Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Schaulaufen in Kabul

Von Knut Mellenthin *

Bis spätestens Ende 2014 sollen Afghanistans eigene Sicherheitskräfte in der Lage sein, im gesamten Land die Verantwortung für alle militärischen Operationen zu übernehmen. Das »bekräftigte« Präsident Hamid Karsai am Dienstag auf einer internationalen Konferenz in Kabul, an der angeblich Vertreter aus über 60 Ländern teilnahmen. Tatsächlich handelte es sich lediglich um eine Wiederholung von Bekanntem, da Karsai genau das gleiche Ziel auch schon im vorigen Jahr verkündet hatte. Das hinderte die illustren Konferenzteilnehmer, unter ihnen der deutsche Außenminister Guido Westerwelle, aber nicht, die Mitteilung des afghanischen Präsidenten mit Beifall zu »unterstützen«.

Die Angabe Ende 2014 bezeichnet nichts weiter als ein unverbindliches Wunschziel, von dem völlig unklar ist, ob es auch nur annähernd erreicht werden kann. Voraussichtlich soll im Dezember auf einer weiteren Konferenz ein detaillierter Plan für die stufenweise Übergabe der Verantwortung in einzelnen Landesteilen verabschiedet werden. Auch das wird aber nur von symbolischer Bedeutung sein. Denn um Mißverständnissen vorzubeugen, stellte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Kabul klar: »Unsere Mission wird erst dann und nur dann enden, wenn die Afghanen in der Lage sind, aus eigener Kraft für Sicherheit zu sorgen. (...) Der Übergang wird sich an den gegebenen Bedingungen, nicht an Kalenderdaten orientieren.«

Ohne praktische Bedeutung ist auch die bereits vor Monaten von US-Präsident Barack Obama ausgesprochene Ankündigung, er wolle im Juli 2011 mit dem Truppenabzug beginnen. Außenministerin Hillary Clinton bestätigte in Kabul das Datum, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Aus jüngsten Äußerungen von US-Militärs geht hervor, daß nicht mit dem Start einer planmäßigen, etappenweisen Rückzugsbewegung, sondern nur mit einer einmaligen Reduzierung der Besatzungstruppen um ein paar tausend Mann zu rechnen ist. Obama hat seit Beginn seiner Amtszeit im Januar 2009 Zehntausende Soldaten zusätzlich nach Afghanistan geschickt.

In seiner Ansprache bei der Konferenz wiederholte Karsai sein Anliegen, innerhalb der nächsten zwei Jahre dazu überzugehen, die Hälfte der ausländischen Finanz- und Wirtschaftshilfe direkt über die Kabuler Regierung abzuwickeln. Derzeit sind es nur etwa 20 Prozent. Der größte Teil der Hilfsprogramme, deren Gesamtwert von US-Regierungskreisen mit 14 Milliarden Dollar jährlich angegeben wird, läuft über westliche Organisationen in Zusammenarbeit mit örtlichen Behörden und Machthabern. Angeblich will der Westen damit der Korruption vorbeugen und die Kontrolle über die Verwendung der Finanzmittel behalten. Karsai argumentierte indessen, auch nicht ganz unplausibel, daß auf diese Weise das Versickern der Gelder in private Taschen eher gefördert als verhindert werde. Darüber hinaus wünscht er sich, daß die Auslandshilfe in enger Koordination mit der Kabuler Regierung auf einige »strategisch wichtige« Projekte konzentriert wird. Ob der Westen Karsai dabei entgegenkommen will, ist jedoch ungewiß.

Trotz des Einsatzes von mehreren zehntausend Polizisten und Soldaten zum Schutz der Konferenz blieben Zwischenfälle nicht ganz aus: Nach einem Raketenangriff auf den Flughafen von Kabul mußten einige hohe Gäste- darunter UN-Generalsekretär Ban Ki Moon - auf dem US-amerikanischen Militärstützpunkt Bagram landen.

* Aus: junge Welt, 21. Juli 2010


Sie wissen, was sie tun

Afghanistan-Konferenz in Kabul

Von Knut Mellenthin **


Es kann nicht bestritten werden, daß die internationale Gemeinschaft anfangs das Ausmaß dieser Herausforderung unterschätzte«, stellte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen einen Tag vor der Afghanistan-Konferenz in Kabul fest. Eine vergleichbare Aussage der SPD- und Grünen-Politiker, die Deutschland vor bald neun Jahren in diesen Krieg hineinführten, fehlt bisher ebenso wie eine selbstkritische Bilanz der Unions- und FDP-Politiker, die den militärischen Kampf so lange fortsetzen wollen, bis die US-Regierung definitiv das Signal zur Beendigung des blutigen und sündhaft teuren »Engagements« gibt.

