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Blitzvisite in der Dunkelheit

Barack Obama besuchte erstmals als US-Oberkommandierender seine Truppen in Afghanistan

Von Raoul Wilsterer *

Der erste Afghanistan-Besuch von Barack Obama in seiner Zeit als US-Präsident und Oberkommandierender der Army vollzog sich nach streng konspirativen Regeln. Selbst Hamid Karsai, der Statthalter des Besatzungsregimes in Kabul, erfuhr am Sonntag abend (28. März) erst 60 Minuten, bevor ihn Obama aufsuchte, von seinem Überraschungsgast. Insgesamt knappe sechs Stunden dauerte die »Blitzvisite«, die mit der Landung von Air Force One, dem Präsidentenflugzeug, »im Dunkeln« (Reuters) auf dem im Norden der afghanischen Hauptstadt gelegenen US-Luftwaffenstützpunkt begonnen hatte. Dort wurde er von NATO-Kommandeur Stanley McChrystal und US-Botschafter Karl Eikenberry empfangen, bevor er in einen Hubschrauber schließlich zu Karsai gelangte.

Das Treffen mit dem vollständig von den Besatzern abhängigen Paschtunen ergab, daß dieser nunmehr nach Washington reisen soll - der 12. Mai sei hierfür vorgesehen. Karsai habe »zugesagt«, teilte das Weiße Haus mit. Ansonsten erfüllte das Treffen Protokoll- und Propagandazwecke. Die Agenturen verbreiteten im Anschluß, daß Obama von seinem »Kollegen« verlangte, doch eine »entschlossenere Korruptionsbekämpfung auch in den eigenen Reihen« vorzunehmen sowie »mehr Engagement für den zivilen Aufbau« zu zeigen. Diese Punkte bildeten einen Teil seiner »Zielvorgaben für eine Befriedung Afghanistans«, behauptete der Präsident. Allerdings hatte er bereits im vergangenen Jahr verdeutlicht, daß er eindeutig auf die militärische Karte setzt.

Zurück in Bagram machte Obama dieses Ansinnen in einer spektakulären Durchhalterede klar. Vor 2500 US-Soldaten sagte er, bis zur Beendigung des seit acht Jahren andauernden Krieges müßten »noch einige schwierige Tage überstanden« werden. Es werde »auch Rückschläge« geben, doch würden die USA »nicht einfach abziehen«, sie würden letztlich gewinnen. »Wir werden unseren Job erledigen.«

Erst im vergangenen Dezember hatte Obama die Entsendung von 30000 zusätzlichen Soldaten nach Afghanistan angekündigt, um dem Einsatz mit einer »neuen Strategie« zum Erfolg zu verhelfen. Derzeit sind etwa 68000 US-Soldaten in Afghanistan stationiert. Den Kern des zukünftigen Vorgehens bildet der Versuch, unter geballtem Einsatz von Mensch und Material die Aufständischen, vor allem die diversen Taliban-Gruppen, aus den von ihnen beherrschten Provinzen zu vertreiben -ein Unterfangen, das bereits bei Versuch eins in Helmand zu Massenfluchten der Bevölkerung und Ziviltoten geführt hatte. Die nächsten Großoffensiven sollen demnächst in Kandahar und Kundus, das derzeit unter Kommando der deutschen Besatzer steht, folgen. »Ich möchte, daß ihr wißt, egal ob ihr hier in Bagram euren Dienst verrichtet oder auf Patrouille in Helmand seid, eure Dienste sind notwendig und unerläßlich für die Sicherheit Amerikas«, so Obama.

»Zusammen mit unseren Partnern werden wir siegen«, endete die Präsidentenrede auf dem Luftwaffenstützpunkt. Dieser gilt - noch vor Guantánamo, der US-Basis auf Kuba, wo etwa 200 Menschen inhaftiert sind - mit 600 Insassen als das größte Folter- und Gefangenenzentrum Washingtons für »Terrorverdächtige«. Derzeit bauen die CIA und das US-Militär das Lager Bagram aus, um dort eine noch größere Anzahl Personen ohne Prozeß inhaftieren und verhören zu können. Äußerungen des Präsidenten hierzu wurden nicht bekannt.

Kurz nachdem die Air Force One in der Nacht zum Montag wieder abgehoben hatte, wurde der Stützpunkt mit einer Rakete beschossen. Menschen kamen nicht zu Schaden.

* Aus: Junge Welt, 30. März 2010


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