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Polizeiausbildung in Afghanistan

Der deutsche Beitrag ist offenbar geringer als behauptet

Im Folgenden dokumentieren wir die gleichnamige Sendung, die der NDR im Rahmen der Sendereihe STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN am 22. März 2008 erstmals ausstrahlte.



Moderation: Andreas Flocken

Auf der offiziellen Themenliste in Bukarest steht er zwar nicht, aber hinter den Kulissen wird auch dort über den deutschen Beitrag am Afghanistan-Einsatz gestritten werden. Erst vor kurzem hatte der NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer bei der Kommandeurstagung in Berlin den Deutschen vorge-worfen, das Kämpfen den anderen NATO-Staaten in Afghanistan zu überlas-sen. Eines der Argumente, mit denen die Bundesregierung diese Kritik bislang zu entkräften suchte, war, dass sich Deutschland an vorderster Front bei der Ausbildung der Polizei am Hindukusch engagiere. Doch damit ist es offenbar nicht so weit her. Silke Hasselmann berichtet:


Manuskript Silke Hasselmann

Ein Video des Auswärtigen Amtes über den Polizeiaufbau in Afghanistan: die Musik untermalt schnell geschnittene Bilder von Grenzkontrollen, Verkehrsunfällen, Drogenschmuggel und blutigen Attentaten. Situationen, in denen Polizisten gefragt sind - einer wie Sher Hasan Sherzahd. Er zählt zu den mehr als 17.000 Polizeioffizieren, die seit 2002 an der Kabuler Polizeiakademie von deutschen Beamten ausgebildet wurden. Nun präsentiert sich der junge Mann in einer schmucken Uniform und berichtet:

"Man hat uns während der Polizeiausbildung beigebracht, dass das eigene Leben sehr wichtig und kostbar ist. Aber wir müssen auch Kriminalität bekämpfen. Und egal, in welcher Form sie uns entgegentritt: wir werden trainiert, sie zu bekämpfen."

Propaganda? Im Auswärtigen Amt ist man nicht dumm: zu offensichtlich sind die Sicherheitsprobleme in dem Land am Hindukusch, das doppelt so groß ist wie Deutschland. Also darf Sher Hasan Sherzahd auch ein Problem andeuten:

"Natürlich verdienen wir sehr wenig Geld. Es ist nicht genug für einen Polizei-offizier. Aber wenn du versprichst oder sogar schwörst, etwas für dein Land zu tun, dann musst es auch umsetzen. Wenn du korrupt bist und Geld von an-deren nimmst, dann ist das Verrat."

...und General Sadaat, Chef der afghanischen Drogenbekämpfung, erklärt:

"Wir haben mit nichts begonnen und es dann geschafft, mit internationaler Hilfe etwas aufzubauen. Aber es reicht nicht. Wir brauchen vor allem mehr und bessere Ausrüstung, denn wir befinden uns bei weitem nicht auf dem modernen technischen Stand der Drogenschmuggler."

Dass General und Leutnant in einem amtlichen Deutschen Video auftauchen, hat einen Grund: Afghanistan erhofft sich Abhilfe vor allem von Deutschland. Dies ist das Land, das sich 2002 im Wege der internationalen Arbeitsteilung verpflichtet hatte, den Polizeiaufbau zu übernehmen. Auch die US-Amerikaner bilden Polizisten aus, und zwar - was kaum einer weiß - im Rahmen der Anti-Terroroperation Enduring Freedom.

3 Mrd. Dollar hat Washington in diesen Bereich gepumpt und vor allem Streifenpolizisten niederer Ränge mit Waffen und Rudimentärkenntnissen ausgestattet. Die Deutschen hingegen bauten eine Polizeiakademie in Kabul auf, wo sie Offiziere rechtsstaatliches Handeln lehren. Weil sich nun aber der Polizeiaufbau aus vielen Gründen schwieriger gestaltete als zunächst gedacht, hat Berlin voriges Jahr die Verantwortung an die Europäische Union abgegeben. Die gründete EUPOL. Eine Mission, an der auch Deutschland teilnimmt, doch die Sache läuft gehörig schief. Das meint jedenfalls Elke Hoff aus der FDP-Bundestagsfraktion. Sie hat dieser Tage eine regierungsamtliche Antwort auf ihre Frage bekommen, wieviele deutsche Beamte aktuell mit der Polizeiausbildung am Hindukusch befasst seien. Antwort: es sind neun. Zwar heißt es weiter, dass im vorigen Jahr 40 deutsche Trainingsexperten insgesamt 1.569 afghanische Bereitschafts- und Grenzpolizisten ausgebildet hätten und dass dieser Trainerpool in diesem Jahr 60 Beamte umfassen soll. Doch für Elke Hoff ändert das nichts an der traurigen Tatsache, dass die Aktion EUPOL ein Schlag ins Wasser ist.

"Man beschäftigt sich jetzt überwiegend mit sich selbst. Es wird sehr viel über Arbeitskreise und Arbeitsgruppen gesprochen, wo sehr viel Papier produziert wird. Aber Fakt ist, dass nur 9 Beamte konkret in der Ausbildung vor Ort tätig sind. Fakt ist auch, dass die Ausbildung der afghanischen Polizei 2 Jahre hinter der Ausbildung der afghanischen Armee her hinkt. Insofern kann man schon die Frage stellen, wieso nach 6 Jahren Präsenz auch der deutschen Polizei - und ich möchte hier keine Kritik an den Beamtinnen und Beamten üben; ich weiß, dass die sehr gute Arbeit gemacht haben, weil ich sie auch vor Ort besucht habe, und die sind sehr engagiert. Aber wieso ist es dann immer noch nicht gelungen, dieses "Zeitloch" zu füllen, um die afghanische Polizei wirklich einsatzfähig zu machen?"

Elke Hoff arbeitet im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Dort ist der Polizeiaufbau in Afghanistan seit einem halben Jahr Dauerthema, obwohl "Polizei" originäre Angelegenheit des Innenausschusses ist. Doch inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die wichtigste Voraussetzung für einen absehbaren Rückzug der Bundeswehr in einer halbwegs eigenständig und rechtsstaatlich funktionierenden Polizei besteht, die für die zivile Sicherheit im Landesinneren sorgt. "Vernetzte Sicherheit" lautet richtigerweise das neue Konzept. Doch je kritischer die Sicherheitslage in Afghanistan, desto weniger kann man das EUPOL-Bürokratiechaos gebrauchen. Nicht nur, dass es derzeit Ausbildung hemmt; es potenziert jene Probleme, von denen auch Elke Hoff in etlichen Gesprächen mit afghanischen Polizisten erfahren hat:

"Der Wille etwas zu lernen und eine Aufgabe zu erfüllen, den habe ich schon empfunden. Aber es ist eben sehr schwer, das, was man gelernt hat, in der Realität umzusetzen. Also wenn ein Polizist keine Waffe trägt, um bestimmte Dinge durchzusetzen, dann verliert er natürlich die Achtung und auch den Respekt - gerade auch in einer Kultur, wo das Tragen einer Waffe ein besonderes Symbol der Stärke ist."

Nach langem Hin und Her entschied die Bundesregierung vorigen September: nein. Wir liefern weder Schusswaffen noch Munition. Abgesehen von der Kostenfrage hatte man ein abschreckendes Beispiel vor Augen: im Sommer war bekannt geworden, dass hunderttausende Waffen versickert waren, die die USA an die afghanische Armee geliefert hatten. Man vermutet, dass ein Großteil an Warlords, kriminelle Banden und Terroristen weitergereicht wurde. Ähnliches fürchtete man nun auch im Polizeibereich, und nichts will Berlin weniger, als auf Umwegen Taliban oder al-Qaida-Kämpfer aufzurüsten.

Andere Bitten wurden jedoch erhört: entgegen der sonst üblichen Praxis bei der polizeilichen Ausstattung für andere Länder liefert Deutschland neuerdings sogenannte Zwangsmittel. Allein 2000 sogenannte ?Mann-Ausstattungen` gehen dieses Jahr an die afghanische Polizei: Körperschutz, Helme, Schutzschilde, Handschuhe, Schlagstöcke, Pfefferspray. Auch Nagelböden, Stacheldraht, Handschellen und Fesseln sollen "aus Mitteln des internationalen Stabilitätspaktes für Afghanistan" bezahlt und von Deutschland geliefert werden. Eine Todesrate wie jener der jüngsten zwölf Monate will man künftig verhindern: 1.246 afghanische Polizisten kamen um - nicht zuletzt wegen mangelnder oder fehlender Ausrüstung. Zeitgleich sind rund 500 Uniformierte verschwunden. Doch das hängt größtenteils mit einem Seitenwechsel zusammen, denn, so Elke Hoff:

"Das nächste Problem ist in der Tat wirklich die Bezahlung. Also wenn ich nicht genug Geld bekomme, um meine Familie zu ernähren, oder wenn krimi-nelle Banden immer mehr Geld bieten können als der Staat selber, dann verliert natürlich der Polizist irgendwann die Lust, entweder weiter Polizist zu sein oder er sucht durch Korruption sich und seine Familie ernähren zu können."

All das hat sich nun auch August Hanning auf einer Afghanistan-Reise erklären lassen. Der für Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung zuständige Innenstaatssekretär hatte die Probleme noch vorigen November gegenüber "STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN" kleingeredet. Doch nun reagiert August Hanning offenbar realitätsnäher: So hat er angekündigt, dass Deutschland das afghanische Landeskriminalamt besser unterstützen und eine weitere Polizeiakademie in Masar-i-Sharif aufbauen will - quasi an EUPOL vorbei. Der Bund will zudem die Sondereinsatzgruppe bei der grenznahen Drogenbekämpfung unterstützen. Allerdings meint die parlamentarische Verteidigungsexpertin Elke Hoff, dass auch hier die effektivste Hilfe in einer erheblich besseren Ausrüstung der afghanischen Grenzpolizei bestünde. Ansonsten:

"Ich denke, da muss man Tacheles reden mit den afghanischen Regierungs-vertretern, dass es nicht sein kann, dass nach wie vor auch innerhalb der staatlichen Strukturen Personen identifiziert werden können, die mit dem Drogengeschäft in Verbindung stehen. Das ist erstmal etwas, wo die internationale Gemeinschaft Druck auf die afghanische Regierung ausüben muss."

Quelle: www.ndrinfo.de; die Sendemanuskripte werden auf Anforderung per e-mail verschickt.


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