass sie ihre Hauptfunktion – die Gewährleistung von Stabilität und Sicherheit für die Bevölkerung – nicht ausreichend wahrnehmen und gleichzeitig durch die Verwischung der Grenzen zwischen militärischem Engagement und humanitärer Hilfe die Unabhängigkeit der NRO gefährden. In der öffentlichen Diskussion wird unter Sicherheit in Afghanistan häufig einseitig der Schutz der Soldaten oder der internationalen Helfer verstanden, aus Sicht der Hilfsorganisationen muss es aber vor allem um den wirksamen Schutz der afghanischen Zivilbevölkerung gehen.

Grundsätzlich ist es mit Hilfe der PRTs nicht gelungen, die Sicherheitslage in Afghanistan zu stabilisieren. Dies hängt auch mit der eingeschränkten Handlungsfähigkeit der Truppe zusammen, die seit einem Erlass des Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2006 nur noch in gepanzerten Fahrzeugen und im Konvoi mit medizinischer Unterstützung auf Patrouille gehen dürfen. Eine im März 2008 veröffentlichte Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik, die sich mit der Sicherheitslage in Afghanistan und Handlungsmöglichkeiten für die Bundeswehr beschäftigt, kommt zu dem Schluss: „Seit Beginn des Einsatzes in Nord-Afghanistan hat sich die Sicherheitslage verschlechtert.“[11] Auch die in den Jahren 2006, 2007 und 2008 aktualisierten Afghanistan-Konzepte der Bundesregierung stellen fest, dass sich in vielen Regionen die Sicherheitslage deutlich zugespitzt hat: „In der Bevölkerung macht sich Enttäuschung über das Ausbleiben einer – nicht immer in einem realistischen Ausmaß – erhofften Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse breit und bei der Drogenbekämpfung bleiben Erfolge aus.“[12] Das „Afghanistan NGO Safety Office“ (ANSO) verzeichnete für das Jahr 2008 bislang die schlechteste Sicherheitslage seit Beginn des internationalen Einsatzes in Afghanistan. Selbst im ursprünglich als relativ friedlich geltenden Norden des Landes ist eine deutliche Zunahme der Gewalt feststellbar. Es ist unübersehbar, dass auch der Norden des Landes zunehmend unter den Einfluss von gewaltbereiten Gruppen gerät, die versuchen, ihren Guerilla-Krieg vom Süden und aus den pakistanischen Grenzregionen auszuweiten. Damit setzt sich eine schon im Jahr 2007 erkennbare Entwicklung weiter fort.

Auch die Gewalt gegenüber NRO hat in erheblichem Maße zugenommen. Schon in den ersten sieben Monaten des Jahres 2008 wurden mehr NRO-Mitarbeiter getötet als im gesamten Jahr 2007. Die Brisanz dieser Entwicklung wird durch einen entscheidenden Qualitätswandel der Gewalt noch verstärkt. Laut ANSO hat sich das Verhältnis von kriminellen Übergriffen zu politischen Anschlägen gegenüber NRO entscheidend verändert. Ließ sich im Jahr 2007 noch der Großteil der Zwischenfälle auf kriminelle Ursprünge zurückführen, beruhen inzwischen zwei Drittel der Übergriffe im Jahr 2008 auf politischen Motiven.[13]

Eine Reihe von Beobachtungen deutet darauf hin, dass die zunehmende Gefährdung von NRO auf die nicht eindeutige Unterscheidbarkeit von militärischen und humanitären Akteuren zurückzuführen ist. So musste beispielsweise eine dänische NRO einen Projektstandort aufgeben, weil militärische Einheiten einen unangekündigten Projektbesuch durchführten. In der Folge sahen sich die Dorfältesten nicht mehr in der Lage für die Sicherheit der NRO zu garantieren. Ähnliche Effekte hat auch die nicht eindeutige Kennzeichnung militärischer Akteure, etwa von Angehörigen der US-Streitkräfte, die in ziviler Kleidung aber bewaffnet in Kabul patrouillieren und verdeckte Militäroperationen ausführen, sowie die Benutzung weißer Fahrzeuge, die nicht als Militärfahrzeuge gekennzeichnet sind. Auch die von der Bundeswehr als notwendig erachtete Erhebung eines zivilen Lagebildes durch Bundeswehrsoldaten führt indirekt zu einer Gefährdung von NRO. Denn ein wichtiger Bestandteil des zivilen Lagebildes ist für die Bundeswehr auch die Erhebung von Daten über die humanitäre Situation im militärischen Einsatzgebiet. Auf diese Weise werden Erwartungen in der Bevölkerung geweckt, mit denen dann die Hilfsorganisationen konfrontiert werden. Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, tritt ein Vertrauensverlust ein, der sich negativ auf die Arbeit von humanitären Hilfsorganisationen auswirken kann, selbst wenn die Bundeswehr keine eigenen Hilfsmaßnahmen durchführt oder beauftragt.

