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"Selbstverständlich ist es ein Krieg"

Friedensforscher Galtung über den militärischen Einsatz in Afghanistan

Johan Galtung im Gespräch mit Jürgen Zurheide *

Johan Galtung sieht den Kampf gegen die Taliban am Hindukusch kritisch. Er glaube, dass NATO, Amerikaner und Bundeswehr "überhaupt keine Chance haben", sagte der Friedenforscher.

Jürgen Zurheide: Was kann man, was muss man eigentlich tun - vor allen Dingen auch aus Sicht der Friedensforscher. Das ist die Frage, die wir jetzt im Interview bereden wollen mit Johann Galtung, dem norwegischen Friedensforscher und dem Begründer der Friedensforschung überhaupt. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Galtung.

Johan Galtung: Ja, einen schönen guten Morgen!

Zurheide: Herr Galtung, verstehen Sie diese bundesdeutsche Diskussion über die Frage, ob das nun Krieg ist oder kein Krieg?

Galtung: Ja, ich habe dieses verfolgt. Es ist also diese Idee, das ist eigentlich ein Entwicklungsprojekt und Schutz für ein Entwicklungsprojekt und ist kein Krieg. Das finde ich Wahnsinn. Selbstverständlich ist es ein Krieg. Man ist im Bündnis mit den Vereinigten Staaten und sie haben ab 7. Oktober 2003 eine Attacke gemacht, und das hat etwas mit Nine-Eleven zu tun, aber nur etwas.

Zurheide: Wie ist denn aus Ihrer Sicht das Verhältnis zwischen militärischen Aktionen auf der einen Seite und dem Wiederaufbau, denn die Bundeswehr sagt ja - das ist zumindest die Version, die hier in Deutschland immer wieder vertreten wird -, das ist so eine Art bewaffnete Helfer des Technischen Hilfswerkes. Ist das auch aus Ihrer Sicht richtig beschrieben?

Galtung: Ich finde es teilweise ganz einfach dumm und teilweise amoralisch. Erstens: Ich glaube nicht, dass Deutschland eine wirkliche Beziehung zu Afghanistan hat. Deutschland hat eine Beziehung zu Washington, und es hat eigentlich nur etwas damit zu tun, um die Rolle, die Washington wünscht, zu spielen - einbezogen selbstverständlich die Semantik darüber.

Zweitens: Ich glaube, die Bundeswehr, NATO, Amerikaner und so weiter haben überhaupt keine Chance, die werden genau dieselbe Niederlage als Alexander der Große, als die Briten - zweimal sogar - und als die Sowjeten erlebt haben. Und wenn sie das wünschen, dann gute Reise. Aber ich glaube, die Vermittlung ist wirklich die bessere Möglichkeit. Und ich war selber dabei, wir haben in unserer Nichtregierungsorganisation eine ganz große Vermittlung gehabt und mit fünf Punkten als Erfolg. Und ich glaube viel mehr daran.

Zurheide: Jetzt ist ja nun gerade der amerikanische Vermittler Holbrooke unterwegs in der Region, er ist von der …

Galtung: Holbrooke ist kein Vermittler, er ist ein Krieger. Er ist nur ein Vertreter des amerikanischen Krieges, hat überhaupt nichts mit Vermittlung zu tun. Und ganz genau dasselbe war der Fall in Jugoslawien.

Zurheide: Ist denn das, was Obama dann sagt, dieser Strategiewechsel - wenn ich meinen Satz da zu Ende führen darf -, dieser Strategiewechsel ist aus Ihrer Sicht kein Strategiewechsel?

Galtung: Ist überhaupt kein Strategiewechsel. Ich glaube, das, was Obama tut, ist eigentlich Public Relations für die alte Strategie - und weil er so viel mehr sympathisch und charismatisch ist. Und er spricht zu den Herzen, und man hat von der Rhetorik den Eindruck, dass etwas Neues vor sich geht. Wenn man die Politik verfolgt, ist es nicht nur dasselbe, sondern mehr. Er steht ein wenig rechts von Bush. In Fragen von Afghanistan, von Pakistan, ich glaube auch von Israel, Palästina, und ich glaube von Iran.

Zurheide: Wie kann die Friedensforschung helfen bei diesen asymmetrischen Konflikten? Ist es ein asymmetrischer Konflikt oder ist schon die ganze Begrifflichkeit aus Ihrer Sicht falsch?

Galtung: Der Begriff ist völlig falsch. Also wenn es asymmetrisch wäre, dann hätte man ja schon den Sieg gehabt. Also es ist, dass man kämpft mit unterschiedlichen Mitteln. Erstens: Es gehen drei Kriege vor sich, etwas gegen Taliban, weil sie gegen Säkularisierung sind, zweitens gegen Kabul, weil es gibt so viele Unabhängigkeitsbestrebungen Richtung Bundesstaat in Afghanistan, und drittens kriegen die Afghanen, weil sie gerne nicht interdiert sein möchten. Und das finde ich ab und zu ganz vernünftig.

Also drei Kriege, die Bundeswehr hat keine Chance, damit etwas zu tun. Und dazu kommt, dass sie haben unbegrenzte Zeit. Es wird keine Kapitulation Islams gegenüber den Infidelen, den Ungläubigen geben, wird es niemals geben. Die haben unbegrenzte Zeit, das hat die Bundesrepublik nicht. Es wird sich Widerstand aufbauen, und sie haben dazu unbegrenzten Raum. Es gibt 1,3 Milliarden Muslime auf der Erde. Das ist nicht eine Frage von Krieg in Afghanistan, es ist eine Frage von Krieg gegen Islam. 1,3 Milliarden, das sind schon etwas.

Zurheide: Auf der anderen Seite, Herr Galtung, dann helfen Sie uns, Sie haben gerade gesagt, es hat da Vermittlungsbemühungen gegeben, die seien auch erfolgreich gewesen. Nur da wird man Ihnen vielleicht widersprechen dürfen, weil natürlich auch immer noch Gewalt ausgeht von Taliban. Was könnte, was müsste man denn aus Ihrer Sicht tun, um die Lage wirklich zu entspannen und dann auch vielleicht die Menschenrechte besser durchzusetzen als das bisher der Fall ist?

Galtung: Ich möchte gerne wissen, wie viele von diesen Deutschen, die dafür verantwortlich sind, wirklich in ihrem Leben einem einzigen Talib begegnet sind. Ich glaube sehr wenige. Ich habe eine Reihe davon, die sind Menschen, die sind also anti, gegen Säkularismus, einige sind mehr moderat, einige sind mehr fundamentalistisch. Genau wie die Christen, die wirklich an die christliche Lehre glauben.

Nein, sehen Sie, mit Taliban muss man eine Koalitionsregierung haben, das ist nicht zu vermeiden, und die Taliban werden selber entscheiden, welche sind die Taliban, die daran teilnehmen. Es ist eine Frage von Auswahl von der westlichen Seite. Holbrooke versucht ähnliche solche Sachen.

Zweitens Richtung Bundesstaat, drittens Richtung Staatenbund für eine asiatische, könnte man sagen, Gemeinschaft, wie die europäische Gemeinschaft, weil sie haben acht, neun Nachbarstaaten, und die haben Interesse daran, das zu tun. Und dass das nicht von China, von Schanghai gesteuert wird, das ist, was man jetzt hat, mit SCO, mit Shanghai Cooperation Organization.

Viertens eine Politik mit Bedürfnissen, und das heißt Bedürfnisse für Männer und Frauen gleich, und hier gibt es eine Entwicklung in allen muslimischen Ländern, aber das werden sie nicht von der Bundesrepublik lernen. Das werden sie von Indonesien, von Philippen, von der Türkei und von fortschrittlichen Ländern, und die Bundesrepublik könnte eine Armee von deutschen Feministinnen schicken, das wird nur Anti-, eine Gegenwirkung haben.

Und fünftens, es muss Sicherheit geben, aber das kann man nicht durch die NATO schaffen. Das muss teilweise Sicherheitsrat und meistens Organization of the Islamic Conference (OIC), die beiden in Zusammenarbeit, weil Sicherheitsrat hat sehr beschränkte Legitimität in Afghanistan, weil es dort unter den Vetomächten kein muslimisches Land gibt.

Zurheide: Und der letzte Punkt, Terror, das war ja die Begründung, die es seinerzeit hier gegeben hat, die deutsche Freiheit wird am Hindukusch verteidigt, die Befürchtung, dass die Taliban das Land übernehmen, dass es dann wieder ein Hort für Terroristen wird, die hier ihre Gewalt exportieren, ist das aus Ihrer Sicht ein völlig falscher Gedanke?

Galtung: Das stimmt völlig, was Sie sagen. Und die sind der Meinung, dass es gibt Staatsterrorismus von den westlichen Ländern, und was am Hindukusch korrespondiert, wäre zum Beispiel World Trade Center und Pentagon. Also sie haben sich die Grenzen verschoben, also muss man das ganz (…). Und hier wäre eine Möglichkeit für Deutschland vielleicht, mit einer vernünftigen Stimme zu reden, aber dann muss man auf den Amerikaner etwas Vernunft eingießen und nicht nur die Taliban.

Zurheide: Aber glauben Sie, dass bei den Taliban diese Vernunft da ist, dass dieser Krieg natürlich auch mit Waffengewalt und Terrorismus niemandem hilft?

Galtung: Mehr bei den Taliban als bei den Christionisten in Amerika, leider. Ich glaube, es ist mehr wahrscheinlich, dass die Christionisten werden fortsetzen, Hillary Clinton ist eine von denen und sehr, sehr, sehr wichtig, Holbrooke ist genau auf dieser Linie, und die haben also teilweise Obama gekauft, er war von einer Bewegung "Jews for Obama" 2004 unterstützt.

Zurheide: Das heißt aber, unterm Strich sehen Sie sehr pessimistisch, was ich da raushöre?

Galtung: Nein, überhaupt nicht, weil ich sehe, es kommt ein Ende von diesem Wahnsinn. Ich bin Optimist, und ich wette, die Afghanen werden sich behaupten, und der Westen wird davon etwas lernen. Mittlerweile geht das amerikanische Imperium so langsam unten, Amerika nicht, sondern das amerikanische Imperium, deswegen bin ich noch mehr optimistisch.

Das sowjetische Imperium, dank Gott, ist abgeschafft, jetzt kommt das Folgeimperium, in derselben Richtung und das Grab ist schon vorbereitet in Afghanistan. Sie haben ja schon einen Friedhof für solche Leute wie Alexander der Große und so weiter.

Zurheide: Herr Galtung, ich bedanke mich für das Gespräch.

Galtung: Vielen Dank.

* Das Interview wurde im Deutschlandfunk geführt, 25. Juli 2009; www.dradio.de


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