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Auf Propagandafeldzug

Verteidigungsminister Thomas de Maizière zum zehnten Truppenbesuch in Afghanistan. Besucher würdigt »Rollenwandel« der Bundeswehr. Luftwaffe schielt nach neuer Drohne

Von Uli Schwemin *

Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist ein vielbeschäftigter Mann. Er liebt es zu reden und zu reisen. Nachdem er mit seiner letzten Ansprache vor einigen Tagen auf wenig Gegenliebe in der Öffentlichkeit gestoßen war, hat er sich in der Nacht zum Dienstag ins Flugzeug nach Afghanistan gesetzt. Zum zehnten Mal übrigens in seiner Dienstzeit seit zwei Jahren.

Ende Februar hatte de Maizière in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagzeitung den »übertriebenen Wunsch« der in Afghanistan stationierten Soldaten »nach Wertschätzung« gerügt. Sie seien »vielleicht geradezu süchtig danach«. Später hat der Minister seine Wortwahl öffentlich bedauert. Er stelle immer wieder fest, daß »die hohe Wertschätzung von außen in der Bundeswehr selbst nicht so richtig wahrgenommen wird. Nur darauf wollte ich aufmerksam machen.« Ein Meister also des Wortverdrehens, auch wenn es die eigenen sind.

Diesem Grundsatz ist er am Dienstag in Afghanistan weitgehend treu geblieben. Bei seinem Besuch des sogenannten Observation Point North nahe dem Ort Baghlan erklärte de Maizière, der Stützpunkt sei »das Symbol dafür, daß die Bundeswehr gelernt hat zu kämpfen«. Sie habe hier »schwere Verluste« erlitten, OP North stehe wie kein anderer Ort »für den Rollenwandel der Bundeswehr und auch des Afghanistan-Einsatzes insgesamt«. Welchen »Rollenwandel« er meint, hat de Maizière nicht ausgeführt. Aber es ist ein offenes Geheimnis, daß seit Jahrzehnten angestrebt wurde, die Bundeswehr in eine Armee zu verwandeln, die Tausende Kilometer von zu Haus entfernt Angriffskriege führen kann. Das ist nun geschafft.

Auch betreffs Kundus beließ es der hohe Besucher bei vagen Andeutungen. Es ist dies der Ort, wo der deutsche Oberst Klein am 4. September 2009 den Befehl zum größten Kriegsverbrechen der Bundeswehr in Afghanistan erteilt hatte. Zwei US-Bomber attackierten damals auf Anweisung des Deutschen unbewaffnete Zivilisten, die sich aus liegengebliebenen Tanklastern Benzin abzapfen wollten. Mindestens 139 Menschen starben bei dem Massaker nach dem »Rollenwandel« der Bundeswehr«.

Nun soll angeblich der Rückzug eingeläutet werden. Der Stützpunkt OP North werde noch im Frühjahr aufgegeben, kündigte der Verteidigungsminister an. »Kurz nachdem wir weg sind, fangen die an zu packen«, so der CDU-Politiker hemdsärmelig, wie man im Felde so spricht. »Ich bin zuversichtlich, daß die Afghanen die Sicherheit bis 2014 übernehmen können.« Allerdings gibt es, außer daß nahezu täglich Gefechte und Anschläge mit vielen Todesopfern stattfinden, nichts, was sicher wäre in Afghanistan. Damit das so bleibt, soll der Verteidigungsminister laut Agenturberichten »mit Interesse« den Wunsch der Luftwaffe zur Kenntnis genommen haben, die Bundeswehr mit einer neue Drohne aus israelischer Produktion auszurüsten.

Am ungemütlichsten war für de Maizière am Dienstag das »Tiger«-Thema. Seit Februar können die Kampfhubschrauber dieses Namens »den Bodentruppen Unterstützung aus der Luft geben«, wie es in der Sprache des Krieges heißt, und der Minister wollte sich über die Einzelheiten dazu informieren. Daraus wurde nichts. Denn am Montag abend war ein »Tiger« im oberbayerischen Ettal abgestürzt und ausgebrannt. Die vier Afghanistan-Hubschrauber der Bundeswehr müssen nun am Boden bleiben, bis die Unglücksursache geklärt ist. Tiger können eben nicht fliegen, auch wenn die Propaganda uns das weismachen will.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 6. März 2013


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