Karsai-Cousin: "Wir wollen die Taliban nicht"
Staatssekretär Schmidt traf engen Verwandten des afghanischen Präsidenten
Von Georg Escher, Nürnberger Nachrichten *
Es war ein ungewöhnliches Gespräch: Verteidigungs-Staatssekretär
Christian Schmidt traf sich im Nürnberger
Restaurant Kandahar mit dessen Betreiber Shir Khan Yahya, einem Cousin
des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Anlass: Yahya hat einen
Appell »Frieden jetzt in Afghanistan« initiiert.
Am Ende bot Christian Schmidt die »bedingungslose Kapitulation« an.
Gastgeber Shir Khan Yahya hatte Schüssel um Schüssel auf den Tisch
geladen. Herrliche afghanische Gerichte, aber einfach nicht zu schaffen.
Der Grund, warum der Fürther CSU-Mann afghanisch dinierte, war freilich
kein kulinarischer, sondern ein politischer. Aus Sorge um sein
Heimatland hatte Yahya Mitte Mai einen Friedensappell für Afghanistan
gestartet, der seither im Internet kursiert und in wenigen Wochen
weltweit 8000 Unterstützer fand.
Die meisten sind Exil-Afghanen, die in alle Welt verstreut leben. Für
Schmidt interessanter freilich war die Liste von bisher 28
Stammesführern aus Helmand und Kandahar, die den Aufruf ebenfalls
unterstützen. In diesen beiden Provinzen finden die härtesten Kämpfe mit
den Taliban statt, vor allem dort dürfte sich Afghanistans Zukunft
entscheiden.
Das Ministerium hat die Liste überprüft. Ergebnis: »Die Unterzeichner
verleihen dem Appell Gewicht«, bestätigt der Staatssekretär.
Etliche Afghanen fanden den Aufruf zu weichgespült. »Denen fehlte der
Pfeffer«, gesteht der Karsai-Cousin, der regelmäßig mit dem Präsidenten
und anderen wichtigen Leuten in Afghanistan telefoniert. »Unser Ziel ist
nicht die sofortige Vertreibung vermeintlicher ,Ungläubiger'«, heißt es
da. »Wir hassen nicht die USA, auch wenn die Politik dieses Landes viel
Anlass dazu gäbe.« In dem Aufruf wird aber auch klar kritisiert, dass es
so lange keine Lösung des Konflikts geben werde, so lange die eigene
Regierung praktisch keinerlei Mitsprache habe, »sondern auswärtige
Kräfte den Kurs bestimmen«.
Unkluges Isaf-Vorgehen
Das derzeitige Vorgehen der internationalen Isaf-Truppen in Afghanistan
hält der 52-jährige Yahya, der in Erlangen Geschichte und Jura studiert
hat, für katastrophal. Besonders verheerend findet er, dass die
Paschtunen, die in dem Land die Mehrheit stellen, systematisch
ausgegrenzt werden. In der Armee, sagt er, seien nur zwei Prozent
Paschtunen vertreten - aus Angst, dass sonst Taliban die Streitkräfte
unterwandern könnten.
Schmidt wollte diese Zahlen »so nicht bestätigen«. Nach
unterschiedlichen Quellen liegt der Paschtunen-Anteil in der
Nationalarmee ANA zwischen 18 und 42 Prozent. In den Einheiten in den
paschtunischen Krisenprovinzen Helmand und Kandahar sind sie aber kaum
vertreten.
Dort wird die Armee von Tadschiken dominiert, über die manche Afghanen
sagen, dass sie die Paschtunen hassen. Oft genug würden tadschikische
Einheiten in den Dörfern willkürlich Paschtunen erschießen. Seit 2001
seien allein in der Provinz Kandahar »2500 führende Persönlichkeiten
getötet worden«, beklagt Yahyas Appell. Die Folge: Ganze Dörfer laufen
nach solchen Tötungsaktionen zu den Taliban über. Gegen die Amerikaner
richtet sich der Verdacht, dass sie diese tödliche Taktik
stillschweigend oder gar aktiv unterstützen.
»Einen Staat ohne die Paschtunen aufzubauen, wird nicht gelingen«, warnt
Yahya (auch er gehört dieser Gruppe an). Dabei ist ihm aber wichtig zu
betonen, dass er und die übrigen Unterstützer keine paschtunische
Alleinherrschaft wollen, sondern ein Miteinander der Volksgruppen. Den
Appell unterschrieben auch Vertreter anderer ethnischer Gruppen.
Yahya ist überzeugt, dass Verhandlungen mit den Taliban unausweichlich
sind. Deren Einfluss in Afghanistan hält er jedoch für grob überschätzt.
»Wir wollen das nicht, das ist wie Mittelalter«, sagt er. Da sei ganz
viel saudisch-wahabitischer Einfluss. Sein Land neige historisch viel
mehr zum Sufismus, einer eher mystisch-friedlichen Form des Islam. Wenn
die Paschtunen besser eingebunden würden, sagt Yahya, »ich schwöre bei
Gott, in weniger als einem Jahr wäre das alles vorbei«.
Auch wenn sein Cousin Präsident ist, macht Yahya gar nicht erst den
Versuch, die üppige Korruption im Land und in der Regierung zu
bestreiten. »Ich habe die Wahl zwischen Korruption und Bürgerkrieg«,
habe Karsai ihm gesagt. Viele korrupte Beamte, auch Minister seien
gedeckt durch diverse Warlords, auch solchen, mit denen die Isaf mehr
oder weniger offen kooperiert.
Auch Yahya stößt ab, dass es in Kabul heute Millionäre gibt, die »in
Saus und Braus leben, während andere gar nichts haben«. Auch das ist ein
Grund, warum die Taliban Zulauf haben. Sie gelten vielen als unangenehm,
aber nicht als korrupt.
Weitere Treffen?
Staatssekretär Schmidt war bei diesem Treffen mehr Zuhörer als
Diskutant. Er fand das Gespräch aber aufschlussreich genug, um zu
überlegen, mit wem sein afghanischer Gastgeber sich vielleicht noch
treffen sollte.
Gerade von den Deutschen erhofft sich Yahya Hilfe. Weniger in Form von
Geld. »Wir brauchen moralische Unterstützung«, sagt er und meint die
moderaten Afghanen in- und außerhalb des Landes. Die Deutschen seien in
Afghanistan hoch angesehen. Der Grund? Yahya zitiert den früheren König.
Der habe sinngemäß gesagt: »Bevor wir die ersten Deutschen zu Gesicht
bekommen haben, haben wir ihre Produkte kennengelernt.« Da habe man
vermutet, wer solche Dinge herstelle, müsse auch ein guter Mensch sein.
* Mit freundlicher Genehmigung durch die Nürnberger Nachrichten.
Erschienen in der Ausgabe vom 21. Juli 2010
DOKUMENTIERT
Peace Now in Afghanistan
Afghanistan is bleeding and we fear it could bleed to death.
We, the initiators of this international appeal, are desperate about the
situation in our home country. We now see it as our duty to alert the
public: If the international forces in Afghanistan do not change course
dramatically, this country will be destroyed to its foundations in the
long run.
Even moderate, non-political Afghans, people who want nothing more than
to protect themselves and provide a livelihood and a peaceful life for
their families, are driven into the arms of the Taliban.
"Operation Moshtarak" in Helmand province was not only launched to fight
terrorism, as is being claimed over and over. Almost at random,
countless regional and local tribal leaders have been killed. It seems
as if the aim is to eradicate all leading figures. This cannot be the
meaning of "democracy", which is said to be installed in Afghanistan.
Largely unnoticed by the world public, similar actions have been
committed in other provinces as well. In Kandahar province, about 2,500
members of the leadership have been killed since 2001, of whom we have
listed 353 by name. All of them terrorists, all of them members of the
Taliban? A society beheaded in this way has little chance of gaining
stability again, even if complete peace were to be achieved.
We, the initiators of this appeal, are Afghans living in Afghanistan,
but also Afghans living in exile, scattered across many countries. We
are not extremists. We do not advocate violence and we condemn all forms
of terrorism. We hold regular jobs and are respected citizens. Our
concern about the events in Afghanistan is so great that we cannot
remain silent any longer. We want to emphasize that we belong to
different ethnic groups. We do not want to advocate the dominance of a
single group. We are all convinced that the future of Afghanistan lies
in a new coexistence of ethnic groups, as it existed in this country in
the past. Our case has the support of highly respected persons in
Afghanistan who could provide valuable contributions to achieving peace
and to rebuilding the country.
We know that we have no power, but we need to raise our voices and call
on the acting powers in the United States as well as in Europe,
Pakistan, Iran, Saudi Arabia and in Afghanistan, to ensure that reason
prevails.
The case of Vietnam shows that national self-determination has been and
will remain the nemesis for any imperial hybris. The international
community will not succeed in Afghanistan if it offends or suppresses
the Afghans' national pride, whether religious or secular.
Vietnam has taught the lesson that an imperial power cannot achieve much
against a people that has nothing much to lose. The nation state of
Afghanistan may be badly designed, but in terms of determination, the
Afghan population is much less at a disadvantage than the imbalance in
material resources would suggest. A condescending attitude would not
only be inappropriate, it would breed resentment. Afghans know that they
have successfully fought at least two superpowers, the British and the
Russians. It is hard to see why it should be different this time.
Our goal is not the immediate expulsion of "infidels". We do not hate
the U.S., even if their policy does fuel such feelings.
We are, however, deeply convinced that a solution to the current
conflict in Afghanistan is only possible on the basis of respect for the
sovereignty, territorial integrity and the right of self-determination
of this country. It cannot be tolerated that the elected government of
the country has virtually no say in elementary decisions, with foreign
powers setting the course. How should Afghans develop respect of their
elected representatives if these people are being discredited and
ridiculed by foreign powers almost every day? How can a government be
expected to succeed in the fight against corruption, if it is being
demonstrated every day that it is not master in its own house?
At the same time, we cannot and will not accept the interference of our
so-called religious brothers from Pakistan, Iran and Saudi Arabia.
For the first time in many years, the relevant groups in Afghanistan
engage in a substantial effort to conduct serious peace negotiations.
This is a great opportunity for Afghanistan, perhaps the only one for
years to come. But how should these talks lead to success if the
negotiating partners are arrested, immediately after meeting with
representatives of the President? In this way, peace talks are being
torpedoed and systematically sabotaged. Who is interested in such
actions and what is the aim of those responsible? In this way, any
effort to stabilize Afghanistan is thwarted.
We do not defend terrorism. But whoever wants to achieve peace will have
to negotiate with the Taliban. This also means that Taliban leaders who
have been imprisoned will at some point have to be released.
After more than three decades of war, Afghanistan has had enough of
bloodshed. Afghanistan needs peace - now!
This international appeal is supported by the following persons:
(List of names to be added)
Please contact: Shir M. Yahya
e-mail: Kandahar@t-online.de
www.kandahar.cc
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