Was macht das Kommando Spezialkräfte in Afghanistan?
Nicht nur "sanitätsdienstliche Unterstützung". Eine Analyse von Tobias Pflüger*
1. Die umfangreichsten Kämpfe seit Kriegsbeginn
Es war eine Frage der Zeit, bis die Information bestätigt würde, daß
auch deutsche Elitekampfsoldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) aus
Calw an den Kämpfen der US-Armee in Afghanistan beteiligt sind. Nur der
Zeitpunkt der Bestätigung kam für viele überraschend. Die US-Armee
startete Ende Februar ihre größte Offensive seit dem Kriegsbeginn am 07.
Oktober 2001. (Damit wurden auch all jene Lügen gestraft, die schon in
der Vergangenheitsform vom Afghanistankrieg sprachen.) Im Südosten
Afghanistans an der Grenze zu Pakistan in der Provinz Paktia bei der
Stadt Gardes starteten Truppen der USA ein umfangreiches Bombardement,
dabei seien bisher bis zu 200 "versprengte Taliban- und El
Kaida-Kämpfer" und ca. 7 US-Soldaten getötet worden. Die US-Truppen
testeten dabei ihre neue "Thermobaric"-Bomben. Der offizielle Name ist
"BLU-118/B", sie soll "extrem zielgenau" sein und dringe besonders tief
in Höhlenkomplexe ein. Dort entzündeten sich mit Benzin gefüllte
Sprengköpfe. Diese explodierten mit gewaltigen Feuerbällen. Damit würden
sie den Sauerstoff aus dem Höhlenkomplex förmlich aufsaugen. Wer nicht
durch die Explosion selbst getötet werde, sterbe einen erbärmlichen
Erstickungstod.
2. Geheimer Kampfeinsatz des Kommando Spezialkräfte
Nach Angaben des Pentagon waren an den Bodentruppenkämpfen zwischen ca.
3.000 "sich neu organisierenden Taliban- und El Kaida-Kämpfern"
einerseits und der Terrorallianz andererseits auf US-Seite auch
Spezialtruppen aus Australien, Kanada, Dänemark, Deutschland, Frankreich
und Norwegen beteiligt. Der oberkomman-dierende Heeresgeneral Tommy
Franks wird wie folgt in Erklärungen des Pentagon zitiert: "He said U.S.
forces are joined by a like number of Afghan fighters and about 200
special operations troops from Australia, Canada, Denmark, Germany,
France and Norway". Außerdem bombardierten auch erstmals neben
britischen und us-amerikanischen Flugzeugen französische Flugzeuge.
Der deutschen Bundesregierung war die offizielle Mitteilung aus den USA
nicht recht, der Einsatz der KSK-Soldaten sollte geheim bleiben. Der
Sprecher des "Verteidigungsministeriums" Franz Borkenhagen meinte, es
sei "außerordentlich sinnvoll, derartige Operationen mit entsprechendem
Schutzgrad zu versehen". Er kritisierte die US-Militärs und US-Regierung
offen:
"Der Informationsbeitrag in den Vereinigten Staaten wäre meiner Meinung
nach nicht notwendig gewesen". Es sei falsch, daß der Einsatz "deutscher
Kräfte in diesem Rahmen zum heutigen Zeitpunkt" bekannt gegeben würde.
Was die KSK-Soldaten in Afghanistan genau machen, erfuhr man aus
Norwegen: Dort sagte der norwegische Stabssprecher Dag Aamoth zur
Kriegsoffensive: "Die norwegischen Spezialeinheiten nehmen an
andauernden Kampfhandlungen teil, bei denen Einheiten der Koalition
versuchen, mehrere hundert Mann der El Kaida niederzukämpfen. Es handelt
sich um eine koordinierte Operation von Luft- und Bodentruppen, die
zähen Widerstand zu überwinden haben." Daran sind also auch die
deutschen KSK-Soldaten beteiligt. In einem kargen Nebensatz bestätigte
dies auch Rudolf Scharping: "In laufenden Operationen werden
Spezialkräfte eingesetzt".
3. Nebelbomben für und gegen die Presse
Nebenbei wurden für die Presse noch Nebenbomben geworfen: Rudolf
Scharping: "Wir haben sanitätsdienstliche Unterstützung geleistet, damit
Soldaten von (dem Militärflughafen) Bagram nach Kabul kommen konnten".
Also ein weiterer Einsatz, der von den konkreten Kampfteilnahmen der
KSK-Soldaten mal wieder ablenken sollten.
Ausführlich beschäftigte sich der Minister mit angeblichen oder
tatsächlichen Drohanrufen bei Familien von KSK-Soldaten. Er bezeichnete
Anfragen von Journalisten als "widerliches Verhalten", die wohl versucht
hatten, an Informationen über die KSK-Einsätze zu gelangen. Einige
Familien von KSK-Soldaten hätten mit neuen Identitäten ausgestattet
werden müssen. Zuvor hatte das "Verteidigungsministerium" über
befreundete Medien wie die "Welt am Sonntag" eine Story von einer
"Hysteriewelle" in Calw gegen Angehörige von KSK-Soldaten lancieren
lassen.
Die politisch-militärische Führung produziert allerdings mit ihrer
Geheimniskrämerei über die Einsätze des Kommando Spezialkräfte geradezu
solche "Zustände", wie sie die Welt am Sonntag beschreibt.
