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"Deutsche Polizei hat in Afghanistan nichts zu suchen"

Die NRW-Linke will durchsetzen, daß keine Beamten aus dem Bundesland nach Afghanistan geschickt werden. Gespräch mit Ali Atalan


Ali Atalan ist Mitglied der Fraktion Die Linke im Landtag Nordrhein-Westfalen (NRW) und deren migrations- und friedenspolitischer Sprecher.

Der Bundestag entscheidet am Freitag über die Fortsetzung des Bundeswehr-Einsatzes am Hindukusch. Die Linke in NRW plädiert aber schon jetzt dafür, daß das Bundesland keine deutschen Beamten mehr zur Polizeiausbildung nach Afghanistan schickt. Welche Gründe gibt es dafür?

Wir sind der Auffassung, daß deutsche Polizisten in Afghanistan nichts zu suchen haben – auch nicht die 28 Beamten aus NRW. Denn dort führen westliche Mächte einen Krieg, der sich gegen die Bevölkerung richtet. Die Polizei, angeblich zur Ausbildung afghanischer Kollegen dorthin geschickt, fördert diesen Krieg. Deshalb ist es aus unserer Sicht unverantwortlich, sie dort zu belassen. Es geht dabei auch um das Leben und die Sicherheit dieser Beamten – letztere ist unserer Auffassung nach in Afghanistan nicht gewährleistet.

Wenn unser Antrag beschlossen wird, die Polizisten abzuziehen, hoffen wir damit einen Präzedenzfall geschaffen zu haben. Dann müßten auch die Bundesregierung und der Bundestag endlich einsehen, wie sinnlos dieser Krieg ist. Er trägt weder dazu bei, Frieden in Afghanistan zu schaffen, noch führt er zu Stabilität und Gerechtigkeit. Im Gegenteil: Zu mehr Konflikten und Chaos.

Wie stellt sich die jetzige Situation der afghanischen Polizei dar?

Die UNO und andere unabhängige Organisationen haben mehrfach darauf hingewiesen, daß sie dort nicht für Sicherheit sorgt, sondern für Unruhe und Unsicherheit. Sie ist nicht Teil der Problemlösung, sondern ein Teil des Problems. Viele Polizisten sind korrupt und gehen gegen die Bevölkerung gewalttätig vor, sie foltern auch. Und bekanntermaßen gehen immer wieder einige von ihnen zu den afghanischen Taliban über. Sie werden also ausgebildet, mit Waffen umzugehen, aber ihre Gesinnung und Denkweise ist in keiner Weise mit demokratischen Prinzipien vereinbar.

Sie kritisieren auch, daß der Beschluß der NRW-Landesregierung, Polizisten nach Afghanistan zu entsenden, undemokratisch zustande gekommen ist. Wieso das?

Der frühere Innenminister Ingo Wolf (FDP) hat in eigener Regie die Entsendung der Polizisten angeordnet – ohne den Landtag einzubeziehen und darüber zu diskutieren. Über eine Entscheidung von dieser Tragweite muß der Landtag beraten und beschließen. Ein Solo des Innenministers darf es in einem solchen Fall nicht geben, das ist unverantwortlich.

Die Gewerkschaft der Polizei hat sich ebenfalls dagegen ausgesprochen. In ihrem Beschluß heißt es, daß deutsche Polizisten nicht in Krisen- und Kriegsregionen in der Welt geschickt werden dürfen. Dazu seien sie nicht ausgebildet. Das Selbstverständnis der Polizei sei es, daß sie für die innere Sicherheit sorgt und nicht Kriege im Ausland unterstützen soll. So sehen wir es auch.

Wird hier nicht der Auftrag des Militärs mit dem der Polizei vermischt – wie es nur in Diktaturen der Fall ist?

Das ist unser zweiter Kritikpunkt: Es ist kein Polizeieinsatz, sondern der Einsatz erfolgt zur Verstärkung der Kriegführung. Hier wird mit dem Militär kooperiert.

Das Land Brandenburg hat einen ähnlichen Beschluß gefaßt – inwiefern unterscheidet sich der Antrag von dem Ihrigen?

Der Landtag von Brandenburg hat entschieden, keine Polizisten mehr nach Afghanistan zu senden. Wir finden diesen Beschluß vom Ansatz her ermutigend, aber nicht weitgehend genug, denn auch dort bereits stationierte Polizisten müssen abgezogen werden. So sieht es unser Antrag vor, der dem Innenausschuß entweder am 10. Februar oder am 17. März vorgelegt wird. Wir wünschen, daß viele Bundesländer sich anschließen.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, 25. Januar 2011


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