Aus humanitärer Sicht sind PRTs ein Sinnbild einer hybriden zivil-militärischen Zusammenarbeit. Durch die Vermischung von humanitärer Hilfe und militärischen Zielen geraten Hilfsorganisationen in den Sog des allgemeinen Vertrauensverlustes der afghanischen Bevölkerung. Bereits vor der flächendeckenden Etablierung der PRTs in Afghanistan, warnte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) eindringlich vor einer konzeptionellen und operativen Vermischung der unterschiedlichen Mandate: “The distinction between humanitarian, political and military action becomes blurred when armed forces are perceived as being humanitarian actors, when civilians are embedded into military military structures, and when the impression is created that humanitarian organizations and their personnel are merely tools within integrated approaches to conflict management.”[14] Einige NRO haben in den letzten Jahren ihre Hilfe in Afghanistan unter anderem mit dem Hinweis eingestellt, dass aufgrund der Instrumentalisierung des humanitären Mandats durch das Militär eine unabhängige Hilfe nicht mehr leistbar ist. Die NRO wehren sich gegen die zunehmende Dominanz sicherheitspolitischer Überlegungen, die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe „im Windschatten militärischer Interventionen“ vor allem als strategische Option betrachten, wie zum Beispiel der ehemalige US-Außenminister Colin Powell, der NRO als „force multiplier“ bezeichnete.

Das PRT-Modell ist mittlerweile nicht nur zum Sinnbild für die Vermischung der Mandate der unterschiedlichen zivilen und militärischen Akteure geworden, sondern auch paradigmatisch für den Versuch, im Rahmen „integrierter Ansätze“ humanitäre Hilfe als Teil einer politisch-militärischen Gesamtstrategie in Konflikt- und Postkonfliktsituationen einzubeziehen. Eine Anfang 2008 im Auftrag des Verteidigungsministeriums veröffentlichte Studie weist in aller Deutlichkeit auf den strategischen Nutzen der Hilfsmaßnahmen der PRTs hin: „Die Maßnahmen, welche über die Provincial Development Funds umgesetzt werden, sind bedarfsorientiert und grundsätzlich geeignet, die Akzeptanz des internationalen Engagements bei der afghanischen Bevölkerung zu erhöhen.“[15]

5. Zusammenfassung

Aus Sicht von humanitären Hilfsorganisationen wird die institutionalisierte Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit in Form der PRTs abgelehnt. VENRO hat in seinem Positionspapier „Perspektiven für Frieden, Wiederaufbau und Entwicklung in Afghanistan“ vom Oktober 2007 die klare Forderung erhoben, dass sich Streitkräfte ausschließlich auf ihre Kernaufgabe, die militärische Friedenssicherung konzentrieren, und humanitäre Hilfe, Wiederaufbau und Entwicklungszusammenarbeit zivilen Akteuren überlassen.[16] Daher sollte auf der Grundlage der unterschiedlichen Mandate von Streitkräften und Hilfsorganisationen, die dem humanitären Imperativ verpflichtet sind, eine klare Arbeitsteilung vereinbart werden.

Die Arbeit der Hilfsorganisationen in einem Postkonflikt- Land wie Afghanistan beruht vor allem auf der Akzeptanz in der Bevölkerung. Diese Akzeptanz kann nur dann aufrechterhalten werden, solange der Unterschied zwischen militärischen und zivilen Akteuren für die afghanische Bevölkerung erkennbar und nachvollziehbar bleibt. Nach Einschätzung der humanitären Hilfsorganisationen birgt die institutionalisierte Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit in Form der PRTs mehr Risiken als Vorteile. Eine Studie von “Save the Children” stellte daher bereits 2004 die politische Forderung, angesichts der Gefährdung der Unabhängigkeit der humanitären Hilfe durch CIMIC-Aktivitäten, den Mehrwert der PRTs zu belegen: “It is imperative that militaries, and their political masters, either prove that the risks posed by ‘hearts and minds’ operations are outweighed by the security benefits, or else they should cease including them in their portfolio of military activities”[17] (Save the Children 2004:51).