(Als jemand, der derzeit ebenfalls täglich mehrere Anrufe von
Journalisten in Sachen KSK bekommt, kann ich dazu nur folgendes sagen:
Unser Interesse ist die politische Bewertung und Kritik an der Existenz
und den konkreten Aktionen der Elitekampftruppe KSK. Für einen Teil der
Journalisten steht wohl die Sensation des Geheimen im Vordergrund. Diese
Journalisten wollen vor allem Kontakt zu (auch ehemaligen) KSK-Soldaten
oder deren Angehörigen. Zwar liegen hierzu auch bei uns einige
Informationen vor, wir haben jedoch kein Interesse, diese weiterzugeben.
Für alle Journalisten, insbesondere diejenigen, die auch über die
politische Kritik am KSK berichten wollen, stehen wir weiterhin
selbstverständlich für Informationen, Berichterstattung aber auch
Hintergrundgespräche zur Verfügung.)
4. Informationspolitik der Bundesregierung oder wachen die schlafenden
Parlamentarier auf?
Parteivertreter von CSU bis PDS haben sich über die Informationspolitik
der Bundesregierung in Sachen Bundeswehreinsätze und Einsätze des
Kommando Spezialkräfte beklagt. Es hieß, der KSK-Einsatz sei nicht vom
erteilten Mandat des Bundestages gedeckt. Den aufwachenden (?)
Parteivertretern sei noch einmal die Lektüre des Bundestagsbeschlusses
vom 16.11.2001 empfohlen. Darin wurde u.a. der Einsatz "ca. 100
Spezialkräften" freigegeben.
In unserer damaligen Analyse des Beschlusses (vgl.
http://www.imi-online.de/2001.php3?id=258 ) haben wir darauf
hingewiesen, daß der Bundestag der Bundesregierung für mindestens ein
Jahr für den Einsatz von 3.900 konkret benannten Bundeswehr-Soldaten
freie Hand gegeben hatte. Aktionen der Bundeswehr auf einem Drittel des
Globus ("Einsatzgebiet ist das Gebiet gemäß Art. 6 des
Nordatlantikvertrags, die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien
und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete") in allen
Optionen von sogenannter humanitärer Hilfe bis hin zum reinen
Kampfeinsatz wurde zugestimmt.
Die ergänzende unverbindliche Protokollerklärung, die insbesondere zur
Beruhigung von bündnisgrünen und linkssozialdemokratischen
Gewissensbissen mit verabschiedet wurde, war schon damals
politischer-militärischer Unsinn: Die Protokollerklärung umfasste einige
Lügen: Die Aussage: "Dabei umfasst die Aufgabe der Spezialkräfte
polizeilich-militärische Aufgaben wie z.B. Geißelbefreiung, Verhaftungen
etc." ist für Kenner des KSK sichtlich falsch, da es keine
militärischeren Einsätze als die des KSK gibt. Auch die Aussage, daß der
Einsatz deutscher Soldaten unter deutschem Kommando stattfände, war eine
kalkulierte Lüge: Sowohl die deutsche Marine am Horn von Afrika als auch
das KSK kämpfen derzeit unter us-amerikanischem Kommando.
Leider haben viele Parlamentarier aufgrund der Koppelung mit der
Vertrauensfrage nicht begriffen oder begreifen wollen, über welch
umfassende "Kriegsermächtigung" sie abgestimmt haben. Leider sind die
KSK-Einsätze in Afghanistan vom Bundestagsmandat gedeckt. Voraussetzung
ist allerdings, daß es tatsächlich 92 und nicht 200 sind, wie die
Plaudertasche Helmut Wieczorek (Vorsitzender des
Verteidigungsausschusses) behauptet.
Mit dem Einsatz des KSK ist seit dem 07.11.2001 zu rechnen gewesen.
("Zumindest die KSK- und DSO-Truppen werden sich ziemlich sicher direkt
am Krieg beteiligen", heißt es in unserer damaligen Analyse.) Seit
November beteiligen sich die KSK-Truppen zuerst durch Übungen in Oman
und im Iran und dann kämpfend in Afghanistan am Terrorkrieg.
5. Illegale Aktionen des Kommando Spezialkräfte
Die US-Truppen agieren bei ihrem Terrorkrieg in Afghanistan ja so, daß
sie nur "wenn notwendig" Gefangene machen. Die Zahl der getöteten
Zivilisten übersteigt nach Angaben von Marc Herold
(Universitätsprofessor in New Hampshire) inzwischen sicher die 3.000er
Grenze. Über die getöteten örtlichen Kämpfer werden wir wohl entweder
nie oder sehr spät (vgl. Golfkrieg 2) etwas erfahren. Die Gefangenen die
die US-Truppen doch machen, werden nicht - wie im Völkerrecht und
Kriegsvolkerrecht festgeschrieben - als Kriegsgefangene behandelt,
sondern als sogenannte "unrechtsmäßige Kämpfer" festgehalten und zum
Teil nach Guantanamo auf Kuba gebracht. Sollten die KSK-Truppen den
ihnen zugeschriebenen Auftrag ernst nehmen (gegen El-Kaida- und
Taliban-Kämpfer Krieg zu führen und diese "wenn nicht anders möglich",
gefangenen zu nehmen), handeln sie bei Übergabe von Gefangenen an die
US-Truppen offen rechtswidrig. Wollten sie nach dem Kriegsvölkerrecht
handeln, müßten die KSK-Soldaten ihre Einsätze sofort beenden. So bleibt
abschließend nur festzustellen: die KSK-Soldaten führen Krieg in
Afghanistan mit vollem Mandat des Bundestages und der Bundesregierung
und mit einem illegalen, völkerrechtswidrigen Auftrag: Deutsche
Militärpolitik 2002
* Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler, Vorstand der
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. und Mitglied im Bundesausschuss Friedensratschlag
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