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Afghanistan: Platte Sprüche zur Polizeiausbildung

Beamte kritisieren Bundesregierung – sie verspricht viel und fördert doch nur Konzeptionslosigkeit

Von René Heilig *

Statt 123 sollen demnächst 200 deutsche Polizisten in Afghanistan Kollegen ausbilden. Das ist Teil der neuen Afghanistan-Strategie. Übergabe in Verantwortung überschreibt die Bundesregierung das – und wird dabei ihrer eigenen Verantwortung nicht gerecht, klagen Beamte.

77 Ausbilder mehr sollen helfen, in den nächsten drei Jahren 15 000 afghanische Polizisten auszubilden. Zunehmend »in die Fläche« will man gehen. Freilich nur in Gebieten, die sicher sind. Klar weiß man im Bundesinnenministerium, dass es die nicht gibt. Daher setzt man seit Anfang 2009 zusätzlich auf die Kooperation mit der Bundeswehr. »Focused District Development (FDD) – sogar einen Namen hat man gefunden, damit alles so ausschaut, als folge es einem durchdachten Programm.

Angeblich sind die Ausbildungsmodule der sogenannten Polizei-Mentoren-Teams (PMT) inhaltlich klar abgegrenzt zwischen Polizisten und Feldjägern. Teilnehmer kritisieren, dass natürlich – nicht nur in der äußeren Darstellung – Konturen zwischen ziviler Polizei- und militärischer Ausbildung verwischen.

Da nicht sein kann, was nicht sein darf, ließ sich Ole Schröder, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, auf diese Diskussion nicht ein, als er in der vergangenen Woche auf dem 13. Europäischen Polizeikongress in Berlin Lobeshymnen auf das neue Afghanistan-Konzept anstimmte.

Neu? Viele Zuhörer können nichts Neues herausfiltern. Ohne ganzheitliches Konzept, so mosern beispielsweise die Mitglieder des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, wird man das »System Karsai«, also die mafiösen Machtstrukturen in Afghanistan, nicht ändern. Trotz FDD wird die afghanische Polizei in alte Verhaltensmuster zurückfallen und Teil des korrupten Systems sein, das sie eigentlich bekämpfen soll.

Lohnt das Resultat das wachsende Risiko, das die Polizisten vor Ort eingehen? Die beiden deutschen Polizeigewerkschaften sind sich nicht oft einig, in dieser Frage antworten aber beide mit einem klaren Nein.

Auch Länderinnenminister reagieren säuerlich auf die neue Strategie des Bundes. Wenn sie wirklich neu wäre, müsste es ja auch neue Anforderungen an die beteiligten Polizisten geben. Doch weder der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Hamburgs Senator Christoph Ahlhaus, noch seine Länderkollegen Volker Bouffier (Hessen), Volker Hövelmann (Sachsen-Anhalt), Uwe Schünemann (Niedersachsen) und Ingo Wolf (Nordrhein-Westfalen) haben etwas von neuen, höheren Anforderungen gehört. An ihrer Parteizugehörigkeit kann der öffentlich ausgesprochene Unmut nicht liegen, denn außer SPD-Mann Hövelmann besitzen die anderen Parteibücher der CDU oder der FDP.

Aus Fehlern müsse man lernen, hatte der CDU-gestellte Staatssekretär Schröder betont, dabei aber nur die ebenfalls in Afghanistan vertretene ineffektive Europäische Polizeimission EUPOL gemeint. Deutsche EUPOL-Mitarbeiter haben in der Tat frustriert zu FDD gewechselt und auf die um 2000 Euro höhere EU-Bezahlung verzichtet. Es stimmt auch, dass - wie Schröder sagte – bei EUPOL die Bürokratie den Nutzen erstickt und zu viele etwas zu sagen haben. Völlig vergessen hat er offenbar, das EUPOL 2007 unter deutscher Leitung installiert worden war. Wer also was in den Sand gesetzt hat, ist relativ leicht belegbar.

Auch wenn die Regierung (beispielsweise in ihrer Antwort auf eine aktuelle Kleine Anfrage der Linksfraktion) das Gegenteil behauptet – es gibt zu wenig geeignete Polizisten, die sich für den freiwilligen Dienst in Afghanistan melden. Bisher haben 663 deutsche Beamte im bilateralen Ausbildungsprogramm gearbeitet, manche bereits zwei-, drei- oder gar viermal. Zum EUPOL-Programm wurden 138 deutsche Polizisten abgeordnet.

Wie aber sieht das mit Bewerbungen aus? Idealismus braucht sich auf, zusätzliches Einkommen muss gegen die lange Einsatzzeit und mögliche Karrierenachteile abgewogen werden. 2009 hatten sich, so addierte die Regierung, 136 Polizisten aus den Ländern und 80 vom Bund beworben. Unterm Strich blieben 213 geeignete Bewerber übrig. Das sind 13 über dem nun verkündeten Soll. Wer da von ausreichenden Reserven spricht, schönt die Verhältnisse.

Niedersachsens Innenminister Schünemann glaubt, einen Ausweg zu kennen. Der Bund sei »in der Pflicht, schnell mehr Polizisten bereitzustellen«. Dabei denkt der Mann aus Hannover an die beiden Bereitschaften für »robuste« Auslandseinsätze, die in Sankt Augustin bestehen (sollen). Die Truppe für »Grauzoneneinsätze« zwischen Polizei und Militär wurde im Rahmen der Bundespolizeireform gebildet. Nach zwei Jahren ist es immerhin gelungen, fast eine Hundertschaft zu formieren. Vom Ausbildungsziel ist man weit entfernt.

Geschönte Bilanzen der Ausbildung

Die Bundesregierung sagt: Zwischen 2002 und 2008 wurden durch deutsche Polizeiausbilder rund 30 000 afghanische Polizisten aus- und fortgebildet Die Dauer der Lehrgänge betrug zwischen vier und zwölf Wochen. Durch Bundeswehr-Feldjäger wurden in 4-Tage-Kursen 4900 Mann ausgebildet. Allein 2009 haben deutsche Polizeiausbilder 3594 afghanische Kollegen gedrillt. Mindestens die gleiche Anzahl will man in diesem Jahr ausbilden.Laut afghanischem Innenministerium sind derzeit 96 567 der 96 800 Polizei-Planstellen besetzt. Deutsche Experten halten diese Angaben für reine Fantasie.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2010


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