Als der deutsche Bundestag im Dezember 2001 erstmals Soldaten nach Afghanistan schickte, war von nichts anderem als der »Unterstützung der afghanischen Staatsorgane bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung« die Rede. Die Obergrenze des deutschen Kontingents wurde auf 1200 festgelegt. Zur Zeit liegt sie bei 5300. Eine Allparteienkoalition, an der sich nur die Linke nie beteiligte, hat Jahr für Jahr das Mandat verlängert und oft gleich noch eine neue Eskalationsstufe abgesegnet.

Die meisten Bundestagsabgeordneten sind oberflächlich, gleichgültig, denkfaul und korrumpiert. Parteipolitische Spielchen und das eigene Vorankommen sind ihnen wichtiger als ethische Verantwortung. Zivilcourage nötigenfalls auch gegen den Kurs ihrer eigenen Partei ist nicht ihre Sache. Daher kann nicht völlig ausgeschlossen werden, daß viele Parlamentarier zu Anfang wirklich nicht begriffen und auch gar nicht wissen wollten, in was für ein unkontrollierbar langes und riskantes Militärabenteuer sie Deutschland führten. Angesichts vieler ernsthafter Warnungen, die sich sowohl auf die mehrtausendjährige Geschichte Afghanistans als auch die jüngste Vergangenheit des Landes seit Beginn der sowjetischen Intervention stützten, scheint es allerdings nicht ausreichend, das Verhalten von Union, SPD, Grünen und FDP nur mit buchstäblich gnadenloser Selbstherrlichkeit und Ignoranz zu erklären. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, daß Deutschland von den herrschenden Politikern schrittweise, aber systematisch in einen sich immer mehr ausweitenden Krieg hineingelogen wurde, der bei der Mehrheit der Bevölkerung von Anfang an unpopulär war.

Nach dem gleichen Verfahren lassen die herrschenden Politiker heute die Bevölkerung im unklaren, wohin die von Deutschland mitgetragene Kampagne gegen den Iran führen soll und wird. Die Sanktionen werden Iran selbst auf lange Sicht nicht in die Knie zwingen. Sie können nur dazu dienen, ein Klima der Isolierung und Dämonisierung zu schaffen, das den Weg zur »ultima ratio«, zur Anwendung militärischer Zwangsmittel, frei macht. Das Ergebnis beschreiben selbst US-Generäle als »Katastrophe« für die Region, wenn nicht für die Welt insgesamt. Nur deutsche Politiker wissen wieder einmal von gar nichts.

** Aus: junge Welt, 21. Juli 2010 (Kommentar)

Weitere Pressekommentare

zur Afghanistan-Konferenz in Kabul. Dort wurde beschlossen, die Kontrolle über die Sicherheit im Land bis Ende 2014 an die einheimischen Kräfte zu übergeben.


Die WESTFALENPOST aus Hagen spricht in diesem Zusammenhang von "Wunschdenken":
"Angesichts der derzeitigen Lage - immerhin hat die internationale Schutztruppe ihren verlustreichsten Monat gerade erst hinter sich - erscheinen die Ziele unrealistisch."


Die RHEINISCHE POST aus Düsseldorf ergänzt:
"Die Ankündigung zielt vor allem auf Beschwichtigung in den Truppensteller-Ländern; im Übrigen basiert sie auf dem Prinzip Hoffnung. Warum sollte bis 2014 gelingen, was in den achteinhalb Jahren seit dem Einmarsch nicht gelungen ist?"


Die MITTELBAYERISCHE ZEITUNG aus Regensburg bemerkt zu den Übergabe-Plänen:
"Für die Angehörigen der toten Soldaten muss das wie blanker Hohn klingen. Diese Entscheidung hätte man schon vor Jahren haben können, weil bereits früh klar war, dass der Krieg gegen die Guerilla-Strategie der Taliban nicht zu gewinnen ist.


Die BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG prophezeit:
"Auch nach 2014 wird das Sterben nicht enden, aber die Aktionen der Taliban dürften dann nur ein zynisches Achselzucken auslösen, mag im Westen noch so oft Solidarität mit den Afghanen beschworen werden. Die Konferenz in Kabul ist ein bitterer Schlussstrich, für den sich die Teilnehmer auf die Schulter klopfen, weil sie die Wahrheit erfolgreich verdrängt haben."

Quelle: Deutschlandfunk, 21. Juli 2010




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