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Afghanistan-Einsatz: Die USA suchen das Weite, Pakistan muss bleiben

Nach dem "strategischen Dialog" in Washington

Von Dmitri Kossyrew *

Die Verhandlungen zwischen den USA und Pakistan in Washington sind beim ersten Anblick in einer freundlichen Atmosphäre verlaufen.

In der Tat entwickelte sich in diesen Tagen ein interessantes Thema der globalen Politik, in dem sich viele Fragen miteinander verflechten: die Zukunft Afghanistans (wichtigstes Weltzentrum für den Handel mit Opium und Heroin) und dessen Nachbarstaaten (Usbekistan, Tadschikistan, Iran u.a.); die Zukunft der russischen Politik in Zentralasien; die Zukunft der Beziehungen zwischen zwei wichtigen Staaten, den USA und Indien, und letztendlich die Zukunft der ganzen Welt.

Das Treffen wurde als "strategischer Dialog" zwischen den USA und Pakistan bezeichnet. Die in Washington eingetroffene Delegation bestand aus dem pakistanischen Generalstabschef Ashfaq Kiyani (vielleicht die bedeutendste Figur in Pakistan, die eine größere Rolle als Präsident und Regierungschef spielt), dem Verteidigungsminister Akhmed Mukhtar und dem Außenminister Shah Mahmood Qureshi. Empfangen wurden sie von ihren amerikanischen Amtskollegen.

Der "strategische Dialog" zwischen den beiden Staaten begann vor zwei Jahren. Seit dem Einzug Obamas ins Weiße Haus kamen mehrere US-Militärpersonen verschiedenen Ranges nach Islamabad und Neu-Delhi zu Besuch. Dieser Prozess erreichte seinen Höhepunkt in Washington.

Das Problem besteht darin, dass sich die Obama-Regierung von Anfang an auf Afghanistan konzentrierte, der wichtigsten Richtung ihrer Außenpolitik. Damals schien es, dass die Probleme durch eine schnelle Verstärkung der US-Truppen in der Region gelöst werden. Es war nicht sofort klar, was Obama eigentlich will. Er will tatsächlich die Region verlassen.

Obama will, dass Afghanistan und die Nachbarstaaten (in gewissem Sinne kann man auch Russland und China als solche bezeichnen) die Sorgen über den Krieg übernehmen. Die drastische Aufstockung der Zahl der US-Soldaten beim Afghanistan-Einsatz zielt darauf ab, einen letzten heftigen Schlag zu versetzen und danach wegzugehen. Der Rückzug der US-Soldaten soll in einem Jahr und drei bis vier Monaten stattfinden, wenn nichts Ungewöhnliches mehr passiert.

Für Pakistan gibt es jedoch keinen Rückweg. Dasselbe betrifft alle oben genannten Länder, darunter auch Russland. Sie erhalten als Erbe den Krieg gegen den Extremismus und den Terror auf dem Terrain von zwei armen Staaten mit schwachen Regierungen: Afghanistan und Pakistan. Hinzu kommen die Drogen und vieles mehr.

Beim "strategischen Dialog" in Washington handelte es tatsächlich darum, was Pakistan für seine Rolle als Sündenbock bekommt.

Pakistan war vom Krieg der USA und der Nato in Afghanistan nicht begeistert, der nach dem 11. September 2001 begonnen worden war. Nach der Zustimmung Islamabads wurde auch nicht gefragt. An dieser Stelle muss daran erinnert werden, wie man damals Islamabad um Mithilfe gebeten hatte: Im Fall des Verzichts sollte es durch Bombardements in die Steinzeit zurückversetzt werden. Dies ist jedoch schon lange her.

Auch derzeit ist Pakistan nicht begeistert. Diesmal wurde nach seiner Zustimmung gefragt, aber... Die pakistanische Delegation brachte zur Konferenz in Washington eine Liste mit, was der Staat nach dem Rückzug der US-Truppen brauchen wird und bekommen will. Die Liste war 56 Seiten lang. Es war eine Rechnung über 35 Milliarden US-Dollar an die USA, die Pakistan im Krieg bereits ausgegeben hat.

Dazu gehören die militärischen Operationen gegen die einheimischen Extremisten, die das Hinterland für die afghanischen Taliban bereitstellen. Im Laufe dieser Jahre haben die USA zwar finanzielle Hilfe geleistet, dies waren jedoch zum Teil nur Kredite. Deswegen stellt sich jetzt die Frage nach der Abschreibung dieser Kreditschulden. Zudem wollte Pakistan ein Abkommen über ein friedliches Atomprogramm mit den USA abschließen, welches zuvor Indien mit Washington vereinbart hatte.

Das Thema Indien war in den Verhandlungen deutlich zu erkennen: Islamabad hoffte, dass sich die USA auf seine Seite im Dialog mit Indien stellen werden, auch im Streit um Kaschmir (eine muslimische Provinz, die derzeit zu Indien gehört). Außerdem hoffte Islamabad, dass Washington nicht zulassen wird, dass Indien seinen Einfluss in Afghanistan weiter ausbaut. Es gab auch kleinere Forderungen.

Diesen Forderungen wurde stattgegeben. Dabei geht es um ein auf fünf Jahre angelegtes wirtschaftliches Hilfsprogramm in Höhe von 7,5 Milliarden Dollar, um die Bereitstellung der versprochenen Milliarde Dollar für den Kampf gegen die Aufständischen, 125 Millionen für die Energie, allerdings nicht für die Atomenergie.

Es ist auch klar, dass diese kleine Summe Pakistan (der Staat befindet sich ständig vorm finanziellen Kollaps) keine Garantien geben wird, dass es die Situation in der Region nach dem Rückzug der US-Truppen kontrollieren wird.

Ungelöst bleibt dennoch die Situation um Indien. Neu-Delhi ist wie Pakistan von der amerikanischen Afghanistan-Strategie nicht besonders erbaut. Es handelt sich darum, dass die Macht in Afghanistan zum Teil mit den Erzfeinden Kabuls, den Taliban, geteilt werden soll. Es geht dabei um die gemäßigten Taliban, die bereit sein sollen, sich zu ändern.

Dies ist zwar eine vernünftige Lösung, sie wird jedoch für Neu-Delhi viele Probleme bedeuten, beispielsweise der zunehmende Einfluss Pakistans in der Region. In diesem Fall wird Islamabad ebenfalls vom zunehmenden Einfluss "seiner" Taliban bedroht.

Man darf auch nicht vergessen, von wem die Taliban ins Leben gerufen wurden - von den pakistanischen Militärs und Geheimdiensten. Derzeit ist es gut möglich, dass nicht nur Kabul, sondern auch Islamabad freundliche Beziehungen zu ihrem "Kind" pflegen muss statt es auf seinem Terrain und in Afghanistan zu kontrollieren. Was soll dann Indien machen, das regelmäßig von den Terroristen aus Pakistan angegriffen wird? Beim letzten Terrorangriff im November 2008 in Mumbai waren 188 Menschen ums Leben gekommen.

Indien versucht schon lange der Obama-Regierung zu erklären, dass sie anders vorgehen soll. Man bräuchte eine neue Politik. Indiens Versuche, die Beziehungen zu den USA zu verbessern, scheiterten. Das Weiße Haus hat anscheinend Indiens Worte erhört, dennoch... Die USA wollen nicht und sind zudem nicht in der Lage, den Krieg weiterzuführen sowie Afghanistan und Pakistan zu leiten.

Schließlich war es nicht Obama, sondern George W. Bush und sein Team, die den Krieg begonnen haben. Der Rückzug der USA verschlechtert die Beziehungen zu Pakistan, Indien, China (eine besondere Geschichte) sowie zu vielen anderen Staaten in der Region. Die Tatsache, dass Obama keine andere Wahl hat, wirkt kaum beruhigend.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 30. März 2010; http://de.rian.ru


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