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Dank aus Kanada – und ein Verlangen

Quick Reaction Force: Die nächste Eskalation wird nicht die letzte sein / Wachablösung oder Umdenken am Hindukusch?

Von René Heilig *

Die Bundeswehr soll endlich angreifen in Afghanistan. Das fordert die NATO und verlangt den Entsatz von bislang norwegisch geführten Quick Reaction Forces durch deutsche Militärs.

Vorbei ist es mit dem Bundeswehr-Lästerspruch: Kamerad, schieß' du und lass mich hintern Baum. Das liegt nicht nur daran, dass Bäume in Afghanistan ohnehin nicht so eng gewachsen sind. Die Forderung hat mit atlantischer, also NATO-Solidarität, zu tun. Beispiel:


»Sehr geehrte Herren,
ich möchte Ihnen gerne meinen Dank und den Dank meiner Panzerbesatzung für all die Arbeit übermitteln, die Sie bei der Beschaffung der neuen Panzer geleistet haben, und Sie wissen lassen, dass dieser Panzer vor kurzem unser Leben gerettet hat.«


Der Brief ging unlängst beim kanadischen Militärattaché ein, verbunden mit der Bitte, den Inhalt an die zuständigen deutschen Stellen weiterzuleiten.

»In der Nacht des 2. November fuhren wir auf ein IED (behelfsmäßige Sprengvorrichtung) auf und gingen als die Panzerbesatzung in die Geschichtsbücher ein, die das neue ›M-Paket‹ des Leopard 2 A6 M als erste testeten. Dieses Paket hat seinen Zweck voll und ganz erfüllt. Unglücklicherweise haben wir die Sache nicht alle unverletzt überstanden, da mein Fahrer sich die linke Hüfte brach, aber die Tatsache, dass die meisten von uns mit Prellungen, blauen Flecken und einem Klingeln in den Ohren davonkamen, zeigt, wie gut die neuen Panzer ihrer Aufgabe gewachsen sind ... Ich bin mir sicher, dass wir in einem anderen Fahrzeug nicht so glimpflich davon gekommen wären.«



Der Leopard 2 A6 M ist – wie eine Handvoll an derer – nur verleast an die kanadischen Soldaten, die in Afghanistan im direkten Kampf gegen Taliban und deren Verbündete stehen. Und weil sie diesen Kampf überleben wollen, baten sie die Deutschen um diese nachgerüsteten Tanks. Dass die Panzerschmiede Krauss Maffei und Wegemann nicht »Nein« zur Aufrüstung ihres Panzers sagte, ist pekuniär nachvollziehbar. Und das Verteidigungsministerium von Franz Josef Jung (CDU) kam der Bitte auch gern nach. Getreu dem Motto: Lass mich hintern Baum!

Kaum jedoch, dass Jung diesen kanadischen Dank zur Kenntnis genommen hatte, sah er sich mit einer gleichfalls aus Kanada kommenden Idee zur noch besseren Befriedung Afghanistans konfrontiert. Eine hochrangige Delegation machte den Minister mit ihrem Gedanken einer gerechten regionalen Rotation in Afghanistan bekannt. Wer – wie die kanadischen Soldaten – im Süden des Landes unmittelbar im Kampf gestanden hat, sollte nach einer definierten Frist dann in einen ruhigen Abschnitt verlegen können. Beispielsweise in den Norden, wo die Bundeswehr ihre Burgen errichtet hat. Die Folge? Richtig! Deutsche Soldaten müssten die nun dünnen südlichen Frontlinien auffüllen.

Jung soll dem Vernehmen nach wenig Sympathie für den Vorschlag der NATO-Kameraden entwickelt haben. Natürlich sprach er nicht über befürchtete Leichensäcke, sondern viel mehr über logistische Schwierigkeiten, die der kanadischen Idee entgegen stünden.

Und da hat der Minister nicht übertrieben. Allein das Problem mit den fehlenden Helikoptern spricht gegen allzu viel Mobilität im »Einsatzgebiet«. Bei jeder Truppenstellerkonferenz flehen die NATO-Spitzen ihre Mitglieder an: Schickt Hubschrauber! Die Vertreter Deutschlands müssen in solchen Situationen immer dringend den Konferenzraum verlassen und »daheim« anrufen – nur um nicht wahrheitsgemäß Auskunft zu geben. Denn: Wir haben keine!

Die Bundeswehr verfügt derzeit über insgesamt »87 operativ nutzbare Luftfahrzeuge CH-53«. Das klingt toll – aber: Lediglich 20 dieser mittleren Transporthubschrauber sind so ausgestattet, dass sie unter Gefechtsbedingungen einsetzbar sind. Die pausenlose Belastung führt dazu, dass die vorgeschriebenen Inspektionen einen Gutteil der Maschinen an die Erde binden. So sind nur sechs CH-53 in Afghanistan, konkret in Mazar-e Sharif, einsatzbereit. Doch wenn es Nacht wird über Afghanistan, dann bleiben auch die am Boden.

Dann trauen sich auch keine Landpatrouillien mehr aus den ISAF-Camps. Schon am Tage ist deren Ausfahrt höchst risikobehaftet. Die Bundeswehr verfügt über zu wenige geschützte Fahrzeuge, um ihre Präsenz ausreichend vorführen zu können. Voller Entsetzen hat man festgestellt, dass die hoch gelobten, weil gepanzerten Multicar-Karren namens »Mungo« nichts taugen. Es bedarf keiner feindlicher Panzerfäuste, um sie außer Gefecht zu setzten. Das besorgen die nicht DIN-gemäßen Straßen und Wege.

Die norwegischen Vorgänger der Bundeswehr konnten ihren »Quick Reaction Force«-Einsatz mit bester (eigener) Bilanz beenden: kein Toter, kein Verwundeter! Doch inzwischen haben sich die Voraussetzungen des robusten Einsatzes geändert. Die NATO gedenkt – nach US-Vorbild in Irak – »Widerstandsnester« anzugreifen und niederzumachen. Offensiv – was eigene Verluste nicht ausschließt, sondern eher wahrscheinlich macht. Übrigens: Die Bundeswehr besitzt in Afghanistan nicht einen einzigen »Leo«, in dem man nur mit Prellungen und Klingeln im Ohr davonkommt.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Januar 2008


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