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NATO-Lüge aufgedeckt

Von Knut Mellenthin *

Blutiges Ende einer Feier in Afghanistan: Bewaffnete US-Amerikaner stürmten in dem Ort Khataba in der ostafghanischen Provinz Paktia ein Haus und erschossen fünf Menschen: Zwei schwangere Frauen, Mütter von zusammen 15 Kindern, eine Achtzehnjährige und zwei Regierungsbeamte, die sich unter den Gästen befanden. Das geschah am 12. Februar. Etwa 25 Menschen hatten sich an diesem Abend versammelt, um die Namensgebung eines neugeborenen Jungen zu feiern.

Obwohl zahlreiche Überlebende die Vorgänge in allen Einzelheiten schilderten, verbreitete die NATO zunächst routinemäßig ein von Lügen strotzendes Kommunique. »Mehrere Aufständische verwickelten die gemeinsame – aus US-Amerikanern und Afghanen bestehende – Einsatzgruppe in ein Feuergefecht und wurden getötet«, hieß es damals in einer Presseerklärung der Besatzer. Und weiter: Die Soldaten hätten »eine entsetzliche Entdeckung gemacht«, nämlich zwei »gefesselte, geknebelte und erschossene Frauen«. Die Besatzungstruppen erweckten damit den Eindurck, die schwangeren Bibi Shirin (22) und Bibi Saleha (37) seien schon vor dem Sturmangriff ermordet worden. (siehe jW vom 13. Februar 2010)

Am Wochenende veröffentlichte The Times Ergebnisse akribischer Recherchen zu dem »Zwischenfall« und brachte ihn damit wieder auf die Tagesordnung. Nach Darstellung der britischen Tageszeitung hatten die beiden Männer, darunter ein hochrangiger afghanischer Geheimdienstoffizier, das Haus verlassen, weil sie draußen Geräusche gehört hatten. Sie waren trotz ihres Rufs »Wir arbeiten für die Regierung« sofort erschossen worden. Die drei Frauen seien getötet worden, als die Angreifer auf einen der beiden Männer schossen, der vor der geöffneten Tür stand.

Nach dem Erscheinen des Times-Berichts bestritt eine NATO-Sprecherin am Sonnabend, daß versucht worden sei, den wirklichen Hergang zu vertuschen. Den Leichen der beiden Frauen seien tatsächlich die Fußgelenke zusammengebunden gewesen und ihre Unterkiefer seien mit Stoffstreifen befestigt gewesen. Allerdings seien das bereits Begräbnisvorbereitungen gewesen, die die US-Amerikaner aus »Mangel an Verständnis für lokale Bräuche« jedoch nicht erkannt hätten. Da sich unter den Angreifern auch afghanische Soldaten befanden, ist diese Ausrede allerdings nicht überzeugend.

Welche Einheiten bei dem Massaker vom 12. Februar eingesetzt waren, verschweigt die NATO noch immer. Vermutlich handelte sich um Angehörige von Spezialeinheiten oder des Geheimdienstes CIA.

Indessen demonstrierten die Aufständischen am Sonnabend auf ihre Art, daß mit ihnen weiterhin zu rechnen ist. Bei mehreren Sprengstoffanschlägen in der Provinzhauptstadt Kandahar wurden 35 Menschen getötet. Es soll sich um 22 Zivilisten und 13 Polizisten gehandelt haben. Hauptziel der koordinierten Aktionen war offenbar das Gefängnis der Stadt. Im Juni 2008 waren durch die Explosion eines mit Sprengstoff gefüllten LKW die Mauern des Gebäudes zerstört worden, so daß 900 bis 1000 Gefangene – unter ihnen zahlreiche Aufständische – fliehen konnten. In der Zwischenzeit wurde das Gefängnis jedoch mit Beton gesichert, so daß diesmal keinem Häftling die Flucht gelang. Ein Taliban-Sprecher sagte, die Anschläge vom Sonnabend seien eine Warnung vor der von der NATO angekündigten Offensive in der Provinz Kandahar.

* Aus: junge Welt, 15. März 2010


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