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Chronik des Krieges gegen Afghanistan

Januar 2004

1. bis 4. Januar
  • Nach mehr als zweiwöchigen Beratungen verzögert Streit unter den Delegierten der Loja Dschirga die Verabschiedung der neuen Verfassung für Afghanistan. Etwa 200 der 502 Delegierten boykottierten am 1. Jan. den Beginn der Abstimmungen über Einzelfragen wie die Autonomie von Regionen oder die Rolle der Frau in der afghanischen Gesellschaft. "Wir haben genug Reden gehört", sagte der Vorsitzende der Loja Dschirga (Große Ratsversammlung), Sibghatullah Mudschaddedi. "Lasst uns mit den Abstimmungen anfangen." Mehr als ein Drittel der Delegierten blieb jedoch sitzen, anstatt sich vor einer mit den Nationalfarben Schwarz, Grün und Rot verzierten Abstimmungskästen aufzureihen. Damit war es unwahrscheinlich, dass das erforderliche Quorum von 333 Stimmen erreicht wird.
  • Die Delegierten der Verfassungsversammlung für Afghanistan haben auch am 3. Jan. keinen Durchbruch erzielt. Der Vorsitzende der Loja Dschirga, Sibghatullah Mudschaddedi, sprach am Nachmittag von einer "beschämenden Störung in der letzten Minute". Die Verhandlungen seien auf Sonntag vertagt worden. "Wenn wir am Sonntag nicht zum Abschluss kommen, werden wir der Welt unser Scheitern bekannt geben", sagte er weiter. Nahezu alle Konflikte seien überwunden bis auf den Streit über ein Wort. "Einige Delegierte wollen es, andere nicht. Es ist beschämend, dass wir uns nicht einigen konnten", sagte Mudschaddedi. Genaue Angaben über den Grund des Verhandlungsabbruchs machte er nicht. Nach Angaben des prominenten Delegierten Hedajatullah Hedajat scheiterten die Verhandlungen am 3. Jan. an dem Streit, ob die Sprache der usbekischen Minderheit als eine von mehreren Amtssprachen eingeführt wird.
  • Gut zwei Jahre nach dem Sturz der Taliban-Herrschaft hat die Große Ratsversammlung Afghanistan eine neue Verfassung gegeben und damit erstmals den Weg zu freien Wahlen geebnet. Nach dreiwöchigen Verhandlungen verständigten sich am 4. Jan. die 502 Delegierten in mehreren Streitpunkten auf Kompromisse. Die "Islamische Republik Afghanistan" verfügt von nun an über ein starkes Präsidialsystem, in dem der Islam als "heilige Religion" gilt, gleichzeitig aber Religionsfreiheit gewährleistet ist. Mit den Worten: "Ich fordere Sie auf, als Zeichen ihrer Zustimmung zur neuen Landesverfassung aufzustehen", rief der Vorsitzende der Loja Dschirga, Sebghatullah Mudschadedi, zur Abstimmung über den aus 160 Artikeln in zwölf Kapiteln bestehenden Verfassungsentwurf auf. Daraufhin standen alle Delegierten auf, wie ein AFP-Reporter berichtete.
    Der neuen Verfassung zufolge gelten für Männer und Frauen gleiche Rechte und Pflichten. Das Zwei-Kammer-Parlament besteht aus dem Unterhaus, dem "Haus des Volkes" (Wolesi Dschirga), und dem Oberhaus, dem "Haus der Ältesten" (Meschrano Dschirga). Das Unterhaus soll von der Bevölkerung gewählt werden und hat das Recht, Minister-Ernennungen des Präsidenten abzusegnen und Amtsenthebungsverfahren gegen sie einzuleiten. Dem früheren König Mohammed Sahir Schah wird auf Lebenszeit der Titel "Vater der Nation" zuerkannt.
    Der Verfassungskompromiss sieht vor, dass die Sprachen von Minderheiten in deren Hauptsiedlungsgebieten neben Paschtu und Dari den Status einer offiziellen Sprache erhalten. In den vergangenen Tagen hatten Delegierte die Befürchtung geäußert, die Forderung der Usbeken könne den Grundstein für einen föderalistischen Staat legen und Afghanistan spalten.
    Im Streit um die Zahl der Vizepräsidenten konnten sich die Kritiker von Staatschef Hamid Karsai durchsetzen. Der Kompromiss sieht zwei Stellvertreter vor, einen mehr als im ursprünglichen Entwurf vorgesehen. Die Kritiker hatten argumentiert, mehrere Vizepräsidenten könnten die Einflussmöglichkeiten des Präsidenten besser kontrollieren.
  • US-Präsident George W. Bush hat die Einigung auf eine neue Verfassung in Afghanistan gelobt. Die am 4. Jan. verabschiedete Verfassung helfe sicher zu stellen, dass Terroristen in dem Land keinen Unterschlupf mehr finden würden. "Das Dokument ist die Basis für demokratische Institutionen und ein Rahmenwerk für Wahlen im Jahr 2004", hieß es in einer Erklärung Bushs.
5. bis 11. Januar
  • In Afghanistan sind mindestens zwei US- Soldaten bei einem Angriff schwer verletzt worden. Bei den Angreifern in der Provinz Urusgan habe es sich möglicherweise um radikal-islamische Taliban-Rebellen gehandelt, sagte ein Sprecher der Provinzregierung am 5. Jan. Nach dem Angriff auf das Fahrzeug der Soldaten hätten US-geführte Koalitionstruppen drei Männer festgenommen.
  • Die Verabschiedung der neuen Verfassung in Afghanistan ist international begrüßt worden. Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach dem afghanischen Staatspräsidenten Hamid Karsai und den Mitgliedern der Loja Dschirga am 5. Jan. Dank und Anerkennung aus. US-Präsident George W. Bush erklärte, die am Vortag angenommene Verfassung helfe sicherzustellen, dass Terroristen in Afghanistan keinen Unterschlupf mehr fänden. Die Gewalt in dem seit Jahrzehnten von Kriegen und Bürgerkriegen heimgesuchten Land dauerte derweil an. Schröder versicherte, Deutschland werde sich weiterhin in partnerschaftlicher Zusammenarbeit am politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Afghanistans beteiligen. Mit der Verabschiedung der Verfassung seien die Grundlagen für Demokratie, Wiederaufbau und nationale Aussöhnung gelegt. Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul begrüßte, dass in dem Text die Gleichberechtigung der Frauen festgeschrieben worden sei. UN-Generalsekretär Kofi Annan zeigte sich erfreut, "dass die Vereinten Nationen einen Teil zu dieser Errungenschaft beitragen konnten". Russland lobte die Verfassung als Schritt zur "Wiedergeburt eines friedvollen, unabhängigen und wohlhabenden Afghanistans". Bush würdigte den nach drei Beratungswochen ausgehandelten Verfassungstext als weiteren historischen Schritt nach vorn, nachdem die islamistischen Taliban-Herrscher vor mehr als zwei Jahren gestürzt worden waren.
  • Nur einen Tag nach der Verfassungseinigung wurde in der südafghanischen Stadt Kandahar das Gebäude des Flüchtlingswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR) angegriffen. Unbekannte warfen eine Granate auf das Gelände und feuerten mehrere Schüsse ab, wie ein UN-Sprecher bestätigte. Es habe keine Verletzten gegeben. Ein Augenzeuge sagte der Nachrichtenagentur AP, die Täter seien in einem Auto geflüchtet, als Sicherheitspersonal das Feuer erwidert habe.
  • Einen Tag nach der Verabschiedung der neuen afghanischen Verfassung ist der UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Lakhdar Brahimi, von seinem Posten zurückgetreten. Der Algerier hatte bereits bei seiner Berufung Ende 2001 angekündigt, nur solange im Amt zu bleiben, bis die Große Ratsversammlung (Loja Dschirga) die Verfassung verabschiedet hat. Brahimi selbst trug durch seine Vermittlung in letzter Minute erheblich zum Erfolg der Verhandlungen in Kabul bei. Bis zur Ernennung eines neuen Afghanistan-Beauftragten wird Brahimis Stellvertreter Jean Arnault die Aufgabe kommissarisch übernehmen, wie UN- Sprecher Fred Eckhard am 5. Jan. in New York mitteilte.
  • Zwei Tage nach Verabschiedung der Verfassung für Afghanistan sind bei einem Bombenanschlag in der einstigen Taliban-Hochburg Kandahar im Süden des Landes mindestens 15 Menschen getötet worden. Bei dem Attentat seien vor allem Kinder ums Leben gekommen, teilte das Büro des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai in Kabul am 6. Jan. mit. Mindestens 58 Menschen wurden verletzt. Die Bombe in Kandahar explodierte vor einer Kaserne, in der eine mit der US-Armee verbündete afghanische Einheit untergebracht ist. Die Zahl der Opfer ist so hoch, weil am gleichen Ort 20 Minuten zuvor bereits ein erster Sprengsatz explodiert war. Deshalb standen viele Schaulustige vor der Kaserne. Zu dem Anschlag bekannte sich zunächst niemand. Mindestens acht Kinder seien unter den Toten, auch die Verletzten seien meist Schüler, teilte das Büro des Präsidenten mit. Karsai verurteile das "grausame terroristische Attentat". Die erste Bombe hatte die Polizei nach einem Hinweis gefunden. Sie explodierte zwar, doch wurde niemand verletzt. Der zweite Sprengsatz ging nur rund hundert Meter entfernt hoch. An der Stelle hätte der neue Gouverneur der Provinz Kandahar, Jusuf Paschtun, wenige Minuten später vorbeifahren sollen. Ein Polizist sagte, Anwohner hätten zwei verdächtige Männer mit einem Karren gesehen. Einer sei nach der ersten Explosion festgenommen worden. Der Mann habe ausgesagt, dass in der Stadt weitere Sprengsätze versteckt seien. Erst am Montag hatten Unbekannte in Kandahar das Büro der Vereinten Nationen beschossen.
  • Das deutsche Wiederaufbauteam in der nordafghanischen Stadt Kundus wurde am 6. Jan. formal unter das erweiterte Kommando der NATO gestellt. Der Kommandeur der Internationalen Afghanistan- Schutztruppe (ISAF), der deutsche Generalleutnant Götz Gliemeroth, übernahm auch die Führung über die Bundeswehr-Soldaten in Kundus, die bisher dem Bundesverteidigungsministerium unterstellt waren. Die Übergabe hatte ursprünglich zum Jahreswechsel stattfinden sollen, war aber wegen schlechten Wetters verschoben worden. Die Bundeswehr ist seit Ende Oktober vergangenen Jahres in Kundus im Einsatz. Bis zum Frühsommer sollen insgesamt 250 deutsche Soldaten zivile Hilfsprojekte sichern.
  • UN-Generalsekretär Kofi Annan hat vor der verschlechterten Sicherheitslage in Afghanistan gewarnt und auf die Gefahren für den Friedensprozess und die Wahlen hingewiesen. Die Zahl der Anschläge auf Zivilisten in den vergangenen drei Monaten sei höher als in den 20 Monaten davor, erklärte Annan in einem am 6. Jan. in New York veröffentlichten Bericht. Für glaubwürdige Wahlen, die den Frieden voranbringen sollen, müsse es aber ein Umfeld geben, das bereit für die Ausübung politischer Rechte sei. Andernfalls würden die Wahlen womöglich nur denjenigen nützen, deren Macht auf der Ausübung von Gewalt beruhe, warnte der UN-Generalekretär.
  • Nach den tödlichen Bombenanschlägen im südafghanischen Kandahar haben die US-geführten Koalitionstruppen mit der Suche nach dem mutmaßlichen Taliban-Hintermann begonnen. Unterstützt von Hubschraubern und gepanzerten Fahrzeugen suchen seit 7. Jan. Hunderte Soldaten im Grenzgebiet zu Pakistan nach dem Taliban-Kommandeur Mullah Akhtar Mohammad, berichtete die in Pakistan ansässige afghanische Nachrichtenagentur AIP unter Berufung auf afghanisches Militär.
    Die Zahl der Toten bei den Anschlägen vom 6. Jan. sei inzwischen auf 15 gestiegen, darunter 8 Schulkinder, hieß es am 7. Jan.
  • Bewaffnete Männer haben auf einer Straße im Süden Afghanistans eine Gruppe von Reisenden überfallen und zwölf Menschen erschossen. Bei den Opfern des Angriffs in der Nähe der Stadt Baghran handelt es sich um Angehörige der Hasara, die im überwiegend paschtunischen Süden Afghanistans in der Minderheit sind. Ein Sprecher des Provinzgouverneurs von Helmand, Mohammed Wali Alisai, sagte der Nachrichtenagentur AP am. 7. Jan., möglicherweise sei den Angreifern an einer Verschärfung der ethnischen Spannungen gelegen.
  • Die US-Armee hat bei ihrem ersten Einsatz gegen den Drogenhandel in Afghanistan 1,5 Tonnen Opium beschlagnahmt. Zudem sei gemeinsam mit afghanischen Kräften ein geheimes Labor zerstört worden, mehrere Menschen seien festgenommen worden, teilte ein Militärsprecher am 7. Jan. mit. Demnach fand der Einsatz bereits am vergangenen Freitag (02.01.03) 90 Kilometer nordöstlich von Kundus statt.
  • Drogenfahnder in Tadschikistan haben im vergangenen Jahr die Rekordmenge von 5,6 Tonnen Heroin aus dem benachbarten Afghanistan beschlagnahmt. Die Droge war auf dem Weg in westliche Länder und war vor allem für die Märkte in Europa und den USA bestimmt, wie die tadschikischen Behörden am 7. Jan. mitteilten.
  • Die pakistanische Armee hat im Grenzgebiet zu Afghanistan eine neue Großrazzia gegen das Terrornetzwerk El Kaida gestartet. Unterstützt von Kampfhubschraubern habe der Einsatz zur Ergreifung "ausländischer Terroristen" am Morgen des 8. Jan. im Stammesgebiet Süd-Wasiristan begonnen, sagte ein Armeesprecher der Nachrichtenagentur AFP in Islamabad. Ein örtlicher Behördenvertreter sagte, der Einsatz habe in Kalu Shah stattgefunden, rund 40 Kilometer von der Grenze zu Afghanistan entfernt. Kampfhubschrauber hätten auf Ziele in der Region gefeuert.
  • Die USA haben Zweifel der UNO an der Realisierbarkeit der für Juni geplanten ersten demokratischen Wahlen in Afghanistan zurückgewiesen. Der US-Botschafter in Kabul, Zalmay Khalilzad, räumte am 8. Jan. zwar ein, dass die Wählerregistrierung langsamer voranschreite als vorgesehen. Dennoch sei er nicht der Auffassung, dass die Wahlen nicht im Juni oder später im Sommer stattfinden könnten. Zuvor hatte UN-Sprecher Manuel de Almeida e Silva in Kabul mitgeteilt, wegen der weiterhin angespannten Sicherheitslage und der geringen Zahl der eingeschriebenen Wähler sei es "beinahe unmöglich", den Wahltermin im Juni einzuhalten. Ähnlich kritisch hatte sich am 6. Jan. bereits UN-Generalsekretär Annan geäußert.
  • Mit der neuen afghanischen Verfassung unzufriedene Delegierte der Großen Ratsversammlung Loja Dschirga haben die Gründung einer eigenen Partei angekündigt. Ziel sei die Schaffung eines starken Parlaments, sagte der Vertreter der nordfghanischen Mudschahedin-Bewegung Dschamiat, Abdul Hafis Mansur, am 8. Jan. der Nachrichtenagentur AFP in Kabul. Die neue politische Gruppierung werde zudem einen eigenen Präsidentschaftskandidaten gegen Staatschef Hamid Karsai aufstellen. "Wenn wir diese Wahlen gewinnen, werden wir zuallererst den Weg für ein starkes Parlament frei machen, und nicht für einen Präsidenten mit diktatorischen Machtbefugnissen", betonte Mansur.
  • Die NATO wird nach einem Bericht des "Spiegel" voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte die Kommandostruktur in Afghanistan ändern. Darüber soll bei einem informellen Treffen der Verteidigungsminister der Allianz Anfang Februar gesprochen werden, wie das Nachrichtenmagazin am 10. Jan. berichtet. Zu dem Treffen am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz habe Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) geladen. Auf Drängen der USA wird laut "Spiegel" der Einsatz in Afghanistsn neu organisiert. Der NATO-Oberbefehlshaber in Europa, James L. Jones, soll künftig neben den ISAF-Friedenstruppen auch den Anti-Terror-Einsatz "Enduring Freedom" befehligen. Formell beschlossen und verkündet werde das neue Truppenarrangement jedoch erste Ende Juni beim NATO-Gipfel in Istanbul. Dort soll auch vereinbart werden, dass die Europäische Union den bisher von der NATO geführten Friedenseinsatz in Bosnien übernimmt.
  • Britische Elitesoldaten bilden einem Zeitungsbericht zufolge in Afghanistan heimlich afghanische Soldaten für ein Anti-Drogen-Kommando aus. Aufgabe der neuen Truppe sei die Vernichtung von Heroin-Labors und die Beschlagnahmung von Drogenbeständen und -lieferungen, berichtete die "Financial Times" am 10. Jan. unter Berufung auf afghanische und westliche Beamte. Erstmals seien die etwa hundert Afghanen am 2. Januar bei einer Razzia in der nördlichen Provinz Badachschan im Einsatz gewesen.
  • Bei Kämpfen zwischen Truppen verfeindeter Kriegsherren in der ostafghanischen Provinz Nangarhar starben in der Nacht zum 10. Jan. zwei Menschen.
  • Bei gewalttätigen Aktionen von Taliban-Milizionären sind im Süden Afghanistans neun Menschen getötet worden. Allein fünf afghanische Soldaten seien getötet und drei weitere verletzt worden, als sie am 10. Jan. im Bezirk Scharawak nahe der pakistanischen Grenze von Taliban-Kämpfern angegriffen worden seien, teilte der örtliche Militärchef Khan Mohammed am 11. Jan. mit. Anschließend seien die Angreifer in pakistanisches Staatsgebiet entkommen.
    Bei der frühzeitigen Explosion eines Sprengsatzes in der südafghanischen Provinz Helmand wurden am 10. Jan. vier mutmaßliche Taliban-Kämpfer getötet.
  • In Afghanistan sind mehrere tausend Soldaten nach ihrer Ausbildung durch westliche Militärs desertiert. Insgesamt rund 3.000 Soldaten hätten seit Gründung der Armee im Mai 2002 Fahnenflucht begangen, teilte ein Sprecher des afghanischen Verteidigungsministeriums am 11. Jan. in Kabul mit. Als Hauptgründe für die massenweise Fahnenflucht von Soldaten gelten harter Drill, niedriger Sold und Verbindungen der Rekruten zu bewaffneten Milizen, die noch immer weite Teile Afghanistans kontrollieren. Das Ministerium forderte die Deserteure zur Rückkehr auf. Andernfalls müssten sie die Kosten für ihre Ausbildung selbst tragen. Die Desertionen sind ein schwerer Rückschlag für die im Aufbau befindlichen afghanischen Streitkräfte. Der Sprecher gab die Stärke der Armee mit derzeit 10.000 Mann an. Internationale Beobachter gehen dagegen von rund 7000 Armee-Angehörigen aus. Nach ihrem Aufbau sollen in der Armee einmal 70.000 Soldaten dienen. Zehntausende Kämpfer stehen dagegen für private Milizen unter Waffen.
12. bis 18. Januar
  • In der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif ist vor dem Büro einer Hilfsorganisation ein Sprengsatz explodiert. Wie Augenzeugen am 12. Jan. berichteten, wurde dabei ein Anwohner leicht verletzt. Der Sprengsatz explodierte demnach am Sonntagabend vor dem Gebäude der französischen Organisation ACTED. Lediglich die Tür wurde beschädigt. Die Polizei schloss nicht aus, dass es sich um einen Unfall handelte.
  • Vermutlich Dutzende Taliban-Kämpfer töteten am 12. Jan. bei einem Überfall auf eine Polizeiwache im Südwesten des Landes vier Polizisten. Der Angriff ereignete sich in der Provinz Nimros, rund 200 Kilometer südwestlich von Kandahar, wie Gouverneur Karim Barawi mitteilte. Nähere Einzelheiten nannte er zunächst nicht.
  • Wie die US-Streitkräfte am 12. Jan. mitteilten, erlag am Wochenende ein US-Soldat seinen Verletzungen, die er bei einem Unfall in der Nähe von Kabul erlitten hatte. Es war das 100. Todesopfer in Reihen der US-Armee seit dem Angriff vor zwei Jahren.
  • Das nationale afghanische Fernsehen hat erstmals seit mehr als zehn Jahren Bilder einer Sängerin gezeigt. Salma, in den 70er und 80er Jahren in Afghanistan ein gefeierter Star, war am Abend des 12. Jan. mit der Darbietung eines ihrer beliebtesten Lieder, einer romantischen Ballade, zu sehen. Sie trug eine einfache rot-weiße Hemdbluse und auf den Haaren einen leichten Tüllschleier. Die Bilder wurden für die Dauer des etwa fünfminütigen Liedes im Anschluss an die Abendnachrichten, also zur besten Sendezeit, ausgestrahlt. Seit dem Sturz der linksgerichteten Regierung Nadschibullah 1992 waren derartige Bilder nicht mehr zu sehen gewesen.
  • Eine internationale Konferenz soll den Friedensprozess in Afghanistan und den Wiederaufbau des Landes unterstützen. Dafür sprach sich der afghanische Außenminister Abdullah am 14. Jan. nach einem Treffen mit dem Chefdiplomaten der Europäischen Union, Javier Solana, in Kabul aus. Eine solche Konferenz könnte innerhalb der nächsten Wochen stattfinden, sagte Abdullah. Das bedeute aber nicht, dass sie die Agenda für eine afghanische Regierung festlegen solle. In erster Linie müsse es um Fragen des Wiederaufbaus gehen. Solana sagte, auch er halte im Zuge des Demokratisierungsprozesses eine neue Afghanistan-Konferenz für notwendig. Sie solle sich mit Sicherheit, Wirtschaft, Wiederaufbau und politischen Aspekten beschäftigen.
  • Der neue NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer hat an die Mitgliedstaaten der Allianz appelliert, mehr Truppen für den Einsatz in Afghanistan abzukommandieren. "Ich habe einen Appell an alle Staaten gerichtet ..., mehr zu tun", sagte de Hoop Scheffer am 14. Jan. in Brüssel nach einem Treffen mit dem UN-Gesandten in Afghanistan. Afghanistan habe für die NATO absoluten Vorrang, sagte der Niederländer, der vergangene Woche die Nachfolge des Briten George Robertson angetreten hatte.
  • Die afghanische Regierung hat am 15. Jan. ihr Programm zur Entwaffnung der Hauptstadt Kabul begonnen. Milizionäre gaben hunderte Waffen ab, darunter 64 schwere Waffensysteme, wie Vize-Verteidigungsminister General Abdul Rahim Wardak mitteilte. Zu den eingesammelten Waffen gehörten demnach sieben Raketenwerfer, vier Panzerfäuste, drei Panzerabwehrraketen sowie dutzende Artilleriegeschosse. Mit dieser Aktion werde die "Reise in Richtung Frieden und Sicherheit kürzer", sagte Wardak. Laut Generalstabschef Bismullah Chan handelt es sich um den Beginn eines landesweiten Programms.
  • Auf einen Stützpunkt der US-Armee nahe der südostafghanistan Stadt Khost sind in der Nacht zum 15. Jan. mehrere Raketen abgefeuert worden. In der Nähe der Armeebasis seien etwa zwölf Explosionen zu hören gewesen, sagte ein Militärsprecher. Es habe weder Verletzte noch Schäden gegeben. Die US-Armee habe eine Patrouille ausgesandt, Angaben über Verletzte auf Seiten der Angreifer lägen nicht vor. Nach Angaben eines örtlichen Sprechers der radikalislamischen Taliban feuerten die Angreifer mindestens 35 Raketen und Mörsergranaten auf den US-Stützpunkt ab. Etwa 50 Taliban hätten die Basis zudem mit leichten Waffen angegriffen und sich mehrstündige Gefechte mit US-Soldaten geliefert. Der US-Sprecher dementierte die Angaben des Taliban.
  • China will sich mit einem einzelnen Polizisten an der internationalen Friedensmission in Afghanistan beteiligen. Bei dem Auserwählten handelt es sich um Zhang Ming, der bei der Bekämpfung des Drogenhandels auf der südchinesischen Insel Hainan Erfahrung gesammelt hat, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua am 16. Jan. meldete. China grenzt im äußersten Westen auf einer Länge von rund vierzig Kilometern an Afghanistan. Die Volksrepublik spielt bei internationalen Friedenseinsätzen bislang keine große Rolle - derzeit sind lediglich 21 chinesische Polizisten in Osttimor und Liberia stationiert.
  • Die Bundesregierung will die Zahl der Soldaten im afghanischen Kundus aufstocken. Darüber hat Verteidigungsminister Peter Struck laut "Spiegel" in der vergangenen Woche das Kabinett informiert. Statt bisher 171 Soldaten werden bald 320 Mann in dem regionalen Aufbauteam eingesetzt. Ein Ministeriumssprecher wollte die Zahl am 17. Jan. nicht bestätigen. Er versicherte aber, dass die vom "Spiegel" genannte Zahl die durch Kabinettsbeschluss erlaubte Obergrenze von 450 Mann nicht überschreite.
  • Angesichts der schleppend angelaufenen Wählerregistrierung hat der afghanische Präsident Hamid Karsai seine Landsleute zu mehr Engagement für die Demokratie aufgerufen. "Je mehr registrierte Wähler es gibt, desto eher werden die Afghanen eine Regierung nach ihrem Wunsch bekommen", sagte Karsai am 17. Jan. in Kabul. Bislang hätten sich nur 350.000 der schätzungsweise zehn Millionen Wahlberechtigten registrieren lassen.
  • Trotz Protesten des Obersten Gerichtshofs hat das staatliche Fernsehen in Afghanistan erneut ein Musikvideo mit einer singenden Frau ausgestrahlt. Der Sender Kabul TV zeigte am Abend des 17. Jan. einen Clip der bekannten afghanischen Sängerin Mahwasch aus den 80er Jahren, in dem sie sitzend mit einem rot-schwarzen Kopftuch bekleidet ein Liebeslied darbot.
  • Bei einem Hinterhalt gegen einen Konvoi der afghanischen Regierung sind im Südosten des Landes mindestens sechs Menschen getötet worden. Mindestens drei Regierungssoldaten sowie drei angreifende Taliban-Kämpfer seien bei dem Überfall rund 55 Kilometer nördlich von Kandahar tödlich verletzt worden, teilte ein Sprecher von Gouverneur Jussuf Paschtun am 17. Jan. mit. Die Kämpfe zwischen den rund 40 Taliban-Angreifern und afghanischen Soldaten hätten rund eine Dreiviertelstunde gedauert. Fünf Taliban wurden demnach verletzt und von eigenen Leuten in Sicherheit gebracht.
  • Die US-Armee hat bei einem Luftangriff im Süden Afghanistans nach dortigen Angaben elf Menschen getötet, unter ihnen vier Kinder. Einwohner der Ortschaft Saranaw in der Provinz Orusgan seien von einer US-Durchsuchung am 17. Jan. derart verängstigt gewesen, dass mehrere Familien am 18. Jan. im Morgengrauen zu einem nahegelegenen Fluss geflohen seien, sagte der örtliche Bezirksleiter Abdul Rahman am 19. Jan. Dort seien sie von einem US-Flugzeug bombardiert worden. Die US-Truppen hätten den "Fehler" zugegeben. Die Piloten hätten den Angriff damit gerechtfertigt, dass die Dorfbewohner Waffen bei sich getragen und geschossen hätten. Seines Wissens gebe es aber "im ganzen Bezirk Tschar Tschino keinen einzigen Taliban". Ein US-Sprecher machte dazu auf Anfrage keine Angaben.
  • Bei einem Angriff auf einen US-Militärstützpunkt in Afghanistan sind drei US-Soldaten verletzt worden. Einer der Angreifer wurde bei dem Überfall am 18. Jan. getötet, wie ein US-Armeesprecher am 19. Jan. in Kabul mitteilte. Den Angaben zufolge schossen rund 15 Bewaffnete mit Maschinengewehren und Panzerfäusten auf die Armeebasis in der zentralen Unruheprovinz Urusgan. Die US-Soldaten hätten das Feuer erwidert.
  • Der einflussreiche afghanische Kriegsherr Abdul Raschid Dostum drängt in die Zentralregierung in Kabul zurück. Er wolle einen ranghohen Posten im Verteidigungsministerium, sagte der Usbeke aus dem Norden des Landes am 18. Jan. in Masar-i-Scharif. Das Amt an sich sei nicht wichtig, "aber ich möchte mit der Regierung zusammenarbeiten". Er werde Präsident Hamid Karsai bitten, ihn zum Minister oder Generalstabschef zu ernennen oder an die Spitze einer "Militärstruktur mit mindestens 20.000 Mann" zu berufen.
  • Die US-Streitkräfte in Afghanistan haben Vorwürfe zurückgewiesen, wonach ein Luftangriff am 18. Jan. elf afghanische Zivilisten das Leben kostete. Das US-Kampfflugzeug habe auf fünf bewaffnete Männer geschossen, sagte Militärsprecher Bryan Hilferty am 20. Jan. Hilferty zufolge galt der Einsatz in der Nacht zum 18. Jan. einem Gebäude, in dem mehrere Taliban-Führer vermutet wurden. Eine amerikanische Spezialeinheit habe das Haus zusammen mit afghanischen Milizen umstellt, um die Taliban gefangen zu nehmen oder zu töten. Der Luftangriff sei befohlen worden, als mehrere bewaffnete Männer das Gebäude verlassen und sich im Dunkeln auf die Soldaten zubewegt hätten. Nach dem Angriff seien zahlreiche Bewaffnete aus dem umstellten Gebäude gestürmt, woraufhin die Soldaten sich zurückgezogen hätten, um eine Schlacht zu vermeiden, berichtete Hilferty weiter. Am nächsten Morgen seien sie zurückgekehrt und hätten das Flussbett, in das die Bombe einschlug, und die umliegenden Gebäude durchsucht. Dabei sei jedoch "nichts von Bedeutung" gefunden worden, sagte der Militärsprecher.
19. bis 25. Januar
  • Am 20. Jan. versammelten sich rund 200 Menschen zu einer Protestveranstaltung gegen den Luftangriff am Wochenende. An der Kundgebung nahm auch der Gouverneur der Provinz Urusgan, Jan Mohammed Chan, teil. Nach seinen Angaben kamen bei dem Bombardement vier Männer, drei Frauen und vier Kinder ums Leben.
  • Im Bezirk Char Chino in der Provinz Urusgan, wo der umstrittene Militäreinsatz stattfand, explodierte am Morgen des 20. Jan. eine Mine und tötete fünf Afghanen, darunter zwei Soldaten. Nach Ansicht des Verwaltungschefs von Char Chino, Abdul Rahman, galt die Mine US-Soldaten. Vermutlich sei sie von Taliban-Kämpfern ausgelegt worden und kein Überbleibsel früherer Konflikte, sagte er der Nachrichtenagentur AP.
  • Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) will offenbar ein erweitertes Bundeswehr-Kontingent im nordafghanischen Kundus mit Schützenpanzern vom Typ "Wiesel" schützen lassen. Insgesamt würden acht der je mit einer 20-Millimeter-Bordkanone ausgerüsteten Kettenfahrzeuge in den Norden Afghanistans geschickt, berichtete die "Bild"-Zeitung am 21. Jan. Zugleich werde das in Kundus stationierte Regionale Wiederaufbauteam (PRT) bis Juni von 170 auf 370 deutsche Soldaten aufgestockt. Der Zeitung zufolge werden unter anderem Soldaten der Fallschirmjägerbataillone 313 aus Varel in Niedersachsen, 261 aus Lebach im Saarland sowie des Feldjägerbataillons aus Berlin beteiligt sein. Außerdem sollen demnach Soldaten des Bataillons für Elektronische Kampfführung aus Frankenberg sowie des Bataillons für Operative Informationen aus Koblenz und ein Hubschrauber-Team zur medizinischen Evakuierung aus Rheine nach Afghanistan verlegt werden.
  • Die Internationale Afghanistan-Schutztruppe wird bis Ende 2004 das Kommando über bis zu fünf weitere Wiederaufbauteams im Norden und Westen des Landes übernehmen. Das sagte der deutsche Kommandeur der ISAF, Generalleutnant Götz Gliemeroth, am 21. Jan. vor Journalisten in Kabul. Die Regionalen Wiederaufbauteams (PRT) sollen die Sicherheit vor Ort verbessern und der Regierung in den Provinzen zu Autorität verhelfen. Zum Jahreswechsel war bereits das deutsche Wiederaufbauteam im nordafghanischen Kundus unter ISAF-Kommando gestellt worden. Der Brüsseler NATO-Rat hatte die Erweiterung des ISAF-Einsatzgebietes kurz vor Weihnachten beschlossen.
  • Hunderte afghanische Frauen haben am 22. Jan. auf einer Kundgebung ihre Unterstützung für die im Juni geplanten Wahlen demonstriert. Das teilten die Vereinten Nationen mit. Die rund 500 Frauen seien dem Aufruf einer Fernsehmoderatorin gefolgt und durch die Straßen der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif gezogen, sagte UN-Sprecher Manoel de Almeida e Silva. Die Aktion endete vor einer Schule, in der sich Stimmberechtigte für die Wahlen registrieren lassen können.
  • Ein politischer Führer der schiitischen Minderheit der Hasara will für das Präsidentenamt in Afghanistan kandidieren. "Ich möchte zeigen, dass es kein Verbrechen mehr ist, in diesem Land ein Hasara zu sein", sagte Planungsminister Mohammed Mohakik am 22. Jan. der Nachrichtenagentur AFP. Er vertraue darauf, dass "das afghanische Volk nicht länger an ethnische Diskriminierung glaubt". Mohakik werden enge Verbindungen zur iranischen Regierung nachgesagt.
  • Ein ehemaliger Provinzgouverneur der Taliban ist am 24. Jan. in Pakistan festgenommen worden. Mullah Abdul Manan Chawadschasai sei von pakistanischen Polizisten und Geheimdienstagenten in Tschaman im Grenzgebiet zu Afghanistan entdeckt worden, sagte der für die Grenzsicherung verantwortliche Oberst Basit. Chawadschasai war während der Herrschaft der Taliban Gouverneur der Provinzen Sar-e-Pol und Badghis.
  • US-Präsident George W. Bush verlangt vom Kongress mehr Geld für die Rüstung. Der Entwurf für den Verteidigungsetat für das im Oktober beginnende neue Haushaltsjahr sieht eine Steigerung der Ausgaben um 7 Prozent auf 401,7 Milliarden Dollar (316 Milliarden Euro) vor, wie das Pentagon am 23. Jan. mitteilte. In dieser Summe sind die Ausgaben für die Militäroperationen in Irak und Afghanistan noch gar nicht enthalten. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erklärte, der Etat spiegele Bushs Engagement im globalen Kampf gegen den Terrorismus wider. Derzeit gibt das Pentagon für den Einsatz in Irak rund eine Milliarde Dollar pro Woche aus und für den Einsatz in Afghanistan eine Milliarde Dollar pro Monat.
  • Als weltgrößter Produzent von Opium wird Afghanistan im Februar 2004 eine internationale Konferenz zur Bekämpfung von Handel, Anbau und Konsum von Drogen ausrichten. An dem Treffen am 8. und 9. Februar werden neben Vertretern der afghanischen Regierung auch internationale Organisationen sowie Abgesandte verschiedener Länder teilnehmen, sagte ein Sprecher der Vereinten Nationen am 25. Jan. in Kabul. In Afghanistan wurden im vergangenen Jahr insgesamt 3600 Tonnen Opium produziert - 77 Prozent der Weltproduktion.
26. bis 31. Januar
  • Mit der Unterschrift von Präsident Hamid Karsai ist am 26. Jan. die neue afghanische Verfassung in Kraft getreten. An der kurzen Zeremonie im Außenministerium von Kabul nahmen neben Regierungsmitgliedern auch der ehemalige König Mohammed Sahir Schah und Vertreter der Internationalen Gemeinschaft teil. Die Verfassung war Anfang Januar nach wochenlangen zähen Beratungen von der Loja Dschirga oder Großen Ratsversammlung verabschiedet worden. Die "Islamische Republik Afghanistan" verfügt über ein starkes Präsidialsystem, in dem der Islam als "heilige Religion" gilt, gleichzeitig aber Religionsfreiheit gewährleistet ist. (Vgl. die Analyse von Matin Baraki: "Karsais Machtpoker".)
  • Die NATO-Operation in Afghanistan sollte nach einem Vorschlag von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) vom Eurocorps in Straßburg geführt werden. Das Eurocorps sei militärisch in der Lage, Ende dieses Jahres das Hauptquartier der internationalen Schutztruppe (ISAF) in Kabul zu übernehmen, sagte Struck am 26. Jan. bei einer Veranstaltung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin. Derzeit wird die ISAF vom deutsch-amerikanischen Stab aus Heidelberg geführt. Dieser wird nun zunächst von Kanada abgelöst. Die beteiligten Staaten des Eurocorps - Deutschland, Frankreich, Spanien, Belgien und Luxemburg - würden am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar über ein Angebot an die NATO beraten, sagte Struck. Zu einer Aufstockung der deutschen Soldaten in Afghanistan werde es voraussichtlich nicht kommen. Struck geht davon aus, dass das deutsche Engagement im Rahmen des Bundestagsmandats zu leisten sei. Zu einem Rückzug der Amerikaner aus Afghanistan wird es nach seinen Angaben nicht kommen.
  • Bei einem Selbstmordanschlag in der afghanischen Hauptstadt Kabul sind am 27. Jan. ein kanadischer Soldat und ein Zivilist getötet worden. Drei weitere Kanadier sowie acht Afghanen wurden verletzt, wie die Polizei mitteilte. Der Attentäter in Kabul zündete den Sprengsatz nach Polizeiangaben in der Nähe eines Konvois der kanadischen Truppen im Westen der Stadt. Polizeichef Ali Jan Askarjar erklärte, die Soldaten seien in einer Kolonne von drei Fahrzeugen unterwegs gewesen, als sich der Selbstmordattentäter auf den letzten Wagen gestürzt und in die Luft gesprengt habe.
  • Die USA haben erstmals Zweifel an der Realisierbarkeit der für Juni geplanten Wahlen in Afghanistan eingeräumt. Der US-Außenamtskoordinator für Afghanistan, William Taylor, sagte am 27. Jan. vor dem Auswärtigen Ausschuss des Senats, eine Verschiebung des Termins sei nicht auszuschließen. Es sei außerdem möglich, dass die Parlaments- und die Präsidentschaftswahl nicht, wie ursprünglich geplant, zum gleichen Zeitpunkt stattfinden würden.
  • Beim zweiten Selbstmordanschlag mutmaßlicher Taliban-Kämpfer in zwei Tagen sind in Kabul ein britischer ISAF-Soldat und ein afghanischer Zivilist getötet worden. Auch der Attentäter kam ums Leben. Zu dem Anschlag kam es am 28. Jan. während einer Gedenkveranstaltung für einen kanadischen ISAF-Soldaten, den ein Selbstmordattentäter gestern mit in den Tod gerissen hatte. Sprecher der Taliban übernahmen die Verantwortung für die Anschläge und kündigten weitere Selbstmordattentate an.
  • Afghanistan hat am 29. Jan. 21 wegen Unterstützung der Taliban inhaftierte Pakistani frei gelassen. Ein Sprecher des afghanischen Außenministeriums sagte, damit sollten die "guten Beziehungen zwischen den beiden Staaten deutlich" gemacht werden. Sicherheitsbeamte beider Staaten treffen am 30. Jan. mit amerikanischen Truppen zusammen, um über ihr weiteres gemeinsames Vorgehen gegen die Taliban-Kämpfer im Grenzgebiet zu beraten.
  • In einer pakistanischen Ortschaft nahe der afghanischen Grenze wurden am 29. Jan. 1.600 kg Heroin beschlagnahmt. Es war der größte Heroinfund in der Geschichte Pakistans.
  • Bei einer Explosion in Ghasni im Westen Afghanistans sind am 29. Jan. sieben amerikanische Soldaten ums Leben gekommen (Die Zahl der Getöteten erhöhte sich später auf 8). Ein weiterer Soldat werde noch vermist. Die Soldaten hätten zum Zeitpunkt der Explosion in der Nähe eines Waffenlagers gearbeitet. Über die genaue Ursache der Detonation wurde nichts bekannt.
  • Am 29. Jan. wurden drei Jugendliche aus der US-Gefangenschaft in Guantánamo frei gelassen. Die drei 13- bis 15-Jährigen waren vor etwa einem Jahr bei einer Razzia in Afghanistan festgenommen worden. Waren nach US-Angaben die einzigen Jugendlichen unter den 660 Häftlingen. Die Freilassung erfolgte jetzt, weil die drei Gefangenen "keine Gefahr" mehr darstellten.
  • Eine indische Tageszeitung zitierte am 30. Jan. den amerikanischen NATO-Botschafter Nicholas Burns mit der Aussage, das Bündnis werde seine bisherige Tätigkeit am Hindukusch - das Kommando von ISAF - auf alle militärischen Operationen ausweiten. Dies werde außerdem unter einem UN-Mandat geschehen. Das würde bedeuten, dass der NATO sowohl die ISAF-Truppen als auch die multinationalen Truppen, die zur Zeit unter US-Kommando stehen, unterstellt würden. ISAF hat derzeit rund 6.000 Soldaten (etwa ein drittel Deutschland, ein drittel Kanada, ein Drittel weitere 28 Staaten), die US-geführten Kampftruppen rund 10.000 Soldaten.
  • US-Präsident George W. Bush hat erneut den Beitrag Deutschlands bei der Friedenssicherung in Afghanistan gewürdigt. Bush freue sich auf "ausführliche Gespräche mit Bundeskanzler Gerhard Schröder über bilaterale und globale Themen", heißt es in einer Mitteilung des Weißen Hauses in Washington am 30. Jan. Dort wird Schröder Ende Februar erstmals nach mehr als zwei Jahren mit Bush zusammenkommen.
  • Bundesverteidigungsminister Peter Struck hat einen Einsatz der Bundeswehr zur Bekämpfung der Opium- Kriminalität in Afghanistan ausgeschlossen. Aufgabe der Bundeswehr sei der "zivile Aufbau", nicht die Bekämpfung von Drogenanbau und -handel, sagte Struck am 30. Jan. im Deutschlandfunk. Für das Drogenproblem seien die afghanischen Behörden und britische Soldaten zuständig. Er wies damit Forderungen afghanischer Provinzpolitiker nach Hilfe der Bundeswehr bei der Drogenbekämpfung zurück.
    Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) besucht am 31. Jan. erstmals die deutschen Soldaten in Kundus. Bei seinem Kurz-Aufenthalt in der nordafghanischen Provinz will sich der Minister ein Bild von der Lage vor Ort machen.
    Die Sicherheitslage der deutschen Soldaten im nordafghanischen Kundus ist nach den Worten von Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) "ruhig, aber nicht stabil". Bei seinem ersten Besuch der Bundeswehr im nordafghanischen Kundus machte sich Struck ein Bild von den Bedingungen der Soldaten vor Ort und traf sich mit dem örtlichen afghanischen Kommandeur, General Mohammed Daud. Nach seinem Rundgang durch das deutsche Lager zeigte sich Struck erfreut über die "hochmotivierten Soldaten". Auch die Akzeptanz in der Bevölkerung sei sehr groß. Die Bekämpfung der Drogenkriminialität sei nicht Aufgabe der Bundeswehr, betonte er. Dafür seien die afghanischen Behörden und britische Soldaten zuständig. Nach seinem Treffen mit General Daud trat Struck die Heimreise an. Daud hatte in einem Zeitungsinterview gefordert, die Bundeswehr müsse sich in ihrem neuen Einsatzgebiet auch im Kampf gegen den Drogenanbau und -handel engagieren. Aus der Region Kundus werden nach einem Bericht der "Welt am Sonntag" (01.02.04) täglich "gut drei Tonnen Mohnprodukte zur Nordgrenze transportiert" und über Tadschikistan und Usbekistan nach Europa gebracht. Die Zeitung beruft sich auf "Geheimdienstinformationen, die der Bundesregierung vorliegen".
  • Bei einem Anschlag auf einen Regierungsbeamten in Afghanistan sind acht Menschen getötet worden. Der Landminenanschlag in der zentralen Provinz Urusgan am Abend des 31. Jan. habe dem neu ernannten Bezirksvorsteher Chalifa Sadat gegolten, teilte Provinzgouverneur Dschan Mohammed Chan mit. Unter den Toten seien neben Sadat auch dessen Frau, seine drei Söhne sowie zwei seiner Brüder. Ob lokale Kriegsherren oder Talibankämpfer hinter dem Anschlag steckten, sei noch unklar.
  • Die US-Luftwaffe hat nach Angaben der afghanischen Regierung bei einem Angriff am 18. Januar zehn Zivilisten getötet. Dies sei das Ergebnis einer offiziellen Untersuchung des Luftangriffs in der zentralen Provinz Orusgan, sagte der afghanische Präsident Hamid Karsai am 31. Jan. bei der Vorstellung des Berichts in Kabul. Damit widersprach er der US-Armee, die angab, sie habe bei einem Lufteinsatz gegen Taliban im Distrikt Scha Schino fünf bewaffnete Männer getötet (siehe unsere Chronik vom 18. und 19. Jan. weiter oben). Der örtliche Verwaltungschef hatte jedoch erklärt, es seien elf Frauen, Kinder und Männer ums Leben gekommen. Ihm zufolge beschoss ein US- Kampfflugzeug mehrere Familien, die vor den US-Truppen und verbündeten afghanischen Milizen fliehen wollten.


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