ACBAR, der Dachverband der in Afghanistan tätigen NRO, kommt in seinem Positionspapier vom März 2008 ebenfalls zu dem Schluss, dass die PRTs sich auf das ursprüngliche Mandat der Stabilisierung und Sicherheit zurückbesinnen müssen. Da sie von vornherein nur als Übergangslösung geplant gewesen seien, sollten die PRTs in absehbarer Zeit heruntergefahren werden und die von ihnen absorbierten Finanzmittel in die nationalen Entwicklungspläne fließen.[18] Ein realistischer Zeitplan für eine militärische „Exit“-Strategie würde die Glaubwürdigkeit des Westens, Afghanistan wirklich Frieden und Entwicklung bringen zu wollen und nicht eigene strategische Interessen zu verfolgen, erheblich stärken. Zudem stellen die PRTs Doppelstrukturen zur afghanischen Staatlichkeit dar, die parallel zum fortschreitenden afghanischen Staatsaufbau schnellstmöglich wieder aufgelöst werden sollten. Darüber hinaus sollten CIMIC-Aktivitäten und QIPs der deutschen PRTs hinsichtlich Effizienz, Wirkungen und Nachhaltigkeit unabhängig evaluiert werden.

Fußnoten
  1. Vgl. Afghanistan-Konzept der Bundesregierung vom 7. September 2008, S. 24.
  2. Vgl. Julia Hett: Provincial Reconstruction Teams in Afghanistan: Das amerikanische, britische und deutsche Modell, ZIF-Analyse 04/2005, S. 8.
  3. Timo Noetzel und Martin Zaepfe, Aufstandsbekämpfung als Auftrag: Instrumente und Planungsstrukturen für den ISAF-Einsatz, SWP-Studie, Berlin, Mai 2008, S. 5.
  4. Vgl. Pressemitteilung des Bundesministeriums der Verteidigung vom 5.12.2002.
  5. Vgl. Afghanistan-Konzept der Bundesregierung vom 1. September 2003, S. 8.
  6. Vgl. „Wir haben unsere Verpflichtungen nicht erfüllt“, Tagesspiegel, 10.11.2008.
  7. Bundesministerium der Verteidigung, Teilkonzeption Zivil-Militärische Zusammenarbeit der Bundeswehr, Berlin, Oktober 2001, S. 5.
  8. So wird von der Bundeswehr in der Außendarstellung häufig der Eindruck erweckt, die Soldaten seien „Helfer in Uniform“, z.B. im Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 6. Juni 2008.
  9. Jan Koehler und Christoph Zürcher, Quick Impact Projects in Nordost Afghanistan: Eine Studie im Auftrag des BMVg, 2007, S. 17.
  10. Vgl. Auswärtiges Amt, Krisenprävention als gemeinsame Aufgabe: 2. Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des „Aktionsplans Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“, S. 83.
  11. Sascha Lange, Die Bundeswehr in Afghanistan: Personal und technische Ausstattung in der Einsatzrealität, SWP-Studie, März 2008. Im Widerspruch dazu steht eine Anfang 2008 veröffentlichte Zwischenevaluierung des Entwicklungsministeriums, nach der 99 Prozent der befragten Haushalte im Nordosten Afghanistans der Ansicht sind, dass sich die Sicherheit verbessert hat. BMZ, Friedensmissionen in Nordost-Afghanistan – welche Wirkungen hat die Entwicklungszusammenarbeit? BMZ-Evaluierungsbericht 031, 2008.
  12. Afghanistan-Konzept der Bundesregierung vom 12. September 2006, S. 2.
  13. S. ANSO Quarterly Data Report, July 1st – September 30th ; October 2008, S. 1.
  14. Ray Rana, Contemporary challenges in the civil-military relationship: Complementarity or incompatibility? In: International Review of the Red Cross, September 2004, p. 565–591.
  15. Jan Koehler und Christoph Zürcher: Quick Impact Projects in Nordost Afghanistan: Eine Studie im Auftrag des BMVg, 2007. In der Studie wird aus VENRO-Sicht übersehen, dass die PRT und PDF-Massnahmen meist keine nachhaltige Perspektive aufweisen, dass sie sich vorrangig an akuten Sicherheitsinteressen orientieren und sich nur in Ausnahmefällen auf professionelle Bedarfsanalysen stützen.
  16. VENRO, Perspektiven für Frieden, Wiederaufbau und Entwicklung in Afghanistan, VENRO-Positionspapier, Oktober 2007.
  17. Save the Children, Provincial Reconstruction Teams and humanitarian- military relations in Afghanistan, London, 2004.
  18. Matt Waldman, Falling short: Aid effectiveness in Afghanistan, ACBAR Advocacy Series, March 2008, S. 5.
* Quelle: Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. (VENRO);
Autoren: Timo Christians, Katrin Radtke, Hubertus Rüffer (alle drei Welthungerhilfe), Peter Runge (VENRO), Herbert Sahlmann (Stiftung Nord-Süd- Brücken) sowie Thorsten Hinz (Caritas international) und Jürgen Lieser (Caritas international/VENRO)
Redaktion: Kirsten Prestin.
Erscheinungsdatum: Januar 2009


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