Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Chronik Afghanistan

Januar 2005

Samstag, 1. Januar, bis Sonntag, 9. Januar
  • In Afghanistan ist der mutmaßliche Drahtzieher eines Anschlags auf eine für Präsident Hamid Karsai tätige Sicherheitsfirma festgenommen worden. Der Mann habe die Vorbereitung des Anschlags vom 29. August, der zehn Menschen das Leben kostete, gestanden, berichtete das afghanische Staatsfernsehen am 1. Januar. Den Auftrag dafür habe der aus Tadschikistan stammende Mohamed Haidar von einem Al-Kaida-Mitglied in Pakistan erhalten. Der Pakistaner habe Haidar 7.000 Dollar gegeben, um ein Auto und Sprengstoff zu kaufen. Ein Sprecher des afghanischen Geheimdiensts bestätigte den Bericht. Der Autobombenanschlag vom 29. August zerstörte das Büro von Dyncorp, einer privaten US-Sicherheitsfirma, die die Leibwächter für Präsident Karsai stellt. Dyncorp hilft zudem bei der Ausbildung der afghanischen Polizei.
  • Bei einem Sprengunfall im afghanischen Kundus sind zwei Bundeswehrsoldaten verletzt worden. Bei der Vernichtung von Munition habe es eine Explosion gegeben, teilte die Bundeswehr am 1. Januar mit. Die Verletzungen seien nicht lebensbedrohlich. Die Soldaten seien nach Deutschland gebracht worden. Zu den Aufgaben der seit einem Jahr im nordafghanischen Kundus stationierten Bundeswehrsoldaten gehört auch das Einsammeln und Vernichten von Waffen und Munition. Der Vorfall ereognete sich bereits am 30. Dezember 2004.
  • Bei einem Feuergefecht zwischen amerikanischen Truppen und Rebellen in Afghanistan sind am 2. Januar ein US-Soldat und ein Afghane ums Leben gekommen. Die Truppen seien bei der Durchsuchung eines Geländes in der Nähe des Flugplatzes Shindand in der westafghanischen Provinz von gegnerischen Kräften angegriffen worden, teilten die US-Streitkräfte in Kabul mit.
  • Bei einem Angriff auf eine US-Militärpatrouille im Osten Afghanistans ist am 3. Jan. ein US-Soldat getötet worden. Drei weitere US-Soldaten seien verletzt worden, als ihre Patrouille in der Provinz Kunar in einen Hinterhalt geriet, teilte ein US-Armeesprecher mit. In der Nähe der Provinzhauptstadt Asadabad sei beim Vorbeifahren der Soldaten eine Bombe explodiert. Anschließend sei auf die Soldaten geschossen worden.
  • Pakistanische und afghanische Soldaten haben sich am 3. Jan. an der gemeinsamen Landesgrenze Schusswechsel geliefert. Afghanische Artillerie habe ein Gebiet in der Region Nord-Wasiristan unter Feuer genommen, gab General Shaukat Sultan bekannt. Seine Soldaten hätten das Feuer erwidert, um deutlich zu machen, dass Pakistan einen derartigen Übergriff "nicht toleriert". Der afghanische Angriff sei "in keiner Weise provoziert" worden. Auf pakistanischer Seite sei niemand verletzt worden, über mögliche Opfer auf der Gegenseite lägen ihm keine Angaben vor, sagte Sultan. Laut Einheimischen könnten aber Dutzende Afghanen getötet oder verletzt worden sein. Bislang ist unklar, von wo genau die Geschosse abgefeuert wurden. Nach Angaben lokaler pakistanischer Vertreter stecken möglichwerweise ehemalige Milizionäre der afghanischen Nordallianz im Dienste der Armee hinter der Attacke. Die Allianz spielte beim Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001 eine wichtige Rolle. Einen Tag zuvor waren bei einem Mörserangriff auf pakistanisches Gebiet ein pakistanischer Soldat getötet und drei weitere Soldaten verletzt worden. Die Regierung in Islamabad forderte daraufhin die internationalen Koalitionstruppen in Afghanistan auf, den Zwischenfall zu untersuchen. Die unwegsame Region an der mehr als 2000 Kilometer langen pakistanisch-afghanischen Grenze gilt als Rückzugsort für Taliban- und El-Kaida-Kämpfer. Teile der Grenzlinie zwischen Afghanistan und Pakistan sind seit mehr als hundert Jahren umstritten.
  • Der Chef des Terrornetzwerkes Al-Qaida, Osama Bin Laden, unterhält nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes (BKA) weiterhin seine Operationsbasis im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Zwar seien die Al-Qaida-Strukturen in ihrer ursprünglichen Form seit der US-Intervention in Afghanistan zerschlagen, sagte am 4. Jan. eine Staatsschutzbeamtin aus dem BKA im Terrorprozess vor dem Hamburger Oberlandesgericht. Das Netzwerk existiere jedoch weiter in eher regionalen Strukturen, die neue Anschläge planten. Außerdem hätten sich Aktivisten der ehemals unteren Ebene zu einer neuen mittleren Führungsschicht zusammengeschlossen. Zu ihnen gehöre beispielsweise der im März 2003 verhaftete Al-Qaida-Führer Khalid Scheich Mohammed, sagte die Zeugin im Hamburger Prozess gegen den Marokkaner Mounir El Motassadeq.
  • Der Kommandeur der Reservetruppen der US-Armee hat vor einer dramatischen Überbelastung seiner Einheiten durch die Einsätze im Irak und in Afghanistan gewarnt. Die Reserve verwandele sich zusehends in eine "gebrochene Streitmacht", betonte Generalleutnant James Helmly in einem am 5. Jan. in Washington bekannt gewordenen Memorandum. Bei den derzeitigen Mobilisierungsverfahren bestehe die ernste Gefahr, dass die 200.000 Soldaten starken Reservetruppen nicht mehr in der Lage sein könnten, ihre Aufgaben zu erfüllen.
  • Der Hamburger Innensenator Udo Nagel plant ab Mai die Abschiebung von rund 500 afghanischen Flüchtlingen, sofern es die Lage in dem Land zulässt. Insgesamt seien 2.000 Afghanen ausreisepflichtig, sagte ein Sprecher der Innenbehörde am 6. Jan. und bestätigte damit einen Bericht der "Bild"-Zeitung. Der Hamburger Innensenator sei zu der Abschiebung fest entschlossen. Bei der ersten Gruppe handelt es sich demnach um 500 allein stehende Männer zwischen 18 und 60 Jahren, deren Asylanträge abgelehnt wurden. Der von der Innenministerkonferenz (IMK) beschlossene Abschiebestopp läuft Ende April aus. Nach Informationen der "Bild"-Zeitung strebt Hamburg die Abschiebungen auch dann an, wenn die Verhandlungen mit der afghanischen Regierung über die Rückführung der Flüchtlinge zum 1. Mai noch nicht abgeschlossen sind. Das Blatt berief sich dabei auf die nicht-öffentlichen Teile des IMK-Beschlusses, die der Sprecher nicht kommentieren wollte. In Hamburg leben rund 15.000 Afghanen, davon 10.000 mit einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung. Nach Angaben der Innenbehörde handelt es sich bei einem großen Teil der 500 Männer um Flüchtlinge, die erst nach Kriegsende in Afghanistan nach Deutschland kamen. Nagel geht nach den demokratischen Wahlen in dem Land von einer Normalisierung der Lage aus. (AP)
  • Das Verteidigungsministerium befürchtet nach einem "Spiegel"-Bericht größere Gefahren denn je für die deutschen Soldaten in Afghanistan. Hintergrund seien der angekündigte verschärfte Kampf von Amerikanern und Briten gegen den Drogenanbau und eine Warnung des Bundesnachrichtendienstes vor Gegenwehr der Drogenbarone, berichtete das Hamburger Magazin am 8. Jan. vorab. Wenn die Einnahmequellen der Warlords zu versiegen drohten, berge das vermehrte Risiken für die deutschen Camps in Kundus und Faisabad.
  • In einen tödlichen Anschlag auf eine US-Sicherheitsfirma in Afghanistan ist offenbar ein Richter verwickelt gewesen. Der Mann, der als Bezirksrichter angestellt war, sei vor zwei Wochen festgenommen worden, berichtete ein Justizbeamter am 8. Jan. der AP. Bei der Explosion am 29. August vor dem Büro der Firma Dyncorp waren zehn Menschen, darunter drei Amerikaner, getötet worden. Die Firma bildet einheimische Sicherheitskräfte aus und stellte Leibwächter für Präsident Hamid Karsai. Zu der Festnahme führten die Aussagen der mutmaßlichen Täter. Sie gaben im Verhör an, sie hätten sich im Haus des Richters in Kabul getroffen und den Anschlag dort geplant. Dem Richter wird nun vorgeworfen, die Terroristen beherbergt und die Polizei nicht über ihre Pläne informiert zu haben.
Montag, 10. Januar, bis Sonntag, 16. Januar
  • Ungeachtet der neuen Oppositionshaltung lehnt die Bundesregierung einen Einsatz der Bundeswehr zur Drogenbekämpfung in Afghanistan weiterhin strikt ab. "Eine Beteiligung deutscher Soldaten zur Drogenbekämpfung ist ausdrücklich nicht vorgesehen", stellte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg am 10. Jan. in Berlin klar. Er reagierte damit auf Äußerungen in Unions-Kreisen, wonach dieses Tabu "nicht mehr durchzuhalten" sei. Der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Christian Schmidt, sagte, es wäre "eine Katastrophe für unsere Sicherheit, wenn Afghanistan statt einer Brutstätte des Terrors nun die Heroinfabrik der Welt wird". Die Bundesregierung müsse klären, welche Konsequenzen für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu ziehen seien. Das Bundeswehrmandat für Afghanistan beinhaltet nicht den Kampf gegen den Drogenanbau, der vorrangig Aufgabe der amerikanischen und britischen Truppe ist. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer sagte, bislang lägen keine Vorschläge vor, die eine qualitative Änderung des Mandats bedeuten würden. Insofern gebe es keine Probleme innerhalb der Koalition. Es gehe lediglich darum, die Eigensicherung der Truppe zu verstärken.
  • Das Bundesverteidigungsministerium will nach einem Zeitungsbericht Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) nach Nord-Afghanistan entsenden, um die Wiederaufbauteams vor Auseinandersetzungen mit Drogenbaronen zu schützen. Anlass sei die Ankündigung der USA und Großbritanniens, in Afghanistan den Drogenanbau stärker zu bekämpfen, berichtet der "Kölner Stadt-Anzeiger" am 12. Jan. Es sei an die Entsendung von 20 bis 30 Elite-Soldaten gedacht. Die Bundeswehr-Soldaten sollen demnach vor allem im Bereich der Aufklärung tätig sein. Die Vorbereitungen liefen bereits, berichtete das Blatt unter Berufung auf Mitglieder des Verteidigungsausschusses im Bundestag. Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei sagte AFP, wenn eine Absicherung der Wiederaufbauteams (PRTs) notwendig sei, dann hielte er einen KSK-Einsatz für sinnvoll. Es gebe bisher Hinweise, dass sich wegen der verstärkten Drogen-Zerstörungsaktionen die Sicherheitslage verändert haben könnte. Dies gelte für den gesamten Nordosten Afghanistans.
  • Die NATO will im kommenden Monat grünes Licht für "Regionale Wiederaufbauteams" (PRT) auch im Westen Afghanistans geben. Die Allianz, die das Kommando über die Internationale Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) führt, werde damit beim Treffen der Verteidigungsminister am 10. Februar in Nizza das Startsignal für die Ausweitung ihres Einsatzes geben, hieß es am 12. Jan. aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel. Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer habe von den Alliierten Ressourcen für vier neue PRT zugesagt bekommen. Diese sollten in Herat, Farah, Tschagtscharan und Kal-I-Naw entstehen. Herat werde voraussichtlich die anderen neuen Teams logistisch unterstützen.
  • Zur Bekämpfung des breit angelegten Drogenhandels in Afghanistan erwägt die Regierung in Kabul eine Amnestie für die Straftäter. Eine solcher Schritt müsse mit aller gebotenen Vorsicht unternommen werden, sagte Präsident Hamid Karsai am 12. Jan. in der afghanischen Hauptstadt. Es müsse gewährleistet sein, dass die Drogenhändler im Zuge einer Amnestie ihre kriminellen Machenschaften auch beenden.
  • Die Friedensbewegung reagierte auf die Meldungen aus dem Verteidigungsministerium, KSK-Kämpfer nach Afghanistan schickenb zu wollen, mit einer Protesterklärung. Darin heißt es u.a.: "Die Absicht des Verteidigungsministers Dr. Peter Struck, 50 KSK-Elitekampfsoldaten nach Afghanistan zu entsenden, entbehrt jeder militärischen Logik, widerspricht den Anforderungen eines zivilen Aufbaus im Land, stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Beschlusslage des Deutschen Bundestags dar und ist geeignet, Deutschland noch tiefer in das afganische Schlamassel hineinzuziehen." (Siehe: KSK-Kämpfer der Bundeswehr wieder nach Afghanistan?)
  • Die radikalislamischen Taliban haben in der südafghanischen Provinz Helmand sechs afghanische Soldaten überfallen und getötet. Ein Sprecher der Provinzregierung sagte am 13. Jan., rund 20 Rebellen hätten das Fahrzeug der Soldaten gestoppt, die Männer gefangen genommen und anschließend erschossen.
  • Deutschland wird in Afghanistan auf längere Zeit mit seinem starken Bundeswehrkontingent "in bisheriger Größenordnung" präsent bleiben. Doch sei an eine Erweiterung des Mandats weder im Umfang noch etwa zur Drogenbekämpfung gedacht, hieß es laut ddp am 14. Jan. aus Regierungskreisen in Berlin. Berichte über einen möglichen Einsatz von Spezialkräften wie der KSK wurden dementiert: "Es gibt keinerlei derartige Absicht", hieß es. Zudem werde es keine Vermengung des ISAF-Friedensmandates mit dem Anti-Terror-Einsatz "Enduring Freedom" geben.
  • Pakistanische Soldaten haben in der Nähe der afghanischen Grenze mindestens 15 Verdächtige festgenommen. Der Einsatz sei nach dem Hinweis auf einen verdächtigen Ausländer in dem Gebiet erfolgt, teilte die Presseabteilung der pakistanischen Streitkräfte am 15. Jan. mit. Geheimdienstbeamte sprachen sogar von 17 Festnahmen. Die Soldaten hätten die Verdächtigen nach einem zweistündigen Gefecht im Dorf Alwari Mandi gefasst, sagte ein Geheimdienstbeamter in der rund 90 Kilometer entfernten Stadt Miran Shah. Die pakistanische Regierung vermutet in den weitgehend autonomen Stammesgebieten entlang der Grenze zu Afghanistan Sympathisanten und Kämpfer des Terrornetzwerks Al Kaida. Der Gouverneur der Nordwest-Provinz sagte, er habe Videofilme, die zeigten, dass sich auf dem Gebiet des Mehsud-Stammes Ausbildungslager für Terroristen befänden.
  • Seit dem Sturz der radikalislamischen Taliban in Afghanistan vor gut drei Jahren durch die USA und deren afghanische Verbündete sind nach UN-Angaben etwa drei Millionen Flüchtlinge ins Land zurückgekehrt. Für dieses Jahr werde mit der Rückkehr von weiteren 400.000 Flüchtlingen gerechnet, sagte UN-Flüchtlingskommissar Ruud Lubbers am 15. Jan. in einem Interview der Nachrichtenagentur AP. Er sprach sich dafür aus, reuigen ehemaligen Taliban-Anhängern, die nicht zum früheren Führungszirkel gehörten, die Heimkehr zu erleichtern.
    Lubbers erklärte, von den Millionen von Rückkehrern sei nur ein Bruchteil in die Provinzen Sabul und Paktika nahe der pakistanischen Grenze heimgekehrt, in denen es immer noch Kämpfe mit der Taliban gebe. Die Sicherheitslage dort habe sich aber verbessert, zum einen auf Grund der US-Militäroperationen, zum anderen wegen der Schließung von Flüchtlingslagern, die den Militanten als Basis gedient hätten. Sollten die USA ihre Operationen in dem Gebiet etwas zurückfahren, könnte das den einen oder anderen einfachen Anhänger der früheren Taliban-Regierung möglicherweise zu einer Rückkehr bewegen.
    Die meisten zurückgekehrten Flüchtlinge, rund eine Million, haben sich in boomenden Städten wie Kabul niedergelassen, in denen mittlerweile Wohnungsknappheit herrscht und sich Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ausbreiten. So lange die UN nur Nothilfe leisten und es keine Anzeichen einer längerfristigen Wohnungsbaupolitik der Regierung gibt, gibt es auch kaum Hoffnung auf Besserung für die gestrandeten Flüchtlinge. (AP)
  • 80 afghanische Häftlinge sind am 16. Jan. vom US-Luftwaffenstützpunkt Bagram nahe Kabul freigelassen worden. Sie wurden nach Regierungsangaben den Behörden übergeben. Mehrere der Gefangenen, die vor dem Obersten Gericht in Kabul zusammengekommen waren, bestätigten die Angaben. Die Freilassung könnte Teil einer breiter angelegten Amnestie der afghanischen Regierung sein. Dabei sollen rangniedere Taliban-Kämpfer freigelassen werden, wenn sie im Gegenzug ihre Waffen niederlegen. Zuvor hatte das afghanische Oberste Gericht mitgeteilt, die Gefangenen seien aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo freigekommen. Der Generalstabschef der US-Armee in Afghanistan, David Lamm, hatte jüngst der Nachrichtenagentur AFP gesagt, dass einige afghanische Gefangene anlässlich des moslemischen Opferfests Aid el Kebir am 21. Januar freigelassen werden sollten.
Montag, 17. Januar, bis Sonntag, 23. Januar
  • Ein US-Bezirksrichter hat die Klage von acht mutmaßlichen Taliban- und El-Kaida-Mitgliedern gegen ihre Inhaftierung in Guantanamo auf Kuba abgewiesen. Richter Richard Leon stellte in seiner am 19. Jan. in Washington veröffentlichten Entscheidung fest, dass der Kongress Präsident George W. Bush ermächtigt habe, feindliche Kämpfer für die Dauer des Kriegs gegen Terror zu inhaftieren. Außerhalb der Vereinigten Staaten gefangen genommene ausländische Bürger könnten sich nicht auf die in der US-Verfassung verankerten Grundrechte berufen, erklärte Leon.
    Das Oberste Gericht der USA hatte im vergangenen Juni den Guantanamo-Häftlingen das Recht zugestanden, gegen ihre Inhaftierung zu klagen. Leon entschied nun, dass die Häftlinge keinen stichhaltigen Grund dafür vorgebracht hätten, dass sie in Verletzung amerikanischer Bundesgesetze auf dem US-Stützpunkt auf Kuba festgehalten würden. "In abschließender Analyse bitten die Antragsteller dieses Gericht um etwas, was noch kein Bundesgericht vor ihm getan hat: Die Rechtmäßigkeit der Gefangennahme und Inhaftierung nicht in den USA lebender Ausländer außerhalb der Vereinigten Staaten in einer Zeit des bewaffneten Konflikts zu prüfen", schrieb Leon. Die Klage war von sieben Guantanamo-Häftlingen eingereicht worden. Ein anderer Richter desselben Bezirksgerichts prüft zurzeit ähnliche Klagen anderer Guantanamo-Häftlinge.
  • Der afghanische Kriegsherr Abdul Raschid Dostum ist nur knapp einem Selbstmordanschlag entgangen. Drei Menschen seien nach unbestätigten Angaben bei dem Anschlag nach dem Gebet zum islamischen Opferfest vor einer Moschee gestorben. Das berichtet die afghanische Nachrichtenagentur AIP am 20. Jan. Ersten Angaben zufolge wurden 22 Menschen verletzt, darunter auch der Bruder Dostums. Der Usbeken-General Dostum gehört zu den umstrittensten Kriegsherren des Landes. Ihm werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.
  • Afghanistan will entschlossen gegen die heimische Drogenindustrie vorgehen, warnt dabei aber vor übereilten Schritten. "Den Bauern die Lebensgrundlage zu entziehen, könnte in einigen Teilen Afghanistans gefährlich sein, vor allem jetzt, wo Wahlen anstehen", sagte der eigens für den Kampf gegen die Drogenindustrie eingesetzte Minister Habibullah Kaderi bei einem Besuch der NATO am 20. Jan. in Brüssel. Kaderi appellierte an die internationale Gemeinschaft, bei der Suche nach alternativen Einnahmequellen für die Bauern zu helfen. Afghanistan brauche zudem Unterstützung beim Aufbau von Bewässerungssystemen und der Instandsetzung der im Krieg zerstörten Infrastruktur. Der Kampf gegen die Drogenindustrie brauche Zeit. Überstürztes Handeln könnte Unruhen zur Folge haben und die Stabilisierung des Landes gefährden. Zugleich warnte Kaderi davor, Opiumpflanzen mit dem Einsatz von Chemikalien aus der Luft zu zerstören. Dadurch könnten das Grundwasser sowie andere Pflanzen in Mitleidenschaft gezogen werden.
    Nach Schätzungen der Vereinten Nationen kamen im vergangenen Jahr 87 Prozent der weltweiten Produktion von Opium, dem Grundstoff für die Herstellung von Heroin, aus Afghanistan. In einem UN-Bericht vom November wurde der Opiumanbau als "Hauptmotor des Wirtschaftswachstums" in Afghanistan bezeichnet, der 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmache. Die afghanische Drogenindustrie setzt jährlich rund 2,8 Milliarden Dollar um. Bei den Bauern kommen laut Kaderi aber nur rund 600 Millionen Dollar an.
    Präsident Hamid Karsai hatte den Ministerposten für den Kampf gegen Drogen kurz nach seiner Amtseinführung geschaffen.
  • Der flüchtige Talibanführer Mullah Mohammed Omar hat in einer ihm zugeschriebenen Botschaft zur Fortsetzung des Widerstands gegen Regierung und US-geführte Truppen in Afghanistan aufgerufen. Seine Bewegung glaube immer noch an den "heiligen Krieg", hieß in der Erklärung, die von der in Pakistan ansässigen afghanischen Nachrichtenagentur AIP am 20. Jan. verbreitet wurde. Mullah Omar schloss zugleich Gespräche über eine Amnestie für Taliban-Kämpfer aus. Die Taliban seien dazu nicht bereit, "so lange auch nur ein Soldat des Aggressors auf heiligem afghanischen Boden bleibt", hieß es in der Botschaft, deren Echtheit zunächst nicht bestätigt werden konnte.
  • Die Armut in Afghanistan ist nach Ansicht des NATO-Botschafters in Kabul, Hikmet Cetin, das größte Hindernis für Stabilität im Lande. Daran gemessen sei die von El-Kaida- und Taliban-Anhängern ausgehende Gefahr weniger bedeutend, sagte Cetin am 20. Jan. in Brüssel am Rande eines NATO-Seminars zur Bekämpfung des Drogenanbaus in Afghanistan. Die Sicherheitslage im Land wird nach Angaben des früheren türkischen Außenministers dagegen besser. Der unter NATO-Leitung stehende Einsatz der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (ISAF) werde in den kommenden Monaten nach Westen und im ersten Halbjahr 2006 nach Süden ausgeweitet.
  • In der Bundesregierung gibt es Zweifel, ob die Parlamentswahlen in Afghanistan wie geplant am 21. Mai stattfinden werden. "Es gibt Hinweise, dass Präsident Hamid Karsai überlegt, die Wahlen auf den Herbst zu verschieben", sagte Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) am 21. Jan. in Berlin. Er verwies darauf, dass der Zeitplan insgesamt sehr knapp sei, weil in dem asiatischen Land auch noch Kommunal- und Regionalwahlen organisiert werden müssten. Sollten die Parlamentswahlen erst im Herbst stattfinden, würde dies laut Struck bedeuten, dass bis dahin auch die internationale Truppenpräsenz in Afghanistan auf dem jetzigen Niveau beibehalten werden müsse. Eine Aufstockung schloss der Minister jedoch zumindest für das deutsche Kontingent aus.
  • NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer erhofft sich beim Besuch von US-Präsident George W. Bush im Brüsseler Hauptquartier der Allianz eine offene Aussprache. Es solle "eine echte Diskussion" geben, sagte de Hoop Scheffer am 21. Jan. in Brüssel. Angesichts der aktuellen Themen im Bündnis sei die Tagesordnung für das Treffen der Staats- und Regierungschefs am 22. Februar allerdings praktisch schon klar. Dabei nannte er den von der NATO befehligten Einsatz der ISAF-Friedenstruppe in Afghanistan, das Ausbildungsengagement der Allianz im Irak, den Einsatz der KFOR-Truppen im Kosovo sowie die Entwicklung im Nahen- und Mittleren Osten.
  • Bei einem Bombenanschlag in der afghanischen Provinz Urusgan sind am 22. Jan. vier Menschen getötet worden. Unter den Opfern war auch der Polizeichef des Bezirks Char Cheno. Mit ihm wurden sein Vater, sein Bruder und ein Polizist getötet, wie Gouverneur Jan Mohammed Chan mitteilte. Er machte die Taliban für den Anschlag verantwortlich. Urusgan gilt als Hochburg der Fundamentalisten. im vergangenen Jahr wurden der Bürgermeister von Char Cheno und sein Stellvertreter getötet.
  • Die für spätestens Mai geplanten Parlaments- und Kommunalwahlen in Afghanistan werden voraussichtlich verschoben. Die bis zum 23. Jan. fällige Strukturierung der Wahlbezirke sei bislang noch nicht erfolgt, teilte ein Sprecher des afghanischen Innenministeriums am 23. Jan. in Kabul mit. Damit können die bislang zwischen dem 21. April und 21. Mai vorgesehenen Wahlen nicht mehr planmäßig stattfinden, da die Wahlkreise mindestens 120 Tage vor dem Urnengang festgelegt sein müssen. Der Ministeriumssprecher wollte keine Angaben dazu machen, wann die Prozedur abgeschlossen sein wird. Es sei nicht klar, ob die Wahlen "um einen Tag oder eine Woche" verzögert würden. Die Regierung lege aber Wert auf einen "glaubwürdigen" Wahlgang.
Montag, 24. Januar, bis Montag, 31. Januar
  • Im US-Gefangenenlager Guantánamo in Kuba haben sich im August 2003 in einer gemeinsam geplanten Aktion 23 Gefangene das Leben nehmen wollen. Die Terrorverdächtigen hätten sich binnen weniger Tage erhängen wollen, um die Ordnung im Gefängnis "zu stören" und einer neuen Gruppe von Wärtern "den Kampf anzusagen", sagte Jim Marshall, ein Sprecher der US-Kommandozentrale Süd (Southcom), am 24. Jan. in Miami. Die Selbstmorde seien für die Zeit zwischen dem 18. und 26. August 2003 geplant gewesen. Allein am 22. August wollten sich demnach zehn Gefangene das Leben nehmen. In zwei Fällen seien bisher "Selbstmordversuche" registriert worden. Einen Selbstmord habe es in Guantánamo bisher nicht gegeben.
  • Bei einem bewaffneten Überfall in der südafghanischen Provinz Ghorak ist ein leitender Polizeibeamter verletzt worden. Zwei seiner Leibwächter wurden getötet, wie ein Regierungsbeamter am 25. Jan. erklärte. Ein Sprecher der Taliban-Miliz bekannte sich zu dem Angriff am Nachmittag des 24. Jan. in dem Gebiet um Phruh Ohbo, 80 Kilometer nordwestlich von Kandahar. Ziel des Überfalls war offenbar Asim Dschan, der Polizeichef des Bezirks Ghorak. Sein Fahrzeug kam unter Beschuss, als er von Ghorak nach Kandahar fuhr. Dschan sei von einem Schuss am Bein getroffen worden, zwei seiner sechs Leibwächter seien getötet worden, sagte Bezirkschef Eisah Dschan. Die Rebellen seien nach einem 30-minütigen Gefecht geflohen. Taliban-Sprecher Mullah Hakim Lafiti sagte telefonisch, zwei Taliban-Kämpfer seien verletzt und sechs afghanische Soldaten bei dem Gefecht getötet worden.
  • Präsident George W. Bush will im Kongress zusätzliche 80 Milliarden Dollar (rund 61,4 Milliarden Euro) für Militäreinsätze im Irak und Afghanistan im laufenden Haushaltsjahr beantragen, berichteten amerikanische Zeitungen am 25. Jan. Das Geld werde überwiegend im Irak für Sicherheitsmaßnahmen benötigt, hieß es. Der Kongress hatte für dieses Haushaltsjahr bereits 25 Milliarden Dollar für Sonderausgaben im Irak genehmigt.
    Ein Teil des von der US-Regierung geforderten Nachtragsbudgets für Militäreinsätze im Ausland soll nach den Planungen des Pentagon in den Aufbau von drei zusätzlichen Brigaden und die Ausbildung und Ausrüstung irakischer Sicherheitskräfte fließen. Etwa zwei Drittel der für die Einsätze im Irak und in Afghanistan veranschlagten 75 Milliarden Dollar (57,5 Milliarden Euro) seien zur Deckung der laufenden Kosten der Einsätze in den beiden Ländern eingeplant, sagte ein hochrangiger Armeevertreter am Dienstag.
  • Ein afghanischer Soldat hat am 27. Jan. auf einem US-Militärstützpunkt das Feuer eröffnet und fünf seiner Kollegen getötet. Der Attentäter habe sechs weitere Männer verletzt, bevor er selbst getötet worden sei, teilte die US-Armee mit. Der Soldat hatte den Angaben zufolge gerade seinen Diensteid in dem Camp in der südlichen Provinz Helmand geleistet, bevor er aus bislang nicht bekannten Gründen die Schießerei startete. Die Verletzten wurden in ein Krankenhaus nach Kandahar ausgeflogen. US-Soldaten waren nicht in den Vorfall verwickelt.
  • Die Türkei hat am 27. Jan. die Führung über die multinationale Brigade in der afghanischen Hauptstadt Kabul übernommen. Der deutsche Brigadegeneral Walter Spindler übergab das Kommando an seinen türkischen Kollegen Ümit Dündar, wie die Afghanistan-Schutztruppe ISAF mitteilte. Zuvor hatte die von Spindler geführte deutsch-französische Brigade seit Ende Juli das Kommando in Kabul geführt. Die multinationale Brigade Kabul umfasst etwa 7.000 ISAF-Soldaten und sorgt im Auftrag für die Sicherheit in der afghanischen Hauptstadt. Mitte Februar geht das Kommando über die gesamte ISAF für sechs Monate an die Türkei. Insgesamt sind derzeit 8.300 Soldaten aus 36 Ländern im Rahmen der ISAF-Mission in dem Land.
  • Die für Mai geplante Parlamentswahl in Afghanistan könnte nach den Worten von Außenminister Abdullah möglicherweise um bis zu zwei Monate verschoben werden. Abdullah sagte der AP am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos, Grund seien "technische Vorbereitungen". Eine Verschiebung um ein oder zwei Monate werde vom afghanischen Volk aber verstanden, versicherte der Minister am 27. Jan.
  • Die Regierung in Afghanistan bekommt von den USA 88,5 Millionen Dollar (knapp 68 Millionen Euro) Militärhilfe. Mit der Summe solle Kabul Material und Verteidigungsaufgaben sowie die Ausbildung von Soldaten finanzieren, erklärte die US-Regierung am 27. Jan.
  • Die Bemühungen um eine Bekämpfung des Drogenanbaus in Afghanistan haben nach Ansicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) bislang kaum zu Erfolgen geführt. Die Einnahmen aus dem afghanischen Drogenhandel hätten im vergangenen Jahr bei 2,8 Milliarden Dollar gelegen, was rund 60 Prozent des afghanischen Bruttoinlandsproduktes entspreche, teilte der IWF am 27. Jan. zur Vorstellung seines Jahresberichtes 2004 in Washington mit. Der weitere Anstieg der mit dem Opiumanbau verbundenen Aktivitäten bedrohe sowohl die Sicherheit als auch die wirtschaftliche Stabilität Afghanistans.
  • Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) erwägt offenbar, Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) mit Sicherungsaufgaben in Afghanistan zu betrauen. Ein Vorauskommando der KSK hat nach Informationen der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (29. Jan.) die Lage in Afghanistan bereits sondiert. Hintergrund sind Analysen von Sicherheitsdiensten, wonach sich die Sicherheitslage für die Wiederaufbauteams erheblich verschärfen könnte, wenn die afghanischen, britischen und US-Streitkräfte wie geplant von März an gegen die Rauschgiftherstellung vorgehen. Deutschland stellt im Norden des Landes zwei Wiederaufbauteams. Die KSK-Truppe war schon am Vorgehen der westlichen Verbündeten gegen die Taliban und El-Kaida-Terroristen nach dem 11. September 2001 beteiligt, wurde inzwischen aber wieder abgezogen.
  • Bei einem Anschlag von Aufständischen im Südosten des Landes sind am 29. Jan. neun Polizisten getötet worden. Ein weiterer Polizist sei verletzt worden, als eine Landmine auf der Strecke zwischen Kandahar und Spin Boldak unter dem Streifenwagen explodierte, sagte ein Sprecher des afghanischen Innenministeriums. Das Fahrzeug sei vollkommen zerstört worden; die Polizei von Kandahar habe Ermittlungen eingeleitet. Hinter dem Anschlag steckten "Feinde des Friedens und der Stabilität".
  • Bei der Explosion einer der vielen in Afghanistan noch vergrabenen Minen sind am 30. Jan. mindestens fünf Menschen getötet und neun verletzt worden. Sie waren mit ihrem Fahrzeug im Süden der Provinz Kandahar abseits der von Minen geräumten Straßen unterwegs, wie die Behörden mitteilten. Unter den Verletzten sollen auch viele Kinder sein. Afghanistan ist nach Jahrzehnten des Krieges immer noch eines der am stärksten verminten Länder der Welt.


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