Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kanzlerin fest an Seite Guttenbergs

Neue Bewertung des Luftangriffs unterstützt Zapfenstreich für Schneiderhan und Wichert

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützt die neue Bewertung des Verteidigungsministeriums, wonach der Luftangriff auf zwei Tanklaster in Afghanistan nicht angemessen war.

Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte am Freitag (4. Dez.) in Berlin: »Die Bundeskanzlerin kann die Neubewertung gut nachvollziehen.« Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) habe die Kanzlerin über diese neue Einschätzung unterrichtet, bevor er sie am Donnerstag im Bundestag bekannt gegeben hatte. Im Kanzleramt selbst sei es zu keiner Gesamtbewertung gekommen, hob Wilhelm hervor.

Der Verteidigungsausschuss soll als Untersuchungsausschuss den von einem deutschen Oberst am 4. September in Afghanistan angeordneten Luftangriff auf zwei entführte Tanklastwagen untersuchen. Dabei geht es besonders um die Informationspolitik der Bundesregierung über die Angemessenheit des Luftangriffs und zu zivilen Opfern. Bei dem Angriff waren bis zu 142 Menschen getötet worden, darunter viele Zivilisten.

Guttenberg hatte den Luftangriff nahe dem nordafghanischen Kundus nach seinem Amtsantritt im November zunächst als »militärisch angemessen« bezeichnet, zugleich aber Fehler eingeräumt. Inzwischen wertete der Minister nach eigenen Angaben aber auch einen zunächst geheim gehaltenen Feldjäger-Bericht aus. Dessen Vertuschung hatte in der vergangenen Woche den Rücktritt von Ex-Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) ausgelöst. Im Bundestag bezeichnete Guttenberg den Luftangriff am Donnerstagabend nun als »militärisch nicht angemessen«. Das Parlament hatte danach mit der breiten Mehrheit von 445 Stimmen einer Verlängerung des ISAF-Mandats in Afghanistan zugestimmt. 105 Abgeordnete stimmten dagegen, 43 Parlamentarier enthielten sich.

Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels sieht nach der Neubewertung des Luftangriffs durch Guttenberg weiter Klärungsbedarf. »Das ging jetzt ja doch schnell«, sagte Bartels dem »Kölner Stadt-Anzeiger«. »Man fragt sich allerdings, welche Informationen er hatte, um zu dieser neuen Bewertung zu kommen«, fügte er mit Blick auf Guttenberg hinzu. Auch fehle eine inhaltliche Begründung »für den Rauswurf des höchsten militärischen Beraters und des höchsten zivilen Beamten«, sagte Bartels weiter.

Der SPD-Politiker bezog sich dabei auf Bundeswehr-Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert, die im Zuge des Informationsskandals nach dem Luftangriff zurückgetreten waren. Guttenberg ehrte die beiden am Donnerstagabend in Berlin mit einem Großen Zapfenstreich. Dies ist traditionell die höchste Form der militärischen Ehrerweisung durch deutsche Soldaten. Der Große Zapfenstreich besteht aus einer genau festgelegten Abfolge musikalischer Elemente und militärischer Zeremonien. Kritiker sehen das Zeremoniell als ein »Symbol des Militarismus«.

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, forderte von Guttenberg eine Begründung für die Korrektur seiner Bewertung. Im ZDF sprach er sich zudem dafür aus, dass die Kanzlerin die Angelegenheit zur Chefsache machen solle. Er verwies auch darauf, dass es für die Soldaten vor Ort »zunehmend schwieriger« werde. Hintergrund sind aktuelle Ermittlungen der Justiz in Deutschland wegen des Luftangriffs sowie in früheren Fällen gegen Bundeswehr-Soldaten nach Einsätzen in Afghanistan.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Dezember 2009


Krieg wird ausgeweitet

Von Uli Schwemin **

Der Krieg in Afghanistan wird im kommenden Jahr ausgeweitet werden. Es wird noch mehr Todesopfer unter Zivilisten geben, noch mehr zerstörte Häuser und verbrannte Felder, noch mehr Waisen und verkrüppelte Kinder und noch mehr tote NATO-Soldaten. Das allerdings hat der Generalsekretär des Militärbündnisses, Anders Fogh Rasmussen, am Freitag (4. Dez.) in Brüssel verschwiegen. Er teilte nach einem Treffen mit den Außenministern der an der NATO-Truppe ISAF beteiligten 43 Staaten lediglich mit, daß nach der von den USA angekündigten Truppenverstärkung um 30000 Mann 25 weitere Länder die Entsendung von insgesamt 7000 zusätzlichen Soldaten zugesagt hätten. Das Kabinett in Berlin will über den künftigen Umfang des Bundeswehrkontingents erst 2010 entscheiden.

Unterdessen hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel hinter die angebliche Neubewertung des Massakers von Kundus durch ihren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg gestellt. Bei dem von der Bundeswehr zu verantwortenden Terrorluftschlag waren am 4. September bis zu 159 Zivilisten ums Leben gekommen. Dieses Verbrechen hatte Guttenberg zunächst als »angemessen« bezeichnet. Am Donnerstag korrigierte er im Bundestag, angeblich nach Sichtung für ihn neuer Dokumente, diese Einschätzung in »militärisch nicht angemessen«. Das war's. Erst »angemessen«, jetzt »nicht angemessen«. Keine Folgen, keine Begründung, keine Selbstkritik, gar nichts. Schon gar keine Kritik am verantwortlichen Befehlsgeber, dem inzwischen nach Deutschland zurückbeorderten Oberst Georg Klein. Im Gegenteil, dem versicherte Guttenberg sein »vollstes Verständnis« (für den Mordbefehl!), weil der in »kriegsähnlichen Zuständen« eine »schwierige Entscheidung« für die Sicherheit und das Wohl der ihm anvertrauten Soldaten zu fällen hatte.

Die Bundeskanzlerin teile Guttenbergs Neubewertung, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Freitag in Berlin. Selbstredend teilte sie auch die Arroganz des Freiherrn, dafür keine Begründung zu liefern. Denn sobald man anfinge zu begründen, daß der Luftschlag militärisch nicht angemessen war, käme man notwendig zu der einzig möglichen Schlußfolgerung, daß dieser Bombenangriff dann ein Kriegsverbrechen war. Und dann würde es zumindest in der Öffentlichkeit sehr schwierig werden, dafür weiter »vollstes Verständnis« zu verkünden. Man darf gespannt sein, wie sich der Verteidigungsausschuß des Bundestages, der sich zum Untersuchungsausschuß konstituiert, der Aufgabe einer tatsächlichen Neubewertung stellen oder, was wahrscheinlicher ist, entziehen wird.

Das Kanzleramt jedenfalls wolle auf eine eigene Gesamtbewertung verzichten, da hier »militärischer Sachverstand« gefordert sei. Schon wieder eine Lüge. Politischer Sachverstand würde ausreichen, alle deutschen Truppen sofort ohne Wenn und Aber aus Afghanistan zurückzuholen. Paul Schäfer von der Linksfraktion im Bundestag hat das sehr schön begründet: »Es ist nicht nur der Bombenangriff von Kundus, der militärisch unangemessen war; der ganze Afghanistan-Krieg ist militärisch unangemessen - und schlimmer: politisch fehlgeleitet.« Es bleibe die Frage, »wie die Bundesregierung die militärische Angemessenheit der weiteren Schußwechsel und Bombenangriffe bewertet, durch die - unter mittelbarer oder unmittelbarer Bundeswehrbeteiligung- Jahr für Jahr Hunderte von Zivilisten ums Leben kommen.«

** Aus: junge Welt, 5. Dezember 2009


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage