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Guttenberg: Wir bleiben am Hindukusch

Verteidigungsminister wartet erneut mit veränderter Sprachregelung zum Krieg in Afghanistan auf *

Nach dem Tod von drei deutschen Soldaten nahe Kundus hat Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg die Kämpfe in Afghanistan als »Krieg« bezeichnet. Zugleich verteidigte er den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und die neue deutsche Strategie am Hindukusch.

Die Bundesregierung will trotz der schweren Verluste der Bundeswehr im Kampf mit den Taliban an ihrer Afghanistan-Strategie festhalten. »Wir bleiben in Afghanistan«, sagte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am Sonntag in Bonn. Gleichzeitig sprach er erstmals davon, dass sich die Bundeswehr am Hindukusch im Krieg befinde. Zuvor lautete die Sprachregelung »kriegsähnliche Zustände«. Guttenberg betonte aber, dass es sich um eine umgangssprachliche und keine juristische Bewertung handele.

Zwei Tage nach dem bislang schwersten Gefecht der Bundeswehr in ihrer Geschichte nahmen die Soldaten im Feldlager Kundus am Ostersonntag Abschied von ihren getöteten Kameraden. Der Zustand der vier Schwerverletzten war stabil. Am Karfreitag war eine Bundeswehr-Patrouille im Distrikt Char Darah nahe Kundus in stundenlange Gefechte verwickelt worden, wobei drei deutsche Soldaten getötet und acht weitere verletzt wurden. Der Angriff sei von einer »besonderen Perfidie« getragen gewesen, sagte Guttenberg, der seinen Urlaub in Südafrika wegen der Geschehnisse in Kundus abgebrochen hatte. »Es scheint nicht ganz zufällig auch der Karfreitag für einen auch in seiner Komplexität bemerkenswerten Anschlag gewählt worden zu sein.« Das Gefecht mache die Realität des Einsatzes in Afghanistan deutlich. »Auch wenn es nicht jedem gefällt, so kann man angesichts dessen, was sich in Afghanistan, in Teilen Afghanistans abspielt, durchaus umgangssprachlich – ich betone umgangssprachlich – in Afghanistan von Krieg reden.«

Guttenberg betonte, dass die im Januar beschlossene Afghanistan- Strategie mit einem stärkeren Schwerpunkt auf Ausbildung auch in der Fläche nicht infrage stehe. Er wies darauf hin, dass die vollständige Umsetzung dieser Strategie erst im Sommer oder Herbst erfolge. Der Verteidigungsminister wies auch die Kritik des früheren Generalinspekteurs Harald Kujat zurück, die schweren Verluste der Bundeswehr seien auf das Fehlen moderner Aufklärungssysteme zurückzuführen.

Der Tod von sechs afghanischen Soldaten durch Schüsse der Bundeswehr wird ein juristisches Nachspiel in Deutschland haben. Der Generalbundesanwalt habe den Gesamtfall an sich gezogen, berichtete Guttenberg. Es sei »ausgesprochen ärgerlich, wenn so etwas passiert«. Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP), der sich gerade in Afghanistan aufhält, sagte bei der Trauerfeier, »die deutschen Soldaten lassen sich durch noch so heimtückische Gewalt nicht beeinflussen«.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat den Start einer geplanten Großoffensive gegen die Taliban in Kandahar von der Zustimmung örtlicher Stammesführer abhängig gemacht. »Ohne eure Einwilligung wird es in Kandahar keine Militäroperation geben«, sagte Karsai nach einem Bericht des Senders CNN am Sonntag vor mehr als 1000 Stammesältesten in der Südprovinz. US-Generalstabschef Mike Mullen hatte erst vor wenigen Tagen in Kabul angekündigt, internationale und afghanische Truppen würden in den kommenden Monaten in Kandahar massiv gegen Taliban vorgehen.

Zuvor hatte Karsai für Ärger in Washington gesorgt, als er behauptet hatte, hinter den massiven Manipulationen bei der Präsidentenwahl im August steckten Ausländer. Gegenüber US-Außenministerin Hillary Clinton bestritt er dies anschließend und sagte, er habe bei seiner Kritik die USA überhaupt nicht im Visier gehabt. Gemeint gewesen seien stattdessen die westlichen Medien und ihre Berichterstattung über die Wahl.

* Aus: Neues Deutschland, 6. April 2010


Strategie? Fehlanzeige!

Jan van Aken (DIE LINKE): Deutsche Afghanistan-Politik gescheitert **

Der Krieg in Afghanistan hat am Wochenende weitere Opfer gefordert. Nachdem am Freitagnachmittag drei Bundeswehrsoldaten bei Kämpfen mit Taliban getötet worden waren, starben wenige Stunden später sechs afghanische Soldaten, deren Auto »irrtümlich« von einem deutschen Panzer unter Feuer genommen worden war. Mit Jan van Aken, der seit vorigem Jahr für DIE LINKE im Deutschen Bundestag sitzt und das Land in diesem Jahr bereits besuchte, sprach darüber Roland Etzel.

ND: Sie wollen gerade zum Hamburger Ostermarsch. Wird dort Afghanistan eine Rolle spielen?

van Aken: Natürlich. Beim Ostermarsch geht es ja darum, dass Deutschland wieder friedlicher wird, und da sind die Atomwaffen der eine Teil, die Waffenexporte der andere, und Afghanistan der dritte.

Bei der Trauerfeier in Kundus für die getöteten deutschen Soldaten hat Verteidigungsminister zu Guttenberg gesagt, die aufständischen Taliban hätten mit Karfreitag für ihre Attacke ein Datum gewählt, das eine Verhöhnung fremder Kulturen und auch der eigenen Kultur bedeuten würde. Wie kommentieren Sie das?

Ob das auch eine Verhöhnung der eigenen Kultur ist, weiß ich nicht, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass die Taliban sich gezielt einen christlichen Feiertag ausgesucht haben. Das ist nichts Neues in Kriegen. Für Angriffe Tage zu wählen, an denen es den Gegner besonders trifft, gehört immer zur psychologischen Kriegsführung. Auf eine Art hat er natürlich Recht – ein Angriff am höchsten christlichen Feiertag ist eine gezielte Verhöhnung christlicher Kultur. Aber so ist Krieg. Wenn man einen Krieg nach Afghanistan trägt oder Krieg in Afghanistan führt, passiert so etwas.

Zu Guttenberg hat auch gesagt, dass »umgangssprachlich von Krieg« gesprochen werden könne. Drückt er sich weiterhin davor, den Krieg beim Namen zu nennen?

Nein. Ich meine, wenn er sagt »umgangssprachlich Krieg«, dann sagt er ja Krieg. Und als Minister muss er wahrscheinlich unterscheiden zwischen formaljuristischem Krieg und umgangssprachlichem Krieg. Ich nenne es seit Jahren Krieg. Und es ist Krieg, egal wie man das auch ausdrücken will. Aber wenn er das als Minister jetzt offiziell Krieg nennen würde, dann wäre das ja wahrscheinlich eine formelle Kriegserklärung, und die kann er natürlich nicht aussprechen.

Ich fühlte mich bei Äußerungen, die von deutscher Seite zu hören waren, an den Stil deutscher Verlautbarungen von vor 60 oder 70 Jahren erinnert. Der derzeitige ISAF-Kommandeur für Nordafghanistan, Brigadegeneral Frank Leidenberger, in Kundus sagte zum Beispiel: »Wir geben nicht klein bei. Wir werden weiterkämpfen, und wir werden gewinnen. ... Dafür brauchen wir Kraft und Stehvermögen und die Unterstützung der Heimat.«

Nein, das – finde ich – ist kein guter Vergleich. Wenn er gesagt hätte »totaler Krieg«, dann vielleicht. Wenn General Leidenberger der Realität ins Auge sieht, dass Deutschland eben Krieg führt, so sind das dafür normale Begrifflichkeiten. Das hat nichts mit Nationalsozialismus oder dunkler deutscher Geschichte zu tun. Es kommt deshalb etwas merkwürdig an, weil die Realität des Krieges noch nicht in ganz Deutschland angekommen ist. Natürlich hat Leidenberger recht. Er ist als Soldat da hingeschickt worden. Sein Auftrag ist zu gewinnen, und dafür braucht er die Unterstützung der Heimat. Das sehe ich natürlich anders, aber aus seiner Sicht ist das normale soldatische Kriegslogik.

Es wurde auch gesagt, die Soldaten sollen künftig »mehr in die Fläche gehen und Stück für Stück Präsenz im Raum gewinnen«.

Das ist genau die Strategie, die sie seit Monaten propagieren: Wir vertreiben die Taliban, bauen Basen auf, stabilisieren und befrieden das Land. Allen war von Anfang an klar, dass es da mehr Tote geben würde, auch auf deutscher Seite, weil es eine Ausweitung des Krieges ist. Ich denke, diese Strategie ist völlig zum Scheitern verurteilt, weil so viele Soldaten gar nicht nach Afghanistan geschickt werden können, um das Land in der Fläche zu halten. Der einzige Weg zum Frieden ist im Gegenteil, sich aus der Fläche zurückzuziehen. Viele derjenigen, die jetzt gegen die ausländischen Truppen kämpfen, tun dies ausschließlich deshalb, weil es gegen – aus ihrer Sicht so empfunden – Besatzer geht. Und sobald diese abziehen, hören sie auch auf zu kämpfen. Insofern ist der Weg, den die Bundeswehr momentan geht, ein Weg in die Eskalation und keiner zum Frieden.

Den viel beschworenen Strategiewechsel halten Sie also schon jetzt für gescheitert?

Die deutsche Regierung hatte weder eine Strategie noch einen Strategiewechsel, sie ist jetzt gescheitert wie in den acht Jahren zuvor.

Glauben Sie, dass die Ereignisse vom Wochenende bei anderen Parteien, zum Beispiel, Teilen der Grünen oder der SPD, jetzt zum Umdenken führen?

Bündnis 90/Die Grünen haben zum allergrößten Teil schon kürzlich im Bundestag nicht mehr für diesen Krieg gestimmt. Die SPD aber muss sich jetzt wirklich die Frage stellen: Will sie eine Kriegspartei oder eine Friedenspartei sein?

Fraktionschef Steinmeier hat es bei der letzten Abstimmung im Februar noch einmal in einem letzten Kraftakt geschafft, seine Fraktion im Bundestag hinter diesen Krieg zu stellen. Aber wenn jetzt so offenbar wird, dass dieser Krieg Tote auf der ganzen Linie fordert, auf deutscher Seite, bei den afghanischen Soldaten, in der Zivilbevölkerung, dann wird sich die SPD wahrscheinlich nicht mehr lange als Kriegspartei behaupten können.

Es wird unsere Aufgabe als LINKE sein, die Grausamkeit des Krieges in Afghanistan hier in Deutschland zu vermitteln, damit sich niemand mehr vor der Realität drücken kann.

Wann wird das Ihrer Meinung nach sein?

Entscheidend wird sein, ob im Februar 2011 endlich der Abzug eingeleitet wird oder nicht. Dann muss sich die SPD entscheiden, ob sie immer noch Kriegspartei bleiben möchte.

** Aus: Neues Deutschland, 6. April 2010


Kriegsminister

Von Jürgen Reents ***

Minister zu Guttenberg lässt sich nicht beirren: »Wir bleiben in Afghanistan« ist seine militärisch knappe Schlussfolgerung aus den jüngsten Gefechten, bei denen drei Bundeswehrsoldaten getötet wurden und deutsche Soldaten mindestens sechs afghanische Verbündete erschossen. Die schreckliche Bilanz der Bundeswehr am Hindukusch beläuft sich mittlerweile auf 39 eigene Tote und eine unbekannte, mindestens aber dreistellige Zahl von deutscher Hand und durch deutschen Befehl Getöteter. Der Tod macht keinen Unterschied, heißt es häufig, die Propaganda in Kriegen macht ihn schon. Deutsche Soldaten werden dem Sprachgebrauch in Politik und Medien zufolge immer »in einem Hinterhalt«, also hinterhältig erschossen, ihre eigenen Kugeln und Bomben treffen dagegen nur »Terroristen« oder »irrtümlich«. Und was zunächst als »Stabilisierungseinsatz« geschönt wurde, nennt zu Guttenberg nun »umgangssprachlich – ich betone umgangssprachlich« einen Krieg. Ein solcher war es zwar von Anfang an, aber das schmutzige »Handwerk« wurde bis zum tödlichen (und hinterhältigen!) Angriff auf 140 Menschen, die aus zwei gekaperten Tankwagen Benzin für sich zapfen wollten, in Floskeln versenkt. So ist es jetzt also ein Krieg, den Deutschland führt – doch war es nicht so, dass dieses Land nie wieder einen Krieg führen wollte? Die Zeiten sind dahin, und mit ihnen jene, in denen es einen Verteidigungsminister gab. Deutschland hat ein Kriegsministerium.

*** Aus: Neues Deutschland, 6. April 2010


Das rechte Wort

Von Kurt Pätzold ****

Der Bundesminister für Verteidigung der von niemandem militärisch bedrohten Bundesrepublik Deutschland gewann eine Einsicht, die man Erkenntnis noch nicht nennen will. Sie überkam ihn bei der Nachricht, daß im fernen Afghanistan bei einem Gefecht mit einheimischen Bewaffneten drei Soldaten der ihm unterstehenden Truppe umgekommen waren. Von derlei hatte er schon während seiner Zeit als Wirtschaftsminister gehört. Da jedoch war er nicht verpflichtet gewesen, sich von Amts wegen zu äußern. Diesmal war das anders, und er erklärte in ihm hingehaltene Mikrophone, daß man im Hinblick auf das Geschehen »umgangssprachlich« von einem Krieg reden könne.

Was sagt uns das? Zum einen: Der Mann ist aufgrund jüngerer Erfahrungen vorsichtig geworden. Ein sprachliches Vehikel solchen Verhaltens kann der Konjunktiv sein. Man »könne«, d.h. man muß nicht, es ist dies eine Möglichkeit, zu bedenken und auszudrücken, was unsere Tapferen da so veranstalten. Zum anderen: »Man« – das soll doch wohl abheben von jedermann. Und schließlich: umgangssprachlich. Wer will, der kann am häuslichen oder Stammtisch von Krieg am Hindukusch reden, wie’s ihm da blöd, dumm oder dußlig über die Lippen kommt. Aber nicht an Rednerpulten, nicht in Zeitungsspalten und nicht vor Fernsehkameras. Da bleiben wir, bitte, auf dem sicheren Terrain der deutschen Hochsprache, wie vorgegeben vom Minister und dessen Vorgängern. Zur Auswahl stehen: Einsatz, militärischer Einsatz, Kampfeinsatz, besser freilich: Mission, humanitäre Mission, Friedensmission. Und das nicht nur aus Gründen der weiteren Verdummung des deutschen Michels, sondern weil wir uns durch den offiziellen Gebrauch des Wortes Krieg nicht in den Schlingen des Völkerrechts verfangen wollen.

**** Aus: junge Welt, 6. April 2010 (Kommentar